Was die verheerenden Erdbeben am Pazifischen Feuerring verursacht - der unruhigsten geologischen Zone der Welt
Hamburg. Was am Freitagnachmittag vor der Ostküste Japans genau um 14.46 Uhr Ortszeit geschah, war eine schlagartige Verschiebung des Meeresgrunds um einige Meter. Tief im Erdinneren verhakten sich zwei gigantische Erdplatten ineinander. Über mehr als hundert Jahre hatten sich gewaltige Spannungen aufgestaut, die sich jetzt schlagartig lösten. Das gigantische Erdbeben schickt Wellen durch das Erdinnere, die Forscher am Helmholtz-Zentrum Potsdam, dem deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ), gemessen und schon ein paar Minuten später genauer analysieren konnten.
Um 6.46 Uhr mitteleuropäischer Zeit lösten sich rund 370 Kilometer nordöstlich von Tokio in 15 Kilometern Tiefe die Erdplatten voneinander. Mit einer Stärke von 8,9 wurde Japan vom stärksten Erdbeben erschüttert, das Wissenschaftler dort bis dahin jemals gemessen hatten.
Keine drei Wochen vorher, am 22. Februar 2011, hatte mehr als zehn Flugstunden entfernt ein Beben der Stärke 6,3 die Großstadt Christchurch in Neuseeland getroffen. Und ein Jahr vorher, am 27. Februar 2010, verwüstete ein Beben mit der Magnitude 8,8 die zentralen Regionen Chiles. Von Erdbeben sind vor allem die Länder am Pazifik betroffen. Rings um diesen Ozean zieht sich ein Streifen, in dem sehr häufig Erdbeben auftreten. Diese lösen obendrein oft auch noch Riesenwellen aus, die sogenannten Tsunami. Zwei Drittel aller aktiven Vulkane der Erde liegen in diesem Pazifischen Feuerring, der eine der unruhigsten geologischen Zonen der Welt ist.
Zumindest eine Annahme stimmt nicht: Erdbeben sind nicht häufiger als früher. "Mir ist keine Statistik bekannt, die auf eine Zunahme starker Erdbeben hindeutet", erklärt der GFZ-Forscher Heiko Woith. Hinter diesen Erschütterungen stecken schließlich Kräfte im Erdinneren, die sich in den letzten Jahrhunderten kaum geändert haben. Ganz anders als früher sehen dagegen heute die Küsten rund um den Pazifik aus. Wo früher Mangrovenwälder und wilde Strände waren, stehen heute vielerorts Häuser, Industriegebiete, Häfen. Atomkraftwerke liefern elektrischen Strom, Autobahnen und Eisenbahnschienen ziehen sich durchs Hinterland. Jedes Beben kann daher auch viel größere Schäden anrichten.
Ihre Ursache entdecken Geoforscher tief im Erdinneren. Dort schwimmen Kontinente und Weltmeere auf einer Art zähflüssigem Brei. Große Teile des Pazifiks liegen zum Beispiel auf einer solchen Erdplatte, die vor der japanischen Küste an die Ochotskische Platte grenzt, auf der nicht nur der Norden Japans, sondern auch die Kamtschatka-Halbinsel im äußersten Osten Sibiriens liegt. "Mit einer Geschwindigkeit von acht bis neun Zentimetern im Jahr schiebt sich die pazifische Platte unter die Ochotskische Platte", erklärt GFZ-Forscher Heiko Woith. Reibungslos funktioniert das nicht, im Erdinneren verhaken sich immer wieder Zacken und Vorsprünge der verschiedenen Platten ineinander. Wenn sie sich plötzlich lösen, setzt sich die Umgebung ruckartig in Bewegung.
Die Folgen erleben jetzt die Millionen Menschen, die an der japanischen Küste leben, wo die Pazifische unter die Ochotskische Platte taucht. Da sich die Pazifische Platte nicht waagerecht, sondern schräg unter die Ochotskische Platte schiebt, bewegt sich der Meeresboden bei einem Erdbeben nach oben oder unten. Gleichzeitig werden einige Hundert Kubikkilometer Wasser hochgehoben oder sinken in die Tiefe. So entstehen Tsunami. Trifft diese gewaltige Wassermenge auf eine Küste, sind die Zerstörungen furchtbar.
"Vor der Küste Japans aber taucht die Pazifische Platte relativ flach unter die Ochotskische Platte", erklärt GFZ-Forscher Frank Roth. Als sich die verhakten Platten gestern voneinander lösten, schnellten sie daher vor allem waagerecht weg, nach oben und unten bewegte sich der Meeresgrund weniger. Deshalb fielen die Riesenwellen deutlich kleiner als der Tsunami, der nach einem Seebeben am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 die Küsten des Indischen Ozeans verwüstete. Aber in der weiten Bucht, in der die japanische Universitätsstadt Sendai liegt, türmten sich die Wellen auf zehn Meter auf. Dort zerstörte der Tsunami besonders viel, während die Wellen an weiter entfernten Küsten deutlich weniger Schaden anrichteten.
In Japan wären die Schäden aber noch viel größer ausgefallen, wenn sich das Land nicht seit Jahrzehnten auf solche Erdbeben vorbereitet hätte. Man kann Erdbeben zwar weder auf den Tag genau vorhersagen noch ihre Stärke beeinflussen. Die Folgen aber lassen sich durchaus mildern - zum Beispiel durch Frühwarnsysteme. Sie registrieren die Erdbebenwellen, von denen einige früher als andere eintreffen. Diese schnellen Wellen richten oft gar keine Schäden an. So bleibt bis zu den zerstörerischen Wellen Zeit zu warnen. Weil sich Länder im Pazifischen Feuergürtel wie Japan, Kalifornien, Chile und Neuseeland mit solchen Maßnahmen gut auf Erdbeben vorbereitet haben, gibt es dort viel weniger Todesopfer als beim Erdbeben, das am 12. Januar 2010 Haiti getroffen hatte.