Das mysteriöse Verschwinden des dreijährigen britischen Mädchens Madeleine „Maddie“ McCann vor fünf Jahren in Portugal ist bis heute nicht geklärt.
London. Fünf Jahre nach dem spurlosen Verschwinden der kleinen Maddie will die britische Polizei den Fall in Portugal neu aufrollen lassen. Es gebe Anhaltspunkte für Ermittlungslücken, teilte Scotland Yard gestern in London mit. Deshalb könne nicht ausgeschlossen werden, dass Madeleine McCann noch lebt. "Wir sind diese Überprüfung vollkommen offen angegangen", erklärte Ermittler Andy Redwood von Scotland Yard. "Wir arbeiten hier auf der Basis von zwei Möglichkeiten: Die eine ist, dass Madeleine noch lebt, die andere, dass sie tot ist, was sehr traurig wäre."
Wie genau die Hinweise aussehen, dass Maddie noch leben könnte, wollte die Polizei nicht sagen. "Es gibt Lücken", bestätigte Redwood und bezog sich auf den zeitlichen Ablauf der Ereignisse in der portugiesischen Ferienanlage, aus der das Mädchen im Mai 2007 verschwunden war. Daraus lasse sich die Möglichkeit ableiten, dass Maddie entführt wurde und noch leben könnte, erklärte Redwood, der insgesamt siebenmal in Portugal war. Die portugiesische Polizei hatte die Ermittlungen 2008 eingestellt. Für ein Verbrechen gebe es keine Beweise, hieß es damals.
"Wir wollen, dass der Fall wieder geöffnet wird", sagte Redwood. "Die Entscheidung liegt bei Portugal." Man hoffe, dass das britische Außenministerium helfen werde. Die portugiesische Polizei wollte sich zunächst nicht äußern. Was mit dem Mädchen passiert ist, ob es entführt oder getötet wurde, ist bisher völlig unklar.
Die britische Polizei veröffentlichte ein neues Bild, das zeigt, wie Maddie heute im Alter von neun Jahren aussehen könnte: ein hübsches blondes Mädchen mit graugrünen Augen und sanftem Lächeln. Redwoods Vorgesetzter Simon Foy, Chef des Dezernats Mord und Schwerverbrechen bei Scotland Yard, sagte zu dem am Computer simulierten Bild: "Wir wollten rüberbringen, dass eine Möglichkeit besteht, dass sie noch am Leben ist." Gleichzeitig rief die Polizei erneut zur Mithilfe bei der Suche auf. Jeder, der einen Verdacht habe, wo Maddie sein könnte, solle sich melden. Laut Scotland Yard sind nicht alle Personen aus der Ferienanlage, in der die McCanns 2007 gewohnt hatten, aufgespürt und befragt worden.
Das Team bei Scotland Yard, das für die Untersuchung des Falls zuständig ist, hat rund 40 000 Informationen - zusammengenommen sind das 100 000 Seiten. Diese stammen sowohl von den portugiesischen und britischen Behörden als auch von den privaten Ermittlern, die von Maddies Eltern angestellt worden waren. Bisher hat man 195 neue Ermittlungsmöglichkeiten aus altem und neuem Material abgeleitet. Diese sollen an die portugiesischen Kollegen weitergegeben werden.
Warum die britische Polizei gerade jetzt wieder auf Portugal zugeht, darüber kann nur gerätselt werden. Demnächst jährt sich das Verschwinden des Mädchens zum fünften Mal. Premierminister David Cameron hatte über seine Innenministerin Theresa May persönlich die Untersuchungen in Auftrag gegeben. Zwei Millionen Pfund (2,4 Millionen Euro) kosteten sie bisher. Vor allem Familien, die ein ähnliches Schicksal wie die McCanns erlitten haben, fragen nun öffentlich: Ist das Geld gerecht verteilt?
Maddie war am 3. Mai 2007 im Alter von fast vier Jahren aus einer Luxus-Ferienanlage in Praia da Luz an der Algarve verschwunden. Ihre Eltern, Kate und Gerry McCann, starteten darauf eine beispiellose weltweite Suchaktion. Prominente, unter ihnen Fußballstar David Beckham, riefen zur Hilfe auf und setzten insgesamt vier Millionen Euro zur Belohnung für Hinweise aus. Zwei Jahre nach Maddies Verschwinden flehten ihre Eltern mögliche Entführer um die Freilassung ihrer Tochter an. Sie nutzten dazu ein Gespräch mit der US-Talkshow-Queen Oprah Winfrey, das Millionen Zuschauer sahen. Im Mai 2011 veröffentlichte Kate McCann ein Buch mit ihrer Version der Geschichte, in dem sie unter anderem ihre Qualen und Zerrissenheit nach dem Verschwinden ihrer Tochter beschreibt. Nach außen sei sie aber immer gefasst aufgetreten. Bis heute treten die McCanns öffentlich auf und bitten um Unterstützung.
Zwischendurch geriet das Ärzte-Paar selbst in Verdacht, mit dem Verschwinden etwas zu tun zu haben. Doch Redwood hat diesen Verschwörungstheorien eine Absage erteilt. Er ist überzeugt, dass Madeleines Verschwinden die Straftat eines Fremden sei. Immer wieder melden sich noch heute Menschen bei der Polizei, die Maddie irgendwo gesehen haben wollen. Ein Sprecher der Eltern äußerte sich zu der neuen Entwicklung. Er sagte nur, dass diese mit dem neuen Bild sehr zufrieden seien. Sie könnten eine starke Familienähnlichkeit erkennen. "Sie hoffen und beten, dass dies zu dem Durchbruch führt, auf den sie seit fünf Jahren warten. Sie schöpfen viel Kraft aus der Beteiligung von Scotland Yard."
Die Chronologie im Fall "Maddie"
3. Mai 2007: Madeleine verschwindet aus einer Luxus-Ferienanlage in Praia da Luz an der portugiesischen Algarve-Küste. Die Eltern, ein britisches Ärzte-Paar, waren in der Nähe der Ferienanlage beim Abendessen. Ihre drei Kinder ließen sie schlafend zurück.
7. Mai: Im britischen Fernsehen fleht Madeleines Mutter mögliche Entführer an, das Kind freizulassen. Die Eltern wenden sich mit einer Medienkampagne an die Öffentlichkeit. Fotos der blonden Maddie gehen um die Welt. Kurz darauf ruft Fußballer David Beckham zur Hilfe auf. Prominente setzen vier Millionen Euro als Belohnung für Hinweise aus.
15. Mai: Die Polizei verdächtigt einen Briten. Er bestreitet die Vorwürfe.
5. August: Leichenspürhunde sollen Spuren entdeckt haben, die darauf hindeuten, dass Madeleine im Hotelzimmer gestorben ist. Die Spuren stammen aber wahrscheinlich nicht von dem Mädchen. Dennoch gehen die Ermittler davon aus, dass Madeleine in der Wohnung umgekommen ist. Die Fahnder konzentrieren sich auf die Eltern und deren Bekannte.
6. September: Beide Eltern gelten nun offiziell als Verdächtige. Medien zufolge geht die Polizei davon aus, dass es ein „Unglücksfall“ war und sie die Leiche verborgen haben.
Juli 2008: Die portugiesische Polizei stellt die Ermittlungen ohne Ergebnis ein. Für ein Verbrechen gebe es keine Beweise. Der Fall sei aber noch nicht zu den Akten gelegt.
Januar 2009: Ein Team ehemaliger Fahnder von Scotland Yard hat sich im Auftrag der Eltern auf die Suche nach Madeleine gemacht, wie Medien berichten. Finanziert wird die Aktion von einem wohlhabenden Geschäftsmann.
Mai 2009: Zwei Jahre nach Maddies Verschwinden flehen ihre Eltern mögliche Entführer um die Freilassung ihre Tochter an. Sie nutzen dazu ein Gespräch mit der US-Talkshow-Queen Oprah Winfrey, das Millionen Zuschauer sehen.
März 2010: Die Eltern fordern Einsicht in Ermittlungs-Unterlagen, die die portugiesische Polizei ihnen bisher vorenthalten haben soll.
März 2011: Madeleines Eltern protestieren vergeblich gegen den Verkauf eines Buches, das der portugiesische Ex-Chefermittler Gonçalo Amaral über den Fall geschrieben hat. Er vertritt im Kern die These, dass das Kind im Jahr 2007 bereits im Urlaubshotel der Familie in Portugal gestorben ist und nicht entführt wurde. Die Eltern hätten etwas mit dem Verschwinden zu tun gehabt.
Mai 2011: Die Mutter Kate McCann veröffentlicht ein Buch mit ihrer Version der Geschichte. In den Memoiren beschreibt sie unter anderem ihre Qualen und Zerrissenheit nach dem Verschwinden ihrer Tochter, die sie an den Rand des Zusammenbruchs gebracht habe. Nach außen sei sie aber immer gefasst aufgetreten.
Mitte Mai 2011 kündigt die britische Polizei an, den Fall erneut zu untersuchen. Die Ermittlungsakten würden erneut überprüft, kündigt Premierminister David Cameron an.
25. April 2012: Die britische Polizei erklärt, dass Maddie möglicherweise noch am Leben ist.
Mit Material von dpa