Hamburg. Otto-Tochter Hermes hat mit DPD und GLS das neue Parcellock-System entwickelt – und greift damit DHL an.
Mit dem Jahr für Jahr im zweistelligen Prozentbereich wachsenden Online-Handel steigt in ähnlichem Umfang das Paketaufkommen bei den Zustelldiensten. Die großen Unternehmen der Branche wie DHL, DPD, das Hamburger Otto-Tochterunternehmen Hermes und GLS investieren massiv in neue Lager, um die Millionen Pakete pro Tag bewältigen zu können. Die wohl größte Herausforderung aber lautet: Wie kommt die Sendung schnell und zuverlässig zum Empfänger?
Die sogenannte „letzte Meile“ zwischen Auslieferungslager und Lieferadresse verursacht die größten Kosten. Jeder vergebliche Zustellversuch kostet die Endkunden Nerven – und die Paketdienste Geld. Deshalb legen sie immer ausgefeiltere Apps auf, mit denen die Empfänger den Lieferort teils noch Minuten vor der Zustellung ändern können, bieten Zustellung am Arbeitsplatz an, experimentieren mit Zustelldrohnen und -robotern. In Ottensen lernt so ein selbstfahrendes Zustellfahrzeug im Auftrag von Hermes gerade die Tücken schlecht abgesenkter Bordsteine und holpriger Gehwege kennen. Der Praxistest mit dem Paketroboter soll in den nächsten Tagen starten. Doch gelten Drohnen und Roboter als Nischenlösungen.
Steuerung online oder per App
Praxistauglicher und ausgereifter sind Paketkästen vor der Haus- oder Wohnungstür. Das Prinzip: Der Bote legt das Paket im Kasten ab, nur der Empfänger kann es – zumeist mit einem Code – herausholen. DHL bietet Paketkästen und -taschen bereits seit 2014 zum Kauf oder zur Miete an, allerdings ausschließlich für die vom Unternehmen selbst transportierten Sendungen.
Doch nun ziehen die großen Konkurrenten Hermes, DPD und GLS nach, führen ihr eigenes System namens Parcellock ein und greifen den Marktführer damit an. Denn Parcellock ist nicht nur offen für die drei Paketdienste und lokale Lieferanten wie Supermärkte und Apotheken, sondern auch für die DHL-Lieferanten.
Der Kastennutzer steuert online oder per App, wer dort wann eine Sendung ablegen oder Rücksendungen entnehmen darf. Auch mehrere Pakete pro Tag können angenommen werden. Und: „Technisch ist es möglich, dass Empfänger auch ihrem DHL-Zusteller Zugriff auf den Paketkasten geben. Im Praxistest hat sich gezeigt, dass diese Möglichkeit von den DHL-Zustellern auch genutzt wird“, sagt Parcellock-Geschäftsführer Dirk Reiche. Die Firma ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Hermes, DPD und GLS, sitzt an der Stresemannstraße, hat das System entwickeln lassen, mit Otto-Mitarbeitern in Hamburg getestet und jetzt für marktreif erklärt.
Der deutsche Sicherheitstechnikanbieter Burg-Wächter kündigte am Dienstag an, er werde nächste Woche bei einer Fachmesse in Essen die Markteinführung von Parcellock-Kästen für Einzel-, Reihen- und Mehrfamilienhäuser starten. Die Firma bietet sechs Typen in je drei Größen an. Kosten: 399 bis 549 Euro. Die auf große Schließanlagen spezialisierte Firma Renz nutzt das Parcellock-System ebenfalls.
Pakettaschen für die Wohnungstür mit dem System sind vorerst nicht auf dem Markt. „Im Pilottest wurden auch Taschen getestet, die aber nicht gut ankamen. Der Eindruck war, dass es kein Material gibt, das sicher und zugleich günstig ist“, sagt Reiche. Die Tests gingen weiter. „Wir gehen davon aus, dass wir 2017 einen Pakettasche mit Parcellock ankündigen können.“ Verkaufsziele will Reiche nicht nennen, das sei Sache der Anbieter. Aber: „Wir sehen für Paketkästen ein erhebliches Potenzial, das sich vor allem mit anbieterneutralen Lösungen ausschöpfen lässt, und gehen davon aus, dass Kästen mit Parcellock sich bis in fünf Jahren als führende Modelle im Markt etablieren werden.“