Erdbeben und Tsunami dürften die Schuldenkrise des Landes weiter verschärfen. Experten fürchten negative Folgen für das Weltfinanzsystem
Tokio/Hamburg. Fabriken und Raffinerien fangen Feuer oder werden von dem Tsunami fortgespült, Menschen laufen um ihr Leben. Nach dem Erdbeben steht Japans Wirtschaft still. Die Katastrophe trifft eine der stolzesten Nationen der Welt in einer Zeit, in der sie sich gerade von den Folgen der Finanzkrise und einem drastischen Einbruch beim Export erholt. Analysten rechnen mit Milliardenschäden.
Das Erdbeben werde "zu schweren Belastungen für die japanische Volkswirtschaft führen", sagt Jochen Möbert von der Deutschen Bank dem Abendblatt. Zwar tragen die besonders betroffenen nordöstlichen Präfekturen Aomori, Akita und Iwate nur mit einem Anteil von 2,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Dort gibt es Auto- und Halbleiterwerke. Schwerer wiegen die Produktionsausfälle im Großraum Tokio, der 18 Prozent zum BIP beiträgt. "Die vorübergehende Schließung von Fabriken und Erdölraffinerien und das Abschalten von Atomkraftwerken wird die Produktion landesweit betreffen", sagt der Japan-Experte der Commerzbank, Wolfgang Leim.
Dennoch erwarten Experten bei der Wirtschaftsleistung nur eine temporäre Delle. "Wir rechnen damit, dass das Wachstum im ersten Quartal wegen der Strom- und Produktionsausfälle negativ sein wird", sagt Möbert. Doch schon im zweiten Quartal müssen die zerstörten Gebäude, Fabrikanlagen, Straßen und Schienenstränge wieder aufgebaut werden. "Das wird einen positiven Schub für einige Branchen ergeben", sagt Jana Stöver, Wirtschaftsexpertin beim Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut HWWI. Das vorangegangene Beben im Jahr 1995 verursachte Schäden von 100 Milliarden Dollar. Damals brach die Wirtschaftsleistung um gut 0,5 Prozent in einem Quartal ein, erholte sich dann aber schnell wieder. "Naturkatastrophen mögen enorme Schäden anrichten. Ihre langfristigen Konsequenzen für den Produktionsapparat eines Landes halten sich aber erfahrungsgemäß in Grenzen", sagt Leim.
"Japan hat mehrere Möglichkeiten, die zusätzlichen Ausgaben des Wiederaufbaus zu finanzieren, auch wenn das die Verschuldung des Landes weiter verschärfen wird", sagt Möbert. Experten schließen nicht aus, dass sich das Land von einem Teil seiner Währungsreserven trennen wird. Japan hält amerikanische Staatsanleihen im Wert von fast 900 Milliarden Dollar. Das Land ist damit der drittgrößte Gläubiger der USA. Ein Teilverkauf der Währungsreserven sei denkbar, sagt Möbert. "Zu schwerwiegenden Konsequenzen für die USA wird das aber nicht führen." Zwar ist es im Moment schwierig, Käufer für US-Staatsanleihen zu finden, "aber die US-Notenbank steht im Zweifel als Aufkäufer bereit", sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Hamburger Sparkasse. Allerdings präsentierten sich die Finanzmärkte zuletzt extrem anfällig und nervös.
Es könnten auch Umschichtungen im japanischen Staatshaushalt vorgenommen werden. Geplante Projekte werden verschoben und das Geld in die betroffenen Regionen umgelenkt. Die hohen Schulden dürfte die Regierung nicht von notwendigen Maßnahmen abhalten, um die Folgen des Erdbebens aufzufangen, betonte der japanische Finanzminister Yoshihiko Noda sofort nach der Katastrophe. Allerdings betreibt er damit ein riskantes Spiel. Die Verschuldungsrate der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt beträgt 200 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Zum Vergleich: In der EU gelten höchstens 60 Prozent als vertretbarer Wert. "Die überfällige Konsolidierung der öffentlichen Finanzen wird damit in die fernere Zukunft verschoben", so Leim.
Während das Ausmaß der Schäden noch unklar ist, hat das Beben die Weltbörsen belastet. Der japanische Aktienindex Nikkei verlor binnen Minuten deutlich und schloss mit einem Minus von 1,7 Prozent. Der deutsche Börsenindex DAX fiel erstmals seit zwei Monaten wieder unter die Marke von 7000 Punkten. Größter Verlierer waren Versicherungsaktien.
Das Beben verlängert das kollektive Leiden Japans. Ende der 1980er-Jahre noch als Wachstumsmodell für die ganze Welt gepriesen, ging es plötzlich zügig bergab. Der Börsenindex Nikkei, der 1988 noch bei fast 40 000 Punkten notierte, fiel seit 1990 immer tiefer auf aktuell gut 10 300 Punkte. Grund war eine geplatzte Immobilienblase, die die Banken Milliarden kostete. Nur mühsam kam Japans Wirtschaft zurück.