Kann eine Verschärfung des Jugendstrafrechts eine tödlichen Attacke wie in München verhindern? Experten sehen das skeptisch.
München. Nach der tödlichen Attacke von zwei Jugendlichen auf einen Münchner S-Bahn-Fahrgast lehnen Experten aus Justiz und Wissenschaft eine Verschärfung des Jugendstrafrechts ab. Der Deutsche Richterbund (DRB) und die Stiftung Kriminalprävention bezeichneten die von der CSU angestoßene Debatte als überflüssig und unsinnig. Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) wandte sich erneut gegen schärfere Gesetze. Zugleich entbrannte eine Diskussion über Hilfsbereitschaft und Zivilcourage.
Zwei 17 und 18 Jahre alte Jugendliche hatten am Samstag auf dem Münchner S-Bahnhof Solln einen 50 Jahre alten Geschäftsmann zu Tode geprügelt. Der Mann hatte eine Gruppe von Kindern vor den Schlägern beschützen wollen. Die katholische und die evangelische Kirche wollen an diesem Mittwoch mit einem ökumenischen Gottesdienst an den tödlichen Angriff erinnern. Die Angehörigen des Opfers kündigten in einer Traueranzeige eine Beisetzung im engsten Familienkreis an. Der DRB-Vorsitzende Christoph Frank kritisierte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, die Politik erliege „leider erneut der Versuchung, Fragen des Strafrechts für schnelle und plakative Botschaften zu missbrauchen“. Die Formel härtere Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten sei schlicht falsch. „So berechtigt das Entsetzen über die abscheuliche Tat von München ist, so falsch ist es, die Attacke jetzt vor der Bundestagswahl zu instrumentalisieren“, sagte er. Die gesetzlichen Möglichkeiten für den Umgang mit straffälligen Jugendlichen seien absolut ausreichend.
Der Vorsitzende der Stiftung Kriminalprävention in Münster, Klaus Stüllenberg, bezeichnete Rufe nach schärferen Gesetzen, höheren Strafen oder mehr Sicherheitskräften als unsinnig. Er beklagte vielmehr Versäumnisse in der Prävention. „Hätten die Täter von München ihr Vorhaben, Kinder zu berauben, durchgebracht, und wären sie danach von der Polizei ermittelt worden, dann hätten sie vermutlich ein Jahr auf eine richterliche Ansage gewartet“, sagte er.
Auch Bundesjustizministerin Zypries lehnte eine Verschärfung des Jugendstrafrechts erneut ab. Ein Jugendlicher überlege doch nicht vor einer Tat, welche Höchststrafe ihm drohe, argumentierte Zypries in der „Süddeutschen Zeitung“ und im „Münchner Merkur“. Dagegen hatten Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und seine Kabinettskollegin, Justizministerin Beate Merk (beide CSU), kurz nach der Tat eine Verschärfung des Jugendstrafrechts gefordert.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft verlangte, die Verkehrsbetriebe müssten beim Schutz der Fahrgäste stärker in die Pflicht genommen werden. Zudem verlangte die Gewerkschaft eine Ausweitung der Videoüberwachung und ein Ende des Personalabbau bei der Polizei.
Der frühere Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Carl-Dieter Spranger (CSU), rief Bundespräsident Horst Köhler auf, den zu Tode geprügelten Mann mit dem Bundesverdienstkreuz zu ehren. „Er hat Mut und Verantwortung gezeigt, wo Eltern mit schwersten Erziehungsfehlern versagt haben. Dafür gebühren ihm Anerkennung und Ehre des Staates.“
Unklar ist weiter, ob Passanten hätten eingreifen können. Am Bahnhof waren laut Polizei rund 15 Menschen, als die Jugendlichen den Mann mit mehr als 20 Schlägen und Tritten zu Boden prügelten. Der Bruder eines der Mädchen, das der Mann beschützen wollte, legte nach Medienberichten am Tatort einen Zettel nieder: „Ich möchte Ihnen hiermit meine Ehre erweisen und Ihnen danken, dass sie auf meine Schwester aufgepasst haben. Danke“, ist auf dem Papier zu lesen, das an dem Bahnhof auf einem Meer von Blumen lag. Die Firma des Mannes würdigte diesen in einer Traueranzeige auf ihrer Homepage: „Sein Denken und Handeln wird uns immer Vorbild sein.“