An der renomierten Odenwaldschule in Hessen soll es seit dem Jahr 1971 sexuellen Missbrauch von Schülern gegeben haben.
Frankfurt/Main. Mit dem Slogan „Odenwaldschule – ein zweites Zuhause in Oberhambach“ wirbt die Heppenheimer Reformschule auf ihrer Internetseite. Für 50 bis 100 Schüler soll die Einrichtung zwischen Mannheim und Darmstadt jedoch alles andere als ein Zuhause gewesen sein: Zwischen 1971 und 1985 sollen Schüler etwa für ganze Wochenenden als „sexuelle Dienstleister“ eingeteilt und zu Oralverkehr gezwungen worden sein; verdächtigt wird unter anderem der damalige Schulleiter. Die Odenwaldschule wurde 1910 von dem Pädagogen Paul Geheeb gegründet und von der Familie seiner Frau finanziert. Sein Ziel war ein religiös ungebundenes Internat, in dem Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet werden sollten – für die damalige Zeit etwas Außergewöhnliches.
„Geheebs reformpädagogischer Ansatz war anspruchsvoll, fordernd und vielseitig zugleich“, schreibt die Schule in ihrer Selbstdarstellung. Nach Geheebs Vision sollte das Lernen in der Gemeinschaft „der Entwicklung der Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen dienen und ihre Selbstbestimmtheit und Handlungsfähigkeit fördern“. Der Drill der wilhelminischen Zeit war ihm ein Greuel, hier sollte die freie Entfaltung eines jeden Kindes gefördert werden. „Werde, der du bist“, lautet der Leitspruch der Schule bis heute.
Die Odenwaldschule ist in freier Trägerschaft und hat seit den 60er Jahren den Status einer UNESCO-Modellschule. Derzeit hat sie gut 200 Schüler. Besonderheiten sind das Lernen inmitten der Natur, die Möglichkeit, neben dem Abitur auch berufliche Abschlüsse zu erwerben sowie das Leben in Kleingruppen: Diese werden als „Familien“ bezeichnet, „Familienoberhaupt“ ist der Klassenlehrer. Eine Klasse besteht aus 16 bis 17 Schülern. Die Jahresgebühr für das laufende Schuljahr gibt die Schule mit 26.640 Euro an. Berühmte Absolventen sind der Schriftsteller Klaus Mann, Rosalinda von Ossietzky-Palm, die Tochter des Friedensnobelpreisträgerin Carl von Ossietzky, der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, der Schriftsteller Jakob Arjouni und die Sex-Unternehmerin Beate Uhse.
Für den April sind Feierlichkeiten anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Schule geplant. Laut einem Bericht der „Frankfurter Rundschau“ hatten Altschüler befürchtet, dass sich die Schule bei der 100-Jahr-Feier „wieder ihrer Verantwortung entziehen“ könnte. Daraufhin habe die heutige Schulleiterin weitere Nachforschungen in dem Missbrauchsskandal angestellt.