Hermes startet in Ottensen, am Grindel und in Volksdorf mit selbstfahrenden Zustellfahrzeugen. Das Abendblatt war bei der Tour dabei.
Eigentlich kennt Ferhat Beyazdag sich mit Technik aus. Der Mitarbeiter eines Gartenbaubetriebs hat einen Laubpuster auf dem Rücken, fegt damit die ersten Herbstblätter von Straßen und Wegen. Manchmal muss er Platz machen für Passanten oder einem Hund ausweichen. Das ist Routine. Aber als plötzlich ein kleiner weißer Kasten auf Rädern um die Ecke der kleinen Seitenstraße in Ottensen biegt und wie von Geisterhand gesteuert auf ihn zurollt, zuckt er zusammen. „Was ist das denn?“, sagt der 26-Jährige und schaut auf das Gefährt, das als kleiner Bruder des legendären Miniroboters R2-D2 aus den „Star-Wars“-Filmen durchgehen könnte. Ferhat Beyazdag ist so verblüfft, dass er sein Gerät ausschaltet.
Zentrale in Tallinn steuert das Gerät
Begegnungen dieser Art wird es in Hamburg künftig häufiger geben. Hermes hat am Mittwoch die Auslieferung von Paketen per Roboter gestartet. Getestet wird die Entwicklung des estnischen Start-ups Starship in den kommenden Wochen in Ottensen, Volksdorf und von Mitte Oktober an auch im Grindelviertel. Drei Zustellroboter sind im Einsatz. Sie sind an Paketshops des zur Otto-Gruppe gehörenden Unternehmens stationiert und transportieren von dort aus kleinere Paketsendungen zu mehr als 100 Testhaushalten.
„We are ready to go“, sagt Felix Breihold, als an diesem Morgen die erste Fahrt mit Paketfracht in Rosi’s Shop am Hohenzollernring startet. Der Student ist per Smartphone mit der Zentrale von Starship in Tallinn verbunden. Von dort wird der noch namenlose Roboter per GPS gesteuert. Felix Breihold ist so etwas wie ein Roboter-Sitter, ein menschlicher Begleiter, der die Abläufe kontrolliert, die Sicherheit gewährleistet und Fragen beantworten soll. Das war eine Auflage der Stadt Hamburg für die Genehmigung des Pilotprojekts. Später, das ist das Ziel, soll der elektronische Postbote allein unterwegs sein.
Mit einem leisen Surren setzt sich das kniehohe Fahrzeug in Bewegung, fährt über eine Rampe aus dem Paketshop. Zuvor hatte Inhaberin Roswitha Bruhn ein Päckchen im Innern verstaut, das ein Kunde für diesen Vormittag nach Hause bestellt hatte. Parallel ging die erste Textnachricht raus, die die baldige Lieferung ankündigte. „Mit dem Zustellroboter kommt die Sendung genau zum gewünschten Termin“, so Bruhn. So weit die Theorie. Langsam rollt das Gefährt los. Als sich in diesem Moment eine Radfahrerin schnell nähert, kann der Roboter gerade noch ausweichen. Puh, das hätte auf den ersten fünf Metern schon fast eine Kollision geben können.
Er lässt Fußgänger vorbei
Aber alles ist gut gegangen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von sechs Kilometern pro Stunde geht es zur nächsten Kreuzung. Begleiter Felix Breihold kommt mit etwas Abstand hinterher, hält laufend Kontakt mit dem Operator in der fast 2000 Kilometer entfernten Hauptstadt Estlands. Der Lieferroboter orientiert sich mithilfe von neun Kameras und ist mit weiteren Sensoren ausgestattet. Er stoppt, wenn ein Hindernis auftaucht, lässt Fußgänger höflich vorbei und kann mit seinen flexiblen Achsen auch Bordsteinkanten erklimmen. Treppen schafft er nicht. An der ersten roten Ampel bleibt das 20 Kilogramm schwere Gefährt, ganz mustergültig, stehen. Erst als das Licht auf Grün springt, rollt der Postbote auf sechs Rädern weiter den Gehweg des Hohenzollernrings entlang.
Auch wenn der Starship-Roboter in Hamburg noch ganz neu auf den Straßen ist, das Modell ist lange erprobt. Nach Angaben der Entwickler, hinter denen der frühere Mitbegründer des Video-Telefondienstes Skype, Ahti Heinla, steht, ist es bei Probefahrten schon 1,4 Milliarden Menschen begegnet. Der elektronische Postbote war in 53 Städten in elf Ländern unterwegs. Insgesamt hat er fast 14.000 Kilometer zurückgelegt.
Aber Hamburg-Ottensen kannte er nicht. „In den vergangenen zwei Wochen hat der Roboter alle Geh- und Radwege in der Umgebung abgefahren“, sagt Hermes-Sprecher Martin Frommhold. In der Fachsprache heißt der Prozess Mapping. Auch erste Erfahrungen mit den Reaktionen der Anwohner hat der Paketversender so gesammelt. „Die meisten reagieren positiv“, sagt Frommhold. Befürchtungen, dass der Datenschutz verletzt werden könnte, sind bislang selten. Die Kameras seien nicht hochauflösend, mögliche aufgenommene Personen nicht erkennbar, heißt es bei Hermes beschwichtigend.
Auch Jan Werum, der in den vergangenen Wochen 30- bis 40-mal mit einem Paketroboter in Ottensen und Volksdorf unterwegs war, hat vor allem freundliche Rückmeldungen bekommen. „Die häufigste Frage ist ,was passiert, wenn jemand den Roboter klauen will?‘“, sagt der Masterstudent im Fach Next Media. Nur bei Kindern sei die Lage etwas komplizierter. „Da weiß man erst einmal nicht, wie die reagieren. Aber meistens finden sie es dann sehr spannend.“
Hunde können für den elektronischen Postboten dagegen zum Problem werden. Meistens halten sie respektvoll Abstand, aber einer ist an diesem Tag ziemlich neugierig. Faro, ein Welsh Corgi Pembroke, schnuppert an dem Kasten mit Ähnlichkeit zu einem tiefer gelegten Kinderwagen herum, als sein Frauchen Lore Jürss um die Ecke der Röhrigstraße biegt. Die Ottenserin hat den Roboter auf ihren Spaziergängen schon ein paarmal gesehen. „Erst habe ich mich ziemlich gewundert, aber inzwischen weiß ich Bescheid“, sagt die 55-Jährige. Und was hält sie davon, dass jetzt Maschinen statt Menschen die Pakete bringen sollen? Jürss zuckt die Schultern und zieht mit ihrem Hund weiter. Offenbar wirkt der R2-D2-Verschnitt eher niedlich als besorgniserregend.
Für Hermes ist die neue Art der Paketzustellung ein Versuch, die Quote der Sendungen zu erhöhen, die gleich beim ersten Versuch beim Kunden landen. Schon jetzt liegt das Unternehmen bei 99,6 Prozent. Die bisherigen Lieferarten, persönliche Auslieferung, Abgeben bei Nachbarn, Paketshops, die neuen Paketboxen, soll es auch in Zukunft geben. Das hängt auch mit den Kapazitäten zusammen. Bis zu zehn Kilo Fracht in kleinen Paketen kann der Roboter transportieren, als Fahrtintervalle setzt Hermes eine halbe Stunde an. Zum Vergleich: Ein menschlicher Zusteller schafft bis zu 100 Lieferungen pro Tag. „Der Paketbote bleibt. Der Roboter kommt nur auf Wunsch. Auch bei Rücksendungen“, sagt Roger Hillen-Pasedag, der beim Zusteller für das Projekt verantwortlich ist. Anders als bei anderen Anbietern gibt es bei Hermes derzeit keine Pläne, Flugdrohnen einzusetzen (siehe links).
Inzwischen ist der Roboter mit seiner ersten Fracht am Ziel. Er bleibt vor der Tür eines Mehrfamilienhauses stehen. Kurz darauf kommt Testkunde Ulrich Hinck-Blessin heraus. Per SMS ist er über die Ankunft informiert worden. „Ich bin an neuen Technologien interessiert und wollte schon immer ausprobieren, wie ein Roboter funktioniert“, sagt der 55-Jährige. Dann öffnet er mit einem Zugangscode die Klappe auf der Oberseite des Roboters und nimmt sein Paket heraus. „Da sind meine neuen Kopfhörer drin“, sagt er zufrieden. Auch wenn es mit der Einhaltung der minutengenauen Anlieferung nicht ganz geklappt hat.
Frühestens 2017 werden die Paketroboter ohne Begleitung in Hamburg unterwegs sein. „Als nächsten Schritt prüfen wir, wie wir diese Form der Auslieferung kommerziell weiterentwickeln können“, sagt Projektleiter Hillen-Pasedag. Will auch heißen: Sind die Roboter mehr als eine Spielerei? Der Manager ist zuversichtlich: In den nächsten Jahren werden mehr Roboter unterwegs sein, sagt er. „Das passt gut zu Hamburg, das sich als digitale Stadt positionieren will.“
Für Paketshop-Inhaberin Bruhn ist das weit weg. „Ich werde das Klönen mit den Kunden vermissen“, sagt sie. „Dann muss ich jetzt wohl anfangen, mit dem Roboter zu reden.“ Und Ferhat Beyazdag hat seinen Laubbläser längst wieder eingeschaltet. Für den rollenden Paketboten hat er sogar den Weg freigepustet.