Wurde im Schlafsaal geredet, gab es Ohrfeigen für alle Jungen. Münchner Sonderermittler will Skandal aufklären.

Ettal/Regensburg. Im Internat herrschte ein "Klima des organisierten Schweigens und Wegsehens": Die katholische Kirche in Deutschland kommt nicht zur Ruhe. Am Freitag wurden neue Details des Missbrauchsskandals im bayerischen Kloster Ettal bekannt. Mindestens zehn Padres haben jahrzehntelang Schüler schwer misshandelt. Dies geht aus dem Zwischenbericht des externen Sonderermittlers Thomas Pfister hervor, den der Münchner Strafverteidiger in Ettal der Öffentlichkeit vorstellte.

Darin kommt Pfister zu dem Ergebnis, dass über Jahrzehnte hinweg etwa 100 Kinder und Jugendliche durch Mönche des Klosters "massiv misshandelt worden sind, und zwar in sexueller, physischer und psychischer Art und Weise". Auch heute soll es Pfister zufolge Misshandlungen geben. Der auf der Pressekonferenz anwesende Schulleiter Wolf Rall sagte, dass es heutzutage nur noch "leichte Kopfnüsse" gebe. Pfister widersprach dieser Aussage vehement. Kinder hätten sich weinend an ihn gewandt und ihm zu verstehen gegeben, dass es sich um mehr als nur "leichte Kopfnüsse" handelte. Dem Anwalt wurden nach dessen Angaben im Zuge seiner Ermittlungen "erschütternde Berichte" von vielen ehemaligen Schülern zugetragen. So berichtete ein Opfer, in den 60er-Jahren seien Übergriffe bis hin zur Prügelstrafe "tägliche Praxis" gewesen. Diese Übergriffe seien "vollkommen offen praktiziert" worden. Ein anderer Ex-Schüler bezeichnete die früheren Verhältnisse in der Schule als "absoluten Terror". Im Schlafsaal habe es Ohrfeigen für alle Schüler gegeben als Strafe dafür, dass zuvor einer von ihnen etwas gesagt habe. Eine andere Methode sei gewesen, zwei Nachtkästchen zusammenzurücken und zwei Schüler sich daraufstellen zu lassen, die sich gegenseitig ohrfeigen mussten. Wer zuerst herunterfiel, hatte verloren. Andere berichteten von Stockschlägen auf den Rücken, Kopfnüssen und Schlägen mit der flachen Hand Ein Opfer schilderte, es habe in den frühen 80er-Jahren wiederholt "furchtbare Schläge" von einem heute noch lebenden Pater erhalten. "Für mich war Ettal die Hölle."

Beim sexuellen Missbrauch hingegen dominierte die Heimlichkeit. Der Sonderermittler zitierte aus den Bekenntnissen des im Herbst 2009 verstorbenen Paters, der auf seinem Computer ein Geständnis hinterließ. Darin hielt er fest, dass seine Zimmertür Tag und Nacht offen gewesen sei. Noch vor dem Wecken seien Jungs zu ihm gekommen, um sich und ihm sexuelle Befriedigung zu verschaffen.

Pfister sagte, im Kloster habe es eine "Kultur des Wegsehens" gegeben. So berichtete ein Ex-Schüler, er sei von einem Pater so lange mit einem Bambusstock geschlagen worden, bis er auf die Krankenstation des Internats kam. Er macht "die schlimmste Zeit meines Lebens" für seine "Alkoholkarriere" verantwortlich. Ein weiterer Schüler beschreibt die besonders brutale Art des Haareziehens eines Paters. "Er nahm uns an den Koteletten, drehte sie und riss sie nach oben. Das verursachte extreme Schmerzen." Möglicherweise wurde auch ein Pater missbraucht, teilte Pfister mit.

Der Cellerar des Klosters - eine Art Verwaltungsleiter -, Pater Johannes Bauer, legte während der Pressekonferenz zur Überraschung aller selbst ein Geständnis ab: Er habe 1985 bis 1987 als Erzieher im Internat "Kinder brutal körperlich misshandelt und gedemütigt", gestand er unter Tränen. Und: "Ich habe Kinder mit der Hand, aber auch mit einem Kleiderbügel verprügelt."

Im Skandal um den sexuellen Missbrauch bei den weltberühmten "Regensburger Domspatzen" (wir berichteten) gibt es einen konkreten Verdacht gegen zwei Geistliche. "Die Fälle reichen bis in die 60er-Jahre zurück", sagte Bistumssprecher Clemens Neck. Beide Männer starben 1984.

"Es wurden viele Traumata gesetzt, es war Angst und Schrecken", berichtet ein Münchner Arzt über seine Erfahrungen bei den "Spatzen". Wer sich beim Prügeln mit dem Rohrstock nackt ausgezogen hat, habe einen Bonus bekommen: weniger Schläge! "Es gab einen regelrechten Ablass." Und auch sonst wurde hart durchgegriffen: Er habe sich immer vor Blutwurst geekelt. Bei den Domspatzen sei er von einer Ordensschwester aber gezwungen worden, diese Wurst zu essen: "Mir wurde so übel, ich habe das erbrochen. Ich wurde dann gezwungen, das Erbrochene wieder zu essen."

Papst-Bruder Georg Ratzinger (86), der als Domkapellmeister 30 Jahre von 1964 bis 1994 den Knabenchor leitete: "Ich habe keine Kenntnisse über strafbare Handlungen." Es sei zwar damals sehr streng zugegangen, aber zugleich war das Klima "menschlich und verständnsivoll", sagte er "Bild Online". "Die Strenge war nötig, weil ja Leistung verlangt wurde. Es herrschte aber eine fast familiäre Stimmung."