Gilbert Bailly ist Pizzabäcker in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Der 42-Jährige verteilt täglich an bis zu 1500 Menschen Gratis-Essen.
Port-au-Prince. Dutzende bewaffneter Soldaten halten die Menschenmenge in Schach. Sie tragen Schienbeinschützer und Splitterwesten, manche auch verspiegelte Sonnenbrillen und Mundschutz. Die Atmosphäre ist angespannt, jeden Moment könnten Unruhen ausbrechen. Das Welternährungsprogramm verteilt unter hohem Sicherheitsaufgebot Reissäcke an Erdbebenopfer in Haiti. In den ersten Tagen nach der Katastrophe mit etwa 180.000 Toten war es in dem Karibikstaat zu Ausschreitungen bei der Ausgabe von Hilfsgütern gekommen.
Dass es auch anders zugehen kann, zeigt der Pizzabäcker Gilbert Bailly. Seit mehr als zwei Wochen verteilt er jeden Abend in Port-au-Prince Gratis-Essen an bis zu 1500 Menschen. Unruhen hat es bei ihm noch nie gegeben. „Es ist eine Frage der Würde, man darf den Menschen nicht das Gefühl geben, sie seien Bettler“, sagt er. „Sobald Polizisten oder Soldaten da sind, kommt es automatisch zu Spannungen. Es ist kein Wunder, wenn die Leute aggressiv reagieren.“
Der 42-Jährige kann es noch immer nicht glauben, dass er und seine Familie unbeschadet davongekommen sind. Von seinen etwa 150 Angestellten in seinen drei Pizzerien ist nur ein einziger ums Leben gekommen. „Als ich das Ausmaß der Katastrophe kapiert habe, war mir klar, dass wir etwas tun müssen“, sagt er. „Wir haben angefangen, gratis Pizza zu verteilen.“ Um Gedrängel zu vermeiden, haben seine Mitarbeiter bunte Plastikarmbänder unter den Erdbebenopfer verteilt, die in der Stadt in selbstgebastelten Zelten hausen. „Eigentlich wollten wir die Bänder als Eintritt für die Karnevalsfeiern nutzen. Karneval wird dieses Jahr wohl ausfallen“, sagt der beleibte Restaurantbesitzer mit Sonnenbrille auf der Glatze.
Als die Vorräte für die Pizza aufgebraucht waren, hatte sich sein gutes Werk schon zu einem Selbstläufer entwickelt. „Wir bekamen von allen möglichen Leuten Lebensmittel, die wir verteilen sollten“, erzählt er. Auch aus dem eingestürzten Luxus-Hotel Montana, in dem schätzungsweise 200 Menschen ums Leben kamen, bekam Bailly die noch zu rettenden Vorräte. Selbst aus der benachbarten Dominikanischen Republik schickten Freunde Lastwagen voller Lebensmittel. Mittlerweile gibt es eine Unterstützergruppe auf Facebook und ein PayPal-Konto für Spenden im Internet.
Am frühen Nachmittag bilden sich zwei lange Schlange vor Baillys Pizzeria „Muncheez“, eine für Erwachsene, eine für Kinder. Sicherheitskräfte sind nicht zu sehen. Alle warten geduldig, es gibt weder Geschrei noch Gedrängel. „Wir sind so froh, dass wir hier Essen bekommen“, sagt Elisabeth, eine junge Frau in der Schlange.
Die Verteilung der Reissäcke durch das Welternährungsprogramm ist am Sonntag trotz oder wegen der massiven Militärpräsenz ohne gewaltsame Zwischenfälle verlaufen. Allerdings war die Kommunikation zwischen ausländischen Soldaten und Haitianern nicht immer einfach. "Was wollen sie?“ fragte ein junger US-Soldat einen Journalisten, als diejenigen, die keinen Lebensmittelgutschein hatten, in Protestgeschrei ausbrachen. „Essen“, lautete die Antwort. „Yeah“, meinte der Soldat und zuckte mit den Schultern.