Helfer sprechen von einer “Mega-Katastrophe“. Die Pakistaner fühlen sich von ihrem Präsidenten Zardari im Stich gelassen.
Genf/Islamabad. Nach massiver Kritik an seiner Auslandsreise während der Jahrhundertflut in Pakistan ist Präsident Asif Ali Zardari in seine Heimat zurückgekehrt. Er führte seine lange Europareise nicht nur wie geplant zu Ende, sondern unternahm am Schluss sogar noch einen zunächst nicht vorgesehenen Abstecher nach Syrien. Zardari traf am Dienstag in der südpakistanischen Wirtschaftsmetropole Karachi ein. Der Präsident plane nun einen Besuch im Katastrophengebiet, „um sich aus erster Hand ein Bild von der Zerstörung zu machen“, sagte ein Regierungsvertreter. Zunächst habe der Präsident sich bei einem Treffen in Karachi mit Behördenvertretern über die Lage informiert.
Zardari hielt sich in Frankreich, Großbritannien und Syrien auf, während die Flutkatastrophe mit schätzungsweise mehr als 1800 Toten immer größere Ausmaße annahm. Nach Angaben der Regierung sind fast 14 Millionen Menschen von den schwersten Überflutungen in der Geschichte Pakistans betroffen .
Opposition und Öffentlichkeit warfen Zardari „Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid seines Volkes“ vor. Politische Analysten bezeichneten Zardaris Abwesenheit als seinen schwersten politischen Fehler überhaupt. Seine Beliebtheitswerte sind Umfragen zufolge im Keller. In der englischen Stadt Birmingham hatte ein Pakistaner den Präsidenten mit seinen Schuhen beworfen, was in der islamischen Welt als Zeichen höchster Geringschätzung gilt.
Wegen drohender Überflutungen ordneten die Behörden unterdessen die Evakuierung der Stadt Muzaffargarh in der zentralpakistanischen Provinz Punjab an. Mehr als 450 000 Einwohner verließen die Stadt, ebenso wie über 300 000 Dorfbewohner, die in Muzaffargarh Zuflucht gesucht hatten. „Es war wie ein Weltuntergang“, sagte der örtliche Journalist Mohammad Ali. „Nachdem die Regierung die Menschen am Montag dazu aufgerufen hatte, die Stadt zu verlassen, rannte jeder um sein Leben.“ Nur einige Männer seien zurückgeblieben, um Häuser zu bewachen. Dennoch soll es zu Plünderungen gekommen sein.
In der am schlimmsten betroffenen Provinz Khyber-Pakhtunkhwa ließen die Regenfälle am Dienstag etwas nach. Hubschrauber, die wegen des schlechten Wetters zwei Tage lang am Boden bleiben mussten, konnten die Rettungsarbeiten fortsetzen. Für die Helfer ist die Jahrhundertflut in Pakistan nach Einschätzung der Vereinten Nationen einer der schwierigsten Noteinsätze aller Zeiten. Knapp zwei Wochen nach dem Beginn der heftigsten Monsunregenfälle seit mehr als 80 Jahren sagte der Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Andrej Mahecic, am Dienstag in Genf: „Tausende Dörfer und Städte haben Überflutungen in einem solchen Maßstab seit Generationen nicht gesehen.“
Das Genfer UN-Büro zur Koordination der humanitären Nothilfe spricht von 14 Millionen Opfern, die mittlerweile „direkt oder indirekt“ von der Flut betroffen seien. Davon seien mindestens sechs Millionen akut auf „Unterstützung zum Überleben“ angewiesen. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef bezifferte die Zahl der betroffenen Kinder auf sechs Millionen - darunter 2,7 Millionen, die mit „direkten Konsequenzen“ wie Hunger und Krankheit zu kämpfen hätten. „Die Hilfseinsätze sollten noch einmal massiv aufgestockt werden“, mahnte ein Sprecher. Nach UN-Angaben sagten die Mitgliedstaaten bislang 91 Millionen US-Dollar (69 Millionen Euro) zu. Deutschland beteiligte sich mit etwa 2,6 Millionen Dollar (2,0 Millionen Euro).
Die Hilfsorganisation Oxfam sprach am Dienstag von einer „Mega-Katastrophe“ , die eine internationale „Mega-Reaktion“ erfordere. Die Welthungerhilfe nannte die Flut eine „Katastrophe historischen Ausmaßes“ und kündigte an, die Hilfe auszuweiten. Das Welternährungsprogramm (WFP) setzt weiter auf Hubschrauber, um in abgeschnittene Regionen wie das Swat-Tal zu gelangen. „Manchmal benutzen wir auch Esel“, meinte eine Sprecherin. Am Mittwoch will UNHCR in New York weitere Mittel für 560 000 Flutopfer beantragen.
Im indischen Teil von Kaschmir sind nach Überschwemmungen und Erdrutschen zahlreiche ausländische Touristen gestrandet. Sie sitzen in der abgelegenen Region Ladakh fest, wie die Nachrichtenagentur IANS am Dienstag meldete. Nach unbestätigten Berichten kamen mindestens sechs Menschen ums Leben, ebenso viele werden noch vermisst. Nach Angaben der Behörden in Ladakh wurden 76 Ausländer in einer Kaserne in Pang untergebracht, unter ihnen auch Deutsche. Die meisten von ihnen strandeten auf der Straße von Manali nach Leh, dem Hauptort von Ladakh. Mehrere hundert Ausländer warten in Leh auf eine Gelegenheit, aus Ladakh auszufliegen.