Köln. Eine Angehörige eines Opfers sprach im Kölner Dom. Unter den Gästen waren auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck.
Engel aus Holz sollten es sein, klein und leicht, die in diesen schweren Stunden den Schmerz ein wenig lindern. Engel zum Festhalten und Festgehalten werden, so stand es auf den dazugelegten Kärtchen. Und tatsächlich sah man am Freitagmittag im Kölner Dom viele Menschen, die die Engel in ihren Händen hielten. Angehörige, Helfer, Politiker. Sie alle waren an diesem Freitagmittag vereint in Trauer und Leid.
1400 Menschen waren in dem Gotteshaus zusammengekommen, um mit einem ökumenischen Gottesdienst und einem Staatsakt den Toten des Germanwings-Absturzes in den französischen Alpen zu gedenken. Dreieinhalb Wochen ist es her, dass Flug 4U9525 auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf an einem Berg zerschellte. 150 Menschen verloren ihr Leben, darunter Co-Pilot Andreas L., der mutmaßliche Verursacher der Katastrophe.
Seitdem ist für Hunderte, die ihre Kinder, Eltern oder Freunde verloren, nichts mehr wie es war. Ganz Deutschland ist erschrocken von der Katastrophe – auch, weil es – so scheint es beim Blick auf Flugstrecke und Airline – jeden hätte treffen können. Beim Absturz wurde das Flugzeug und all das, was sich darin befand, „pulverisiert“, so beschrieben es die Retter. Und so wird die Trauer verstärkt durch den Umstand, dass die Opfer bisher nicht beerdigt werden konnten.
In Köln dürften die Hinterbliebenen gemerkt haben, dass sie nicht alleine sind. Dass eine ganze Stadt, ein ganzes Land mit ihnen trauert und Trost spenden will. Dass nach diesem Unglück nicht einfach so zur Tagesordnung übergegangen wird. Schon drei Stunden vor dem Beginn des Trauergottesdienstes hatten sich Dutzende Menschen versammelt, um in den Dom gelassen zu werden. Hunderte Bürger verfolgten die Übertragung des Gottesdienstes vor Großbildleinwänden in der Stadt. Der Vorplatz des Hauptbahnhofs verwandelte sich im Laufe des Tages in eine Gedenkstätte. Blumen und Kränze wurden niedergelegt, Kerzen entzündet. Für die gesamte Bundesrepublik galt Trauerbeflaggung.
Im Dom brannte auch eine Kerze für den Co-Piloten Andreas L.
Im Dom selbst brannten 150 Kerzen, also auch eine für Andreas L., der für viele kein Opfer mehr ist, sondern Mörder. Zuvor war darüber diskutiert worden, nur 149 Kerzen aufzustellen, aber an diesem Tag sollte kein Unterschied gemacht werden zwischen Tätern und Opfern. Der Kölner Kardinal Rainer Woelki sagte in seiner Predigt, er habe keine theoretische Antwort auf das Unglück: „Aber ich kann auf die Antwort zeigen, an die ich selbst glaube, die meine Hoffnung ist: auf den mitleidenden Gott am Kreuz.“ Gott, versprach der Kardinal, werde das Andenken an die Opfer und Angehörigen bewahren: „Ganz sicher.“ Annette Kurschus, die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, sagte in ihrer Predigt, man könne Gott angesichts der Katastrophe auffordern, etwas zu tun: „Wenn wir schon leiden müssen, dann dürfen wir auch verlangen: Gott, sammle meine Tränen in deinem Krug!“
Eine der Angehörigen trug selbst eine Fürbitte vor. „Herr, ich bitte Dich: Trockne unsere Tränen, stärke die schönen Erinnerungen und schenke uns allen neuen Lebensmut”, sagte die mutige Frau. Sie bat darum, Liebe stärker sein zu lassen als Verzweiflung: „Lieber Gott, gib unseren verunglückten Verwandten und Freunden ein neues Zuhause und pass immer auf sie auf.“
Beim anschließenden Staatsakt, an dem auch französische und spanische Regierungsvertreter teilnahmen, sprach Bundespräsident Joachim Gauck darüber, dass das Flugzeug offensichtlich mit Absicht zum Absturz gebracht worden war. „Vielleicht ist es das, was uns so sehr erschreckt hat: die Sinnlosigkeit des Geschehens. Wir sind konfrontiert mit einer verstörenden Vernichtungstat.” An jenem 24. März sei etwas zerstört worden, das nicht mehr geheilt werden könne. „Dieser eine hat die vielen anderen mit in den Tod gerissen, den er für sich selbst gesucht hatte. Uns fehlen die Worte für diese Tat”, sagte Gauck. Die Katastrophe zeige auch: „Weder vor technischen Defekten noch vor menschlichem Versagen gibt es absolute Sicherheit – und erst recht nicht vor menschlicher Schuld.“
Das hat der Absturz von Flug 4U9525 deutlich gemacht. Aber er zeigte auch, wie gut Menschen sein können, schon unmittelbar nach dem Absturz. Dutzende Freiwillige meldeten sich bei den Einsatzkräften. Sie wollten unbedingt helfen. Die französischen Bergretter arbeiteten Tag und Nacht, sie gingen „über ihre psychischen und physischen Grenzen“, wie die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sagte. Und dann waren da die Bürger in den Orten rund um den Absturzort, die ihre Wohnungen und Häuser räumten, um den angereisten Angehörigen eine Bleibe bieten zu können. Und so ging es im Kölner Dom auch um die deutsch-französische Freundschaft, die durch den Einsatz vieler Franzosen gestärkt wurde.
Für die Hinterbliebenen sollte der Tag in Köln dazu da sein, Abschied zu nehmen. Eine Erklärung dafür, dass ein Pilot ihre Liebsten mit in den Tod nahm, gab es nicht. Niemand wird sie liefern können, Hannelore Kraft sagte, dass sie bleiben werde: „die quälende Frage nach dem ,Warum‘“.