In ihrer neuen TV-Show brachte sie Kinder zum Weinen - so wie sie es ab heute wieder mit den Topmodel-Anwärterinnen tut
Los Angeles. Heidi Klum, 37, ist das Make-up verrutscht. Der Lippenstift hat sich in eine Zone vorgewagt, in die er sich sonst nur nach hemmungslosem Knutschen verirrt. Das Rouge ist so lange verlaufen, bis sich ihr Gesicht in einen Feuermelder verwandelt hat. So sieht sie also aus, die neue Heidi Klum, das deutsche Vorzeigemodel.
Ein Siebenjähriger namens Ethan durfte sie in ihrer neuen amerikanischen TV-Show schminken. Es scheint, als habe er sich eine Figur aus der Verfilmung der Comic-Abenteuer des Superhelden Batman zum Vorbild genommen: den bösen Clown Joker. Die Sendung heißt "Seriously funny kids" und läuft jeden Dienstagabend im Spartensender Lifetime Television.
Kinder werden hinters Licht geführt, um in erster Linie Erwachsene zu erheitern
Das Konzept erinnert an "Verstehen Sie Spaß?" Mit versteckter Kamera werden Kandidaten in eine Falle gelockt. Allerdings handelt es sich nicht um medienerfahrene Profis, sondern um vier- bis achtjährige Kinder. Das kann einerseits lustig sein - etwa, wenn die Kinder auf Heidis Goldfische aufpassen müssen. Plötzlich beginnen die von der Natur zu Verschwiegenheit verdonnerten Viecher zu sprechen. Ein Fisch knurrt "Fütter mich!" mit der Stimme eines Schauspielers, und die Kinder lassen sich auf einen Dialog ein.
Andererseits lassen die Produzenten keinen Zweifel daran, dass sie in erster Linie Erwachsene erheitern wollen. Mag Klum auch beteuern, wie sehr sie Kinder liebe und wie reizvoll es sei, auf ihre Unbefangenheit zu setzen - ihre Show hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. In den schlimmsten Momenten geht es den Kindern wie den Kandidatinnen der Castingshow "Germany's Next Top Model", die heute wieder auf ProSieben startet (20.15 Uhr). In ihrer Hilflosigkeit werden sie dem Gespött der Zuschauer ausgeliefert. Einmal etwa schrammt ein Mädchen am Nervenzusammenbruch vorbei. Gerade hat ihm Klum erzählt, wie schick es sich style. Da klingelt ein Telefon, und ein Journalist fordert das Kind auf, es müsse verkünden, Klum sei die am schlechtesten gekleidete Frau der Welt. Das Mädchen bricht in Tränen aus.
Es ist ein schmaler Grat, auf den sich die vierfache Mutter begeben hat, nachdem sie im Herbst 2010 ihren Abschied als Model für den Dessous-Hersteller Victoria's Secret verkündet hat. Seither versucht sie sich neu zu erfinden. Als Designerin für Umstandsmode, Schöpferin eines Parfüms namens "Heidi Klum Shine", Gesicht des Kosmetik-Konzerns Astor.
Sogar ihre Fans sehen in ihr inzwischen mehr "all american mom" als ein Sex-Symbol. Über ihr Erfolgsrezept hatte sie schon 2005 in ihrem Buch geschrieben: "Es klingt vielleicht krass, aber du musst dich in einen Jemand verwandeln, um deine Haltbarkeit zu verlängern." Dieser Jemand hat jetzt das Gesicht eines bösen Clowns.
In ihrer neuen Show schreckt Klum nicht davor zurück, sich selbst zum Narren zu machen. Mal stellt sie sich schlafend und schnarcht mit offenem Mund. Mal pappt sie sich einen künstlichen Popel an die Nase. Goofy statt Glamour - auf diese Formel hat die "Los Angeles Times" Klums Wiedergeburt gebracht.
Doch was Kritiker eher belustigt, bringt Eltern auf die Palme. Der Zusammenbruch des kleinen Mädchens hat eine Protestlawine ausgelöst. Eltern kritisierten, Klum profiliere sich auf Kosten von Kindern. Dabei wurde die Blondine aus Bergisch Gladbach mit einer Vorliebe für Glücksbringer von den Amerikanern bislang beinahe kultisch verehrt. In der Heimat von Mickymaus lieben sie Geschichten wie die der Deutschen, die einst auszog, sich auszuziehen. Die Präsenz im Fernsehen, es ist ihr wichtigstes Instrument, um sich zu vermarkten. Auch ihre Familie spannt sie mit ein. In Los Angeles führt sie mit Ehemann Seal, 48, und den Kindern Leni, 6, Henry, 5, Johan, 4, und Lou, 1, ein Leben, das beinahe zu perfekt für eine Durchschnittsfamilie ist. Doch in den USA gilt sie dennoch als authentisch.
Inzwischen ist der Protest über das neue TV-Format wieder ein wenig verebbt. Was wohl auch daran liegt, dass die Kinder in ihrer Show den Spieß jetzt auch mal umdrehen dürfen. Heidi in verrutschter Kriegsbemalung. Es war ein Bild, das ihre Kritiker wieder mit der Frau versöhnen dürfte, der der Ruf einer gestrengen, wenn nicht gar gnadenlosen Model-Mutti vorauseilt.
Wenn von heute an, in der sechsten Staffel der ProSieben-Show, wieder das darwinistische Prinzip der natürlichen Auslese auf die jungen Frauen, die ihrem Idol nacheifern, übertragen wird, gibt die schöne Heidi auch wieder den bösen Clown. Weiter kommt, wer sich dem Klum-Regime bedingungslos unterwirft: Wer sich bereitwillig von solariengebräunten PR-Bossen betatschen lässt und es erträgt, dass ihn Heidi und ihre Helfer wie Keksteig ausrollen, um daraus je nach Lust und Laune Sterne oder Enten auszustechen.