Der Hamburger Fotokünstler F.C. Gundlach über die Wirkung der Tsunami-Bilder
Hamburg. Selbst ein Fotografie-Profi fühlt sich angesichts der Bilder aus Japan "ungeheuer hilflos". F.C. Gundlach, Gründungsdirektor des Hauses der Photographie in Hamburg, hat fassungslos am Fernseher gesessen. "Die Bilder zeigen, wie fragil unser Leben ist", sagt er, "trotz all der technischen Errungenschaften, von denen wir glauben, dass wir damit die Natur beherrschen." Zum ersten Mal wurde ein Tsunami von einem Hubschrauber aus gefilmt - beim Tsunami in Thailand im Dezember 2004 hatten Touristen nur von Balkons oder vom Strand aus filmen können. Zum ersten Mal wurde die Welt gestern Zeuge, mit welch ungeheurer Wucht sich die Welle - wie eine Kante aus Glas - an die Küste schob, Boote an Piers zerquetschte, Häuser in die Luft wirbelte, ganze Dörfer als braune Schlammbrühe über die Felder schob. "Zwischen dem Erdbeben und der Flutwelle haben nur zehn Minuten gelegen - da gibt es kein Entrinnen, da gibt es nur die Katastrophe. Gerade diese Rasanz macht hilflos", so Gundlach.
Gestern Abend: Die nächtliche Ostküste Japan ist erkennbar als eine Kette von Brandherden. Man erinnert sich an nächtliche Feuerherde bei den Waldbränden in Australien und Kalifornien. Dass aber eine ganze Küste mit Industrieanlagen in Feuerschein gehüllt ist, ist angsteinflößend. Auch F.C. Gundlach erinnert dieser Anblick an historische Luftaufnahmen aus den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs. "Ja, ich habe das damals als 16-Jähriger in Kassel miterlebt - von Menschen gemachte Brandherde, von denen die Feuerstürme am schlimmsten waren. Man sieht an den Fotos aus Japan die Ballung, die Verstädterung der Menschheit in diesem Raum. Japan ist ein Land, das wenig Platz bietet, wo jeder Quadratmeter genutzt werden muss. Nach dieser Katastrophe fragt man sich, ob man es noch riskieren kann, fünf Kilometer von der Küste Atomkraftwerke und Raffinerien zu bauen."
2010 erlebte die Welt schwere Überschwemmungen in Pakistan, den Vulkanausbruch auf Island, das schwere Erdbeben auf Haiti, zuletzt das Beben in Christchurch auf Neuseeland. Besteht die Gefahr, dass es zu viele Katastrophenbilder werden, dass wir abstumpfen? "Ganz sicher", sagt Gundlach. "Die optische Abnutzung von Bildern zeigt sich darin, dass wir keine Kriegsbilder mehr wahrnehmen, auf denen Gefallene und Verletzte zu sehen sind. Die haben wir so oft gesehen. Die Flutkatastrophe in Pakistan im August 2010 betraf eine Fläche so groß wie halb Europa - und sie ist fast vergessen. Dabei bleiben die Probleme doch."
Für den Jahresrückblick des Hamburger Abendblatts hatte F.C. Gundlach im Dezember seine Bilder des Jahres ausgewählt. "Da habe ich keine Kriegsbilder in der Auswahl mehr gezeigt, sondern mich auf Naturkatastrophen konzentriert. Die sind im letzten Jahr in einem Maße aufgetreten, dass man schon Angst um unsere kleine Erde kriegt, auf der wir uns tummeln. Man bekommt das Gefühl, sie beginne sich dagegen zu wehren, was wir ihr alles zumuten." Die Menschen, sagt er, seien ja längst dabei, sich im Internet eine utopische neue Welt zu bauen - "die Cyberwelt als eine Sekundärwelt, die mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Aber wir können uns nicht aus der Verantwortung stehlen."