Der Missbrauchsopfer-Vertreter Norbert Denef stürmte plötzlich zur Bühne und forderte, die Diskussion abzubrechen.

München. Eklat auf dem Ökumenischen Kirchentag in München: Eine prominent besetzte Podiumsdiskussion zu Fällen sexuellen Missbrauchs wurde am Freitag massiv von einem Opfervertreter gestört. Norbert Denef, Sprecher des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt, scheiterte allerdings mit seinem Versuch, den Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, an seinem Vortrag zu hindern.

Unbeeindruckt von den Zwischenrufen setzte der Jesuitenpater seine Rede fort und erntete dafür großen Applaus von den mehr als 6.000 Besuchern der Veranstaltung. Mertes hatte Fälle sexuellen Missbrauchs an seiner Einrichtung öffentlich gemacht und damit die bundesweite Missbrauchsdebatte ins Rollen gebracht.

In der anschließenden Podiumsdiskussion warnte der Trierer Bischof Stephan Ackermann: „Die Opfer geraten immer mehr aus dem Blick.“ Im Mittelpunkt stehe derzeit vor allem die Kirchenpolitik. Das Publikum quittierte Ackermanns Aussage teils mit Buh-Rufen, aber auch mit Beifall. Ackermann ist Missbrauchsbeauftragter der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.

Der Bischof kündigte an, „im Kontakt mit den Opfern“ sollen auch die neuen, überarbeiteten Leitlinien der Bischofskonferenz im Sommer veröffentlicht werden. „Wir wollen die Fortbildung verbessern und mehr Präventionsarbeit“, sagte Ackermann.

Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) bekräftigte ihre Forderung nach längeren Verjährungsfristen. Auch müsse Missbrauch künftig als Verbrechen und nicht nur als Vergehen im Strafgesetzbuch behandelt werden. Ebenso sollten die finanziellen Hilfen aufgestockt werden. Merk mahnte ferner einen neuen Umgang mit Sexualität an. Das sei nicht nur Anstrengung der Kirche, sondern Aufgabe aller.

Opfervertreter Denef, der selbst als Kind missbraucht wurde, war kurz nach Beginn der Veranstaltung an die Bühne gestürmt und hatte Mertes aufgefordert, abzutreten und die Veranstaltung abzubrechen. Denef warf dem Jesuitenpater vor, nicht dieser habe die Debatte ins Rollen gebracht, sondern allein die Opfer .

Mertes reagierte mit Verständnis für den Mann und räumte ein, als Kirchenmann versagt zu haben. Er ließ sich aber nicht das Wort verbieten. „Nein, ich trete nicht ab. Auch als jemand, der versagt hat, darf ich sprechen“, sagte er und setzte seinen Vortrag nach Minuten des Tumults fort, nach denen sich Denef von der Bühne abwandte. Mertes sagte, man könne die Veranstaltung nicht auflösen, denn über das Thema müsse gesprochen werden, um Missbrauchsfälle zu verhindern und aufzuklären.

Ursual Enders, Leiterin der Opferorganisation „Zartbitter“ in Köln, verteidigte den Protest Denefs. Die Zusammensetzung des Podiums sei eine „Provokation für die Opfer“ gewesen, sagte sie dem Internetportal „evangelisch.de“. So habe es „nicht einen einzigen Vertreter der Betroffenen“ gegeben. Stattdessen habe die Kirche „mit sich selbst“ diskutiert und damit erneut ihre fehlende Sensibilität im Umgang mit den Opfern und fehlenden Willen zur Dialogbereitschaft bewiesen. Denef nun als „Störer“ darzustellen, sei falsch.

Die Organisatoren des Kirchentags wiesen den Vorwurf zurück. Bei der Vorbereitung der Veranstaltungen zu sexuellem Missbrauch habe man versucht, auch die Vertreter von Opferverbänden miteinzubeziehen, sagte der evangelische Kirchentagspräsident Eckhard Nagel. Wer allerdings versuche, bei einer öffentlichen Debatte ein konkretes Schicksal zu besprechen, dem rate er auch aus ärztlicher Sicht davon ab, fügte der Medizinprofessor hinzu.