Der Skandal beschäftigt Europa: In Großbritannien wurden nach einer Razzia zwei Betriebe geschlossen. Auch der deutsche Handel reagiert.
London. Im Pferdefleisch-Skandal verfolgt die britische Lebensmittelaufsicht FSA eine erste heiße Spur. Nach einer Razzia wurden zwei Fleischverarbeitungsbetriebe in England und Wales geschlossen. Der Betreiber eines Schlachthofs in der Grafschaft Yorkshire in Nordengland steht unter dem Verdacht, geschlachtete Pferde an einen Betrieb in der Grafschaft Pembrokeshire in Wales weitergegeben zu haben. Das Fleisch wurde vermutlich zu Burger-Frikadellen und Kebabs verarbeitet. Polizisten und Lebensmittelkontrolleure beschlagnahmten in den beiden Betrieben Fleisch, Dokumente und Kundenlisten, hieß es weiter.
Unterdessen haben deutsche Supermärkte vorsorglich Fertigmahlzeiten aus den Regalen genommen. Die deutschen Unternehmen haben aber – anders als einige Ketten in Großbritannien – bislang keine Bestätigung für Pferd statt Rind in ihren Produkten. Real stoppte den Verkauf seiner „TiP“-Lasagne und der „Mini Cheeseburger“, wie ein Sprecher am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa mitteilte. Zuvor hatte Kaiser’s Tengelmann einen Verkaufsstopp für die „A&P“-Tiefkühl-Lasagne bestätigt. Edeka lässt derzeit „alle relevanten Eigenmarkenprodukte prüfen“.
Eine Sprecherin des Bundesverbraucherschutzministeriums in Berlin sagte am Dienstag, es gebe weiterhin keine Anhaltspunkte, dass falsch deklarierte Fleischprodukte in den Handel gelangt seien. Ministerin Ilse Aigner (CSU) forderte eine schnelle Aufklärung des Skandals. „Was drauf steht, muss auch drin sein – darauf müssen sich Verbraucher verlassen können“, sagte die Bundesministerin der „Bild“-Zeitung (Mittwoch). Der designierte Agrarminister von Niedersachsen, Christian Meyer (Grüne), forderte in einem dpa-Gespräch mit Blick auf den Pferdefleisch-Skandal eine verbesserte Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel. Die EU-Kommission verteidigte die geltenden Kennzeichnungsregeln: „Es ist ein bisschen verfrüht, eine verpflichtende Kennzeichnung für verarbeitete Fleischprodukte ins Auge zu fassen“, sagte der Sprecher von EU-Verbraucherkommissar Tonio Borg.
In Deutschland weiteten viele der für Lebensmittelkontrollen zuständigen Bundesländer ihre Tests auf Pferdefleischspuren in Rinderhack-Produkten aus. Im bevölkerungsreichsten Land Nordrhein-Westfalen laufen seit Freitag Stichprobenuntersuchungen. Die Analyse der Rindfleisch- und Tiefkühlprodukte dauere noch an, teilte der Sprecher des NRW-Verbraucherschutzministeriums, Frank Seidlitz, mit.
Rewe hat nach eigenen Angaben keine der falsch ausgezeichneten britischen Produkte eingeführt. In einer Umfrage hieß es auch von Aldi Nord und Aldi Süd sowie Lidl, dass sie in Deutschland keine Waren aus dem Handel genommen haben und nicht betroffen seien. Der Skandal hat vor rund einem Monat in Großbritannien und Irland begonnen, wo Spuren von Pferdefleisch in Hamburgern in Supermärkten gefunden wurden. Später zeigten Tests, dass Rindfleisch-Lasagne bis zu 100 Prozent Pferdefleisch enthielt. Die Behörden wissen bisher nicht, seit wann und in welchem Ausmaß der Betrug mit Pferdefleisch läuft.
Mit der Razzia in Großbritannien am Dienstag ist im Pferdefleischskandal erstmals eine britische Anlage ins Visier der Behörden und der Polizei geraten. Die Tatsache, dass dies in Großbritannien geschah, sei schockierend und inakzeptabel, sagte Umweltminister Owen Paterson in einer ersten Reaktion. Bislang führten die Spuren ins Ausland. Die Regierung werde alles tun, um dem ein Ende zu setzten. Ein Sprecher der Lebensmittelaufsicht sagte dem Sender BBC, die Behörde untersuche derzeit die beschlagnahmten Papiere, um genau feststellen zu können, was mit dem Pferdefleisch geschah. Paterson traf sich am Abend mit Vertretern der Lebensmittelindustrie, um mögliche Schritte zu diskutieren. Am Mittwoch soll es ein Ministertreffen auf EU-Ebene geben, an dem auch Paterson teilnehmen wollte.
Der Sprecher der Lebensmittelaufsicht FSA betonte, dass das Schlachten von Pferden in Großbritannien legal ist. Bei dem Skandal geht es darum, dass Pferdefleisch den Kunden ohne ihr Wissen als Rindfleisch verkauft wird. Pferdefleisch wird in Großbritannien in der Regel für den Export nach Europa produziert. Der Verzehr von Pferdefleisch – in Ländern wie Italien, Frankreich oder auch Deutschland durchaus üblich – gilt in Großbritannien und Irland als gesellschaftliches Tabu. Es gibt, anders als in Zentraleuropa, keine Schlachter, die Pferdefleisch zu Wurst oder Fleischwaren verarbeiten.