Nach 24 Jahren gibt es in Deutschland wieder eine Volkszählung. Sie heißt Zensus 2011 und beginnt offiziell am 9. Mai. Eine Mischerhebung.

Vielleicht läuft es am 9. Mai so ab: Es klingelt an einer Haustür in Hamburg, die Bewohner öffnen, der Besuch stellt sich vor. "Schönen guten Tag, wir sind für den Zensus unterwegs. Wenn Sie uns einen kurzen Moment Ihre Aufmerksamkeit schenken könnten. Wir haben hier 46 Fragen an Sie, deren Beantwortung nur wenige Minuten dauert." Auf der anderen Seite wird die Visite womöglich für Verblüffung sorgen und in die Reaktion münden: "Zensus? Noch nie gehört. Wiedersehen!"

Fakt ist: 90 000 Hamburger werden in vier Monaten solche Hausbesuche bekommen. Denn vom 9. Mai an wird es erstmals nach 24 Jahren wieder eine Volkszählung geben, wobei sich die Bevölkerungsinventur anno 2011 nicht mehr Volkszählung nennt, sondern Zensus. Der technokratische Name bezeichnet nicht nur eine Mischerhebung aus Befragungen, Anschreiben und Registerabgleichen, er bedeutet auch, dass nur noch jeder dritte Bundesbürger direkt an der Zählung beteiligt wird. Ganz im Gegensatz zur Volkszählung 1987, als Westdeutschland das letzte Mal auf seine Einwohnerzahl überprüft wurde und nahezu jeder Bürger Besuch bekam. Im Osten des Landes liegt dieses Ereignis übrigens schon 30 Jahre zurück - dementsprechend ungenau, schätzen Statistiker, dürften inzwischen die Grundlagen politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen im vereinigten Deutschland sein. Auch deshalb verordnete die Europäische Union im Jahr 2008 den Zensus, wonach in allen Mitgliedstaaten nach einheitlichen Richtlinien gezählt werden soll.

Insofern muss 2011 nur jeder zehnte Deutsche direkt an der Haustür Auskunft geben. In Stadtstaaten wie Hamburg werden aufgrund des Berechnungsmodells sogar nur Angaben von fünf Prozent aller Haushalte benötigt, also rund 90 000, während in Flächenländern wie Schleswig-Holstein der Anteil mehr als zehn Prozent beträgt. Das Drittel aller mit dem Zensus konfrontierten Bundesbürger wird voll, weil zudem 17,5 Millionen Immobilieneigentümer Post von den statistischen Landesämtern erhalten, um Auskunft über die Belegung ihrer Gebäude zu geben. Allein in Hamburg werden momentan Eigentümer von 266 000 Wohngebäuden angeschrieben. Die Angaben sollen später mit den Haushaltsbefragungen abgeglichen werden. Genau genommen startet der Zensus also bereits jetzt, wie Hamburgs Zensus-Referatsleiterin Annette Olbrisch sagt, mit den Vorbefragungen der Grundeigentümer. Ende des Jahres sollen dann alle mündlichen und schriftlichen Angaben eingesammelt sein. Aus dem Abgleich mit örtlichen Melderegistern sowie denen der Agentur für Arbeit speist sich schließlich das Ergebnis des Zensus 2011. Und laut Statistikern soll es "präzise" und datenschutzrechtlich korrekt sein.

Am Starttag der Volkszählung, es wird ein Montag sein, sollen sich rund 500 ehrenamtliche, noch anzuwerbende Interviewer in Hamburger Stichproben-Haushalten vorstellen. Und weil Auskunftspflicht herrscht, ist es keine gute Idee, den Zensus-Helfern, die 7,50 Euro für ein erfolgreich absolviertes Gespräch erhalten, die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Lediglich die Bitte, die Antworten auch schriftlich oder im Internet abzugeben, ist zulässig. Wer sich ganz verweigert, wird wohl mit einem Zwangsgeld in Höhe von 300 bis maximal 500 Euro rechnen müssen.

Sind alle Auskünfte gesammelt, soll es gut eineinhalb Jahren dauern, bis das Ergebnis 2012 vorliegt. Und aller Voraussicht nach wird die Erhebung einige Karteileichen zutage fördern, was einen deutschlandweiten Schrumpfungsprozess ans Licht bringen könnte. "Aktuell gehen wir davon aus, dass die Einwohnerzahl Deutschlands mit 81,8 Millionen um 1,3 Millionen Bürger zu hoch angegeben ist", sagt etwa Gerhard Winck vom Statistikamt Nord. Weil aber regional unterschiedliche Ergebnisse erwartet werden, falle eine Prognose für Hamburg schwer.

Sollte sich - wie etwa nach der Volkszählung 1987 - herausstellen, dass Hamburg mehr Einwohner als bislang angenommen hat, hätte das auch Folgen für die Stadtkasse. Vor 24 Jahren hatte die Stadt plötzlich Anspruch auf rund 35 Millionen Mark mehr Umsatzsteuer und musste rund 75 Millionen Mark weniger in den Topf des Länderfinanzausgleichs zahlen. Zu aktuellen monetären Erwartungen äußert sich die Finanzbehörde aber zurückhaltend: "Noch können wir nicht sagen, wie sich das Ergebnis des Zensus auf Hamburgs Finanzen auswirken wird", sagt Behördensprecherin Ramona Feudel.

Indes werden die Befragten ziemlich persönliche Auskünfte geben müssen. 46 Fragen widmen sich nämlich nicht nur den üblichen Standards wie Name, Adresse, Alter, Bildung und Arbeitsverhältnisse, sondern gehen auch über die Mindestanforderungen der EU hinaus. So werden unter anderem Weltanschauung und Glaubensrichtungen des Islams (freiwillig) oder die Herkunft der Eltern bei Migrationshintergrund (Pflicht) gefordert. Zudem muss angegeben werden, ob man in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft oder Ehe lebt. "Wir erhoffen uns damit weitere Erkenntnisse im Hinblick auf Migration und Integration", sagt Statistiker Gerhard Winck.

Doch nicht zuletzt wegen solcher Fragen fürchten Kritiker erneut den "gläsernen Bürger". So legten bereits vor Jahresfrist 13 000 Kritiker Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein, weil sie glauben, Daten aus den Statistischen Landesämtern könnten zurück an Behörden gespielt werden. Die Klage wurde zwar mittlerweile abgewiesen, aber daneben treibt den "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" die Sorge um, die beim Zensus vergebene Ordnungsnummer könne die Identität der dazugehörigen Person ersichtlich machen. Die Statistischen Ämter beteuern aber, die Ordnungsnummer werde den geschlossenen Bereich nicht verlassen.

Der Aufstand gegen die Bevölkerungsinventur hat Tradition: Bereits 1983 wurde der erste Anlauf für eine Volkszählung in der Bundesrepublik gekippt, damals stellte sich unter anderem Günter Grass gegen die Erhebung. Und tatsächlich war seinerzeit eine Klage beim Bundesverfassungsgericht von Erfolg gekrönt. Weil auf die strikte Trennung von Statistik und Verwaltung gepocht wurde, musste die Volkszählung abgeblasen und 1987 nachgebessert nachgeholt werden.

Im Jahr 2011 kritisiert Hamburgs Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar vor allem die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, mit den festgelegten Erhebungsdaten über die europarechtlichen Vorgaben hinauszugehen. "Das ist aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht zu begrüßen." Beim Bekenntnis zu einer Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung müsse den Befragten vorher in jedem Fall klargemacht werden, dass es sich um freiwillige Angaben handelt. Dennoch sehe Caspar kein Gläserner-Bürger-Szenario: "Über Aufwand und Nutzen kann man sicher geteilter Ansicht sein. Aber die amtliche Statistik ist Grundlage für viele gesellschaftspolitische Entscheidungen. Der Zensus, dessen vornehmliches Ziel die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl ist, liefert damit die Grunddaten für das Gesamtsystem der amtlichen Statistik." Gleichwohl sei aus Sicht des Datenschutzes wichtig, dass das Recht des Bürgers auf Überschaubarkeit der Datenverwendung gewahrt bleibe und es zu keinem Rückfluss von Einzeldaten in die Behörden komme. Caspar vertrete weiterhin die grundsätzliche Meinung: "Der Staat muss nicht alles wissen."

Dafür muss der Staat aber viel für den Zensus bezahlen. Die Kosten der Erhebung werden insgesamt mit 710 Millionen Euro angegeben. Laut Gerhard Winck müsse Hamburg nach Abzug aller Bundeszuschüsse mit 5,2 Millionen Euro rechnen.

Und warum das Ganze? "Die Neujustierung der Bevölkerungszahlen und die Aktualisierung vieler anderer Merkmale des bevölkerungsstatistischen Systems sind für den Bund von großem Wert ebenso wie für die Länder und die Kommunen", sagt der Statistiker.

www.zensus2011.de , www.statistik-nord.de