Hamburg. Deutschlands zweitgrößter Lieferdienst DPD glaubt nicht an Drohnen – und tüftelt in Hamburg an neuen Zustelllösungen.
Sommertage sind in der Paketbranche eher unbeliebt. „Wenn die Temperatur über 25 Grad steigt, sinkt die Zustellquote um vier bis fünf Prozent“, sagt Boris Winkelmann, der Vorstandschef von Deutschlands zweitgrößtem Paketdienst DPD. Dass bei gutem Wetter mehr Paketempfänger nicht daheim sind, bedeutet für das Unternehmen mehr Arbeit: Mehr zweite Zustellversuche, mehr Fahrten und damit höhere Kosten. Der Zusammenhang zwischen Temperatur und Zustellerfolg sei nicht wirklich überraschend, sagt Winkelmann. Das genaue Ausmaß des Problems aber kennt er erst seit einer gezielten Auswertung der Unmengen von Daten, die im Tagesgeschäft des Paketdienstleisters anfallen.
Was die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis sind, wie sich die Zustellquote auch bei Draußen-Wetter hoch und die Zusatzkosten gering halten lassen, wie Paket und Empfänger trotzdem schnell zusammenkommen, darüber lässt die Firma mit Sitz im bayerischen Aschaffenburg vornehmlich in Hamburg nachdenken: Ist es sinnvoll, dem Empfänger schon am Morgen eines absehbar heißen Zustelltages anzubieten, das Paket gleich in einen DPD-Shop umzuleiten? Auf welchem Weg erreicht das Unternehmen den Empfänger am besten, und wie lässt sich ein solcher Service technisch umsetzen?, lauten nur einige der Fragen, auf die im vierten Stock eines Bürohauses am Kehrwieder in der HafenCity Antworten gesucht werden.
Anfang des Jahres hat DPD dort eine halbe Etage be- und ein Innovationsteam zusammengezogen. Die für Strategie und Unternehmensentwicklung sowie die für IT verantwortlichen Manager haben dort Büros, der Vorstandschef selbst und Finanzvorstand Philip Nölling arbeiten zumeist einen Tag pro Woche mit Blick auf Barkassenanleger und Michel. „Die Digital-, Werbe- und Kommunikations-Agenturen, mit denen wir zusammenarbeiten, sitzen in Hamburg“, sagt Winkelmann über die Standortentscheidung. Zudem ist die Unternehmensführung in der Stadt verwurzelt.
Unternehmen setzt auf Pakettransport vom Anbieter zum Endkunden
Winkelmann (46), seit März 2014 an der DPD-Spitze, wuchs als Sohn eines Airbus-Managers in Frankreich auf, lebt aber seit 2003 mit seiner Familie wieder in seiner Geburtsstadt Hamburg. Nölling (50) ist ein Sohn des früheren Hamburger Senators Wilhelm Nölling und kam Anfang dieses Jahres vom Konkurrenten Hermes zu DPD. Bei dem in Hamburg sitzenden Logistikunternehmen der Otto Group war er zuletzt kaufmännischer Geschäftsführer. „Wir sind beide fast die ganze Woche im Land unterwegs und sehen uns kaum. Da ist es wichtig, einen Tag zu haben, an dem man gemeinsam über Zukunftsfragen reden kann“, sagt Nölling.
Ganz grundlegende Fragen beantwortet das vor 40 Jahren von mehreren großen deutschen Speditionen gegründete Unternehmen – damals stand DPD noch für Deutscher Paketdienst – schon seit einiger Zeit neu: Sehr viel stärker als früher setzt das Unternehmen auf den Pakettransport vom Anbieter zum Endkunden. Der sogenannte B2C-Markt (Business to Consumer, Unternehmen zum Konsumenten) hat höhere Wachstumsraten und -aussichten als der Warentransport zwischen Unternehmen (B2B, Business to Business), mit dem der Paketdienst groß wurde und in dem er weiter Marktführer in Deutschland ist. Die Neuausrichtung lässt sich am stetig wachsenden Anteil an den Paketen ablesen: Aus dem B2C-Geschäft stammt derzeit etwa jedes fünfte Paket, 2013 war es erst jedes achte. 2015 wuchs der Umsatz des Unternehmens um acht Prozent. Für dieses Jahr rechnet Winkelmann mit einem weiteren deutlichen Anwachsen auf 1,5 Milliarden Euro.
Heute gehören die DPD-Anteile ganz überwiegend einem europaweit tätigen Tochterunternehmen der französischen Post, das Kürzel steht für Dynamic Parcel Distribution und die Marktaussichten sind günstig: Prognosen sagen für die nahe Zukunft ein kontinuierlich und stark wachsendes Paketaufkommen voraus. Sowohl innerhalb Deutschlands als auch über Grenzen hinweg in Europa.
Hohe Geschwindigkeit durchaus wichtig
DPD sieht sich als Premiumanbieter, Vorstandschef Winkelmann ist überzeugt, dass die Paketversender, also die eigentlichen DPD-Kunden, großen Wert auf einen reibungslosen Versandservice für den Endkunden legen. Das Ziel lautet: Genauso schnell und einfach wie Kunden heute online einkaufen können, genauso schnell und unkompliziert sollen sie auch den Warenversand erleben und beeinflussen können. „Die Empfänger wollen und sollen nicht lang nachdenken müssen, wie sie am bequemsten zu ihrem Paket kommen“, sagt Winkelmann. Und eine hohe Geschwindigkeit ist bei der Zustellung durchaus wichtig: Denn je mehr Zeit zwischen einer Bestellung und der Auslieferung des Pakets vergeht, desto häufiger senden die Kunden die Ware wieder zurück.
Im Herbst vergangenen Jahres ist DPD seinem Ziel ein ganzes Stück nähergekommen. In seiner Paket-App kündigt das Unternehmen den Empfängern seitdem schon am Morgen die Zustellung innerhalb eines Zeitfensters von einer Stunde an und grenzt es später auf 30 Minuten ein. Auf einer interaktiven Karte ist der aktuelle Standort des Zustellers zu verfolgen. Bis fünf Minuten bevor er klingelt, lässt sich das Paket noch zu einem Nachbarn, an den Arbeitsplatz oder in einen Paketshop umdirigieren. „Damit sind wir Innovationsführer“, sagt Winkelmann. Die „WirtschaftsWoche“ zeichnete den Paketdienst für diesen Service 2015 mit ihrem Preis für digitale Transformation aus. Dass er bei durchschnittlich einer Million Paketen, die DPD pro Tag zustellt, und bislang 2,5 Millionen Umbestellungen per App nicht in jedem Fall ohne Beanstandung funktioniert, ist in Internetportalen nachzulesen, in denen frustrierte Paketempfänger sich ihren Ärger über die deutschen Zustelldienste von der Seele schreiben. Man nehme das ernst, versichert Philip Nölling. Letztlich entscheidend seien aber eigene Erkenntnisse über die Kundenzufriedenheit. „In unserer Bewertungsfunktion bekommen wir mehr als vier von fünf möglichen Punkten“, so Nölling.
Die Digitalisierung ist das wichtigste und zentrale, aber nicht das einzige Zukunftsthema des Unternehmens. „Jeder Empfänger hat individuelle Bedürfnisse, deshalb gibt es nicht nur einen Königsweg, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, den Service zu verbessern“, sagt Winkelmann. So soll das Netz der DPD-Paketshops von 6000 auf 8000 wachsen, im Spätsommer will Parcellock, das in Hamburg ansässige gemeinsame Tochterunternehmen der DHL-Konkurrenten DPD, Hermes und GLS, Paketboxen auf den Markt bringen.
Zustellung am Tag der Bestellung wird feste Größe
Das Geschäft mit Zustellungen noch am Tag der Bestellung wächst bei DPD zurzeit zwar prozentual stark, aber von einer geringen Basis. Weil eine Lieferung direkt vom Händler zum Kunden vergleichsweise teuer ist, sei die sogenannte Same-Day-Delivery derzeit noch ein Nischenangebot, werde aber zu einer festen Größe im Serviceangebot werden, glaubt der DPD-Chef.
Zwei derzeit viel diskutierten technischen Lösungen räumt er dagegen keine allzu großen Chancen ein. „Ich hoffe nicht, und ich glaube auch nicht, dass der Himmel in zehn Jahren voller Paketdrohnen sein wird, oder dass in den Innenstädten massenhaft Paketroboter unterwegs sein werden.“ Hermes will die Roboter demnächst in Hamburg testen. Winkelmann kann sich eher vorstellen, dass es in Citylagen kleine Depots geben wird, in die Transporter morgens die Pakete liefern, die Kuriere auf E-Bikes dann mit minutengenauer Zeitangabe zu den Empfängern bringen.
Um die absehbar stark wachsenden Paketmengen bewältigen zu können, investieren derzeit alle großen Paketdienste massiv in den Ausbau ihrer Infrastruktur. DPD hat für dieses Jahr 100 Millionen Euro eingeplant, ein Drittel davon in Norddeutschland: In Kiel und Flensburg entstehen neue Paketzentren, das in Hamburg-Wilhelmsburg wird technisch aufgerüstet, um das nächste Weihnachtsgeschäft bewältigen – und die ehrgeizigen Wachstumsziele zu erreichen.
Knapp zehn Prozent Marktanteil hat DPD derzeit im B2C-Markt. 2020 sollen es 15 Prozent werden. Im ersten Quartal dieses Jahres ist der Umsatz in diesem Segment um 8,5 Prozent gewachsen. Und ein Aspekt dabei ist Winkelmann besonders wichtig: „Durch unseren Zuwachs in diesem Bereich sind wir erstmals insgesamt stärker gewachsen als der Platzhirsch DHL.“