Die Steuerungsfähigkeit des Hauptangeklagten war möglicherweise beeinträchtigt. Brunners Ex-Freundin nennt ihn hilfsbereit und friedlich.
München. Der Hauptangeklagte im Mordprozess Dominik Brunner war nach seiner Festnahme am Münchner S-Bahnhof Solln so stark angetrunken, dass seine „Steuerungsfähigkeit unter Umständen beeinträchtigt“ gewesen sein könnte. Der damals 18-jährige Markus S. habe neben Spuren von Cannabis auch 1,46 Promille Alkohol im Blut gehabt, teilte der Vorsitzende Richter Reinhold Baier am Dienstag mit. Bei der Blutentnahme zwei Stunden nach der Tat sei sein Gang sicher und das „Denkvermögen geordnet“, aber seine Sprache verwaschen gewesen. Der ein Jahr jüngere Mitangeklagte Sebastian L. war nüchtern.
Brunners Freundin Petra P. beschrieb den 50-Jährigen als sehr hilfsbereiten und keineswegs aggressiven Menschen. „Er ist schon jemand gewesen, der sich eingemischt hat und versucht hat zu schlichten“, sagte sie vor der Jugendkammer des Landgerichts München. Er habe einmal einen Selbstverteidigungskurs und vor 15 Jahren auch ein Boxtraining gemacht, aber sie habe ihn nie in einer tätlichen Auseinandersetzung erlebt. „Er war nicht aufbrausend“, sagte sie. „Wenn es Streit gab, hat er versucht, es so ruhig wie möglich zu regeln.“ Außer Heuschnupfen habe Brunner „keine gesundheitlichen Probleme gehabt“, sagte die langjährige Freundin, die Ärztin ist. „Er hat nie über Herzbeschwerden geklagt. Über so was hätten wir ganz sicher geredet.“ Brunner sei regelmäßig zum Schwimmen, Joggen und auch ins Fitnesstraining gegangen. Für Brunners Eltern sei der Tod ihres einzigen Sohns eine Katastrophe, sagte sie. „Für sie ist es eigentlich sinnlos geworden zu leben.“
Sanitäter fanden Brunner ohne Puls und Atmung
Zwei Rettungssanitäter berichteten, sie seien am 12. September 2009 gegen 16.20 Uhr auf dem Bahnsteig in Solln eingetroffen und hätten Brunner leblos am Boden vorgefunden - ohne Atmung, ohne Puls, ohne Pupillenreflex und blau im Gesicht. Weil der Rachen blutig gewesen sei, sei eine Intubation zur Beatmung erst beim zweiten Versuch geglückt. Immer wieder sei ein Herzkammerflimmern aufgetreten, das auch mit Stromstößen eines Defibrillators nicht dauerhaft zu beheben gewesen sei. „Wir haben es etwa fünf Mal geschafft, ihn kurz wiederzubeleben“, sagte einer der Rettungssanitäter, der Medizinstudent ist. Eine Stunde lang hätten sie und wenig später ein Notarzt auf dem Bahnsteig versucht, Brunner mit Herzmassage und Beatmung zu reanimieren. Aber das Herz sei immer wieder stehengeblieben. Brunner sei nicht mehr zu Bewusstsein gekommen. Äußerlich habe Brunner wenig Verletzungen gehabt, sagten die beiden Zeugen. Ihnen sei Blut am Mund, zwei kleine Blutungen an der Stirn und eine Wunde am Hinterkopf aufgefallen. Markus S. und Sebastian L. sind angeklagt, den 50-jährigen Brunner am S-Bahnhof Solln totgeprügelt und -getreten zu haben, weil er vier Schüler vor einem Raubüberfall verteidigt hatte. Sie haben die Schläge gestanden, aber jede Tötungsabsicht bestritten.
Beschimpfungen und Schmerzensschreie
Ein vollständiges Tonband von der tödlichen Schlägerei auf dem S-Bahnhof Solln und dem Stöhnen des sterbenden Dominik Brunner ist am Dienstag im Mordprozess vor dem Landgericht München abgespielt worden. Es dokumentiert den Beginn der Auseinandersetzung um 16.10 Uhr, als Brunner den beiden Angeklagten zurief: „Einen erwischt's gleich! Ich nehm einen mit!“. Die beiden Angeklagten schrien „Du Sau! Du Bastard! Du Arschloch!“ Danach waren Schmerzensschreie Brunners zu hören. Männer und Frauen riefen immer wieder: „Aufhören! Hört auf, Ihr Idioten!“ Um 16.12 Uhr lag Brunner leblos auf dem Boden, und bei der Polizei waren schon mehrere Notrufe eingegangen. Wie die Sprachwissenschaftlerin Rafaela Lauf vom Landeskriminalamt erklärte, war Brunners Handy in seiner Tasche und hatte offenbar per Wahlwiederholung Verbindung mit der Notrufzentrale hergestellt. Um 16.05 Uhr hatte er aus der S-Bahn die Polizei angerufen und mit ruhiger Stimme mitgeteilt, zwei junge Männer wollten gerade zwei andere junge Männer ausrauben. „Ich steig' mit denen aus, ich nehm die mit, die jungen Leut'“, sagte Brunner kurz vor der Ankunft der S-Bahn in Solln.
Nach unverständlichen Sätzen der Angeklagten und Brunners Drohung ist einer der Angeklagten zu hören: „Komm her, Mann, du Dreckschwein!“ Kurz darauf sind immer wieder Schmerzensrufe und das Stöhnen Brunners zu hören. Die Schläger schreien: „Du Bastard! Du Arschloch“, während Männer und Frauen rufen: „Schluss da drüben! He! Lass ihn!“ Die Täter brüllten: „Was willst du, Mann? Verpiss dich, du Wichser! Scheiß-Spasti! Eh, Alter, fuck, Mann! Du Motherfucker!“ Ein Mann rief: „Lieber Gott!“ Zur gleichen Zeit gingen die ersten Anrufe von Augenzeugen bei der Notrufzentrale ein. Keine zwei Minuten nach dem Beginn der Auseinandersetzung rief ein Mann: „Bleibt mal schön hier!“, während eine Frau sagte: „Scheiße! Ruft mal irgendjemand einen Krankenwagen?“
Das Urteil soll am 6. September verkündet werden.