Toshikazu Sugaya saß mehr als 17 Jahre lang für ein Verbrechen im Gefängnis, das er nicht begangen hat. Das ergab eine DNA-Analyse.
Tokio. Mehr als 17 Jahre saß Toshikazu Sugaya im Gefängnis - für ein Verbrechen, das der Japaner nie begangen hat. Stundenlang hatten die Ermittlungsbeamten den Busfahrer damals beim Verhör so harsch unter Druck gesetzt, dass er am Ende einknickte und gestand, der Mörder der vierjährigen Mami Matsuda zu sein. Sein falsches Geständnis und eine fehlerhafte DNA-Analyse reichten den Richtern aus, Sugaya 1993 zu lebenslanger Haft zu verurteilen. Am Freitag sprach das dasselbe Gericht den Mann auf Basis einer neuen DNA-Analyse frei und entschuldigte sich bei dem heute 63-Jährigen.
Der spektakuläre Fall hat ein Schlaglicht auf Japans umstrittenes Justizsystem geworfen und könnte möglicherweise eine Wende bewirken. „Japans Strafrechtssystem entspricht nicht den internationalen Standards“, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die Verurteilungsrate liegt bei 99 Prozent, oft basierend auf Geständnissen. Manche Geständnisse kommen Kritikern zufolge jedoch erst auf massivem Druck hin zustande. Amnesty International forderte die Regierung nach Sugayas Freilassung im vergangenen Juni auf, die Justiz von Grund auf zu reformieren.
So müsse Japan endlich die im In- und Ausland kritisierten „daiyo kangoku“ (Ersatzgefängnisse) abschaffen. In ihnen werden Verdächtige bis zu 23 Tage festgehalten, ohne dass eine Anklage vorliegt. Menschenrechtler sehen in diesen Gefängnissen eine Brutstätte für erzwungene Geständnisse und falsche Anschuldigungen. Um Fälle wie den von Sugaya künftig zu verhindern, fordert auch Japans Anwaltsverband, Verhöre vollständig auf Video aufzuzeichnen. Wenn es um faire Verhöre in Anwesenheit von Anwälten gehe, hinke Japan anderen Staaten wie den USA oder auch anderen asiatischen Ländern hinterher.
Justizministerin Keiko Chiba zeigte sich am Freitag vor Journalisten gewillt, die Beweisaufnahme und Verhörmethoden zu überprüfen, um falsche Geständnisse künftig zu verhindern. „Es ist nötig, die Beweisprüfung systematisch und rechtlich zu überprüfen und Videoaufzeichnungen des Verhörprozesses zu erwägen“, sagte sie. Doch bei den Ermittlungsbehörden gibt es nach Medienberichten noch Widerstände, die Verhöre in voller Länge aufzuzeichnen.
Die Ermittler befürchten, bei einer Aufzeichnung nur noch schwer Vertrauen zu den Verdächtigen aufbauen und so die Wahrheit herauskriegen zu können. Menschenrechtler sprechen indes von Psychofolter. Japanische Staatsanwälte verfolgten gewöhnlich einen Fall nur dann, wenn sie auch sicher seien, dass sie ihn am Ende gewinnen. Dabei setzten sie ganz stark auf Geständnisse.
Sugaya sollen die Ermittler während stundenlanger Verhöre getreten und an den Haaren gerissen haben. „Ich war ein normaler Bürger, der nie Scherereien mit der Polizei hatte. Aber sie haben mich zu einem Kriminellen gemacht und mich ins Gefängnis geschickt“, zitierten Medien den 63-Jährigen. Der Busfahrer aus Ashikaga, rund 80 Kilometer nördlich von Tokio, hatte zunächst ein Geständnis abgelegt, es aber widerrufen und auf unschuldig plädiert.
„Falsche Geständnisse sind die Hauptursache für falsche Anschuldigungen. Aber in Japan haben auch die Gerichte Schuld, die solche Geständnisse nicht anzweifeln“, sagte ein wegen Raubmordes Verurteilter der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo. Auch er hatte gestanden, wartet aber jetzt auf die Wiederaufnahme des Verfahrens.
Sugayas Verurteilung zu lebenslanger Haft wurde 1996 von der nächst höheren Distanz und 2000 dann auch vom Obersten Gerichtshof bestätigt. 2009 nahm der Fall jedoch eine Wende, als eine von seiner Verteidigung geforderte neue DNA-Analyse den endgültigen Beweis lieferte, dass Sugaya nicht der Mörder ist. Dies ebnete den Weg zur Wiederaufnahme des Verfahrens im Juni. Am Freitag verbeugten sich die drei Richter vor Sugiya und baten um Verzeihung.