Selten war Fliegen so sicher wie hier. Beunruhigend bleibt jedoch die Zahl gefährlicher Zwischenfälle. Lufthansa und Air Berlin rutschen im Ranking ab.
Hannover. Rund 100 Jahre nach dem Start der ersten Linienmaschine ist das Fliegen zumindest statistisch so sicher wie selten zuvor. Ob Europäische Agentur für Flugsicherheit oder unabhängige Unfallforscher, sie alle kommen zum gleichen Fazit: Heute ist die Wahrscheinlichkeit, mit einem Flugzeug abzustürzen, extrem gering geworden. Dabei verzeichnet die Luftfahrtbranche ein rasantes Wachstum: 2013 überschritt die Zahl der beförderten Passagiere nach den Daten des internationalen Branchenverbands IATA erstmals die Drei-Milliarden-Marke – hinzu kommen etwa 50 Millionen Tonnen Fracht.
Mehr als acht Millionen Menschen nutzen pro Tag ein Flugzeug. Nach einer Bilanz des deutschen Jacdec-Büros wurden im vergangenen Jahr weltweit 251 Menschen bei Unfällen in der Zivilluftfahrt getötet. Zum Vergleich: Nach den letzten aktuellen Zahlen für 2012 kamen allein auf Deutschlands Straßen 3600 Menschen ums Leben.
Wie ist das möglich? Luftfahrtexperten verweisen zum einen auf immer ausgefeiltere technische Systeme, die in modernen Flugzeugen die Piloten unterstützen und notfalls erkennbare Fehlentscheidungen korrigieren. Zudem werden Cockpit-Besatzungen bereits in ihrer Ausbildung auf ein ungewöhnlich hohes Sicherheitsdenken verpflichtet. Verbesserungen von Flughafeninfrastruktur und Luftraumüberwachung sowie global gültige Sicherheitsstandards für den Flugbetrieb gehören ebenfalls zu den Erklärungen. Ist damit also alles perfekt am Himmel?
Nein, meint Martin Locher. „Die immer komplexere Technik muss auch beherrschbar bleiben“, mahnt der Flugkapitän mit 9000 Flugstunden Erfahrung. Er ist stellvertretender Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit (VC), die sich nicht nur für die Belange der Flugzeugbesatzungen, sondern auch für sichere Arbeitsbedingungen in der Luftfahrt einsetzt. Locher warnt vor Selbstzufriedenheit: „Wir haben etwa in Europa sehr hohe Sicherheitsstandards, doch wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen.“ Er sieht weiter Risiken, vor allem durch die Massenabfertigung auf den großen Luftverkehrs-Drehkreuzen.
Menschliche Irrtümer sind nie auszuschließen
„Das Problem ist der stark wachsende Verkehr, der uns an die Grenzen der Kapazität bringen – gerade bei den Flughäfen ist das ein kritischer Punkt.“ Wo Fluglotsen in immer schnellerem Tempo immer dichter Flugzeuge staffeln müssen und Tower-Anweisungen im Sekundentakt fallen, sind menschliche Irrtümer nicht auszuschließen.
Die am Wochenende bekanntgewordene Beinahe-Kollision eines Verkehrsjets mit einem Segelflugzeug über Lübeck im Jahre 2010 verdeutlicht das einmal mehr. Auch 2013 mangelte es nicht an derartigen „schweren Zwischenfällen“ – auch wenn sie wie durch ein Wunder überwiegend glimpflich ausgingen. Auch die relativ hohe Zahl von Irrtümern gibt zu denken, bei denen Flugzeugbesatzungen auf der falschen Rollbahn unterwegs waren.
Zwischenfälle wirbelten Liste durcheinander
Es waren derartige Zwischenfälle, die 2013 die extrem eng beieinander liegende Spitzengruppe in der Jacdec-Hitliste der 60 sichersten Airlines durcheinanderwirbelte. Denn da bei fast allen Gesellschaften der Sicherheitsstandard hoch ist, wirkten sich selbst kleinste Zwischenfälle auf die Platzierungen aus. Nur so ist zu erklären, dass die wegen ihrer Sicherheitsphilosophie anerkannte Lufthansa gegenüber dem Vorjahr von Rang 11 auf Platz 18 rutschte, Konkurrent Air Berlin von Rang 23 auf 26. Um fünf Plätze verbesserte sich dagegen die deutsche Condor (29). Ryanair belegte Rang 33. Die sicherste Fluggesellschaft der Welt ist Statistikern zufolge die Air New Zealand.
Ein Malheur beim Start in Chicago verhagelte ihr die ansonsten gute Bilanz: Das Heck eines Flugzeugs schrammte beim Abheben über die Piste. Die Maschine flog zwar ohne Zwischenfälle zum Ziel – doch bei der Landung wurden Beschädigungen am Rumpf entdeckt. Auch wenn niemand verletzt wurde: Es war ein Zwischenfall, der angesichts der hohen Sicherheitsstandards der Branche den Behörden gemeldet wurde.
Auf die Idee, die Lufthansa deshalb als unsichere Fluggesellschaft einzustufen, käme aber kein seriöser Luftfahrtexperte. Im Gegenteil: Namhafte, große Airlines mit ihren relativ jungen und gut gewarteten Flugzeugen sind seltener denn je in tragische Unglücke verwickelt. „Die Sicherheitsrangliste verdeutlicht vor allem, auf welch hohem Sicherheitsniveau der Luftverkehr inzwischen angekommen ist“, sagt der Chefredakteur des Magazins „Aero International“, Dietmar Plath, das die jährliche Jacdec-Liste in seiner jüngsten Ausgabe veröffentlicht.