Hamburg. Der erste Genossenschafts-Hype ist vorbei. Vorstandsmitglied Collien spricht über die Pläne – und verteilt Spitzen an Grote und Kühne.
Als Theaterchef steht Thomas Collien naturgemäß auf Drama. Gegen den ungefährdeten 3:1-Heimsieg am vergangenen Freitagabend gegen Holstein Kiel hatte der 57-Jährigen dann aber auch nichts einzuwenden. Collien, seit 40 Jahren Fan des FC St. Pauli, gehörte zu den letzten der 29.546 Fans, die nach dem ersten Bundesliga-Heimsieg dieser Saison das Millerntor-Stadion verließen. „Das Spiel hat mir das Wochenende verhagelt, weil ich bis 1 Uhr nachts so schwer gefeiert habe. Es war sensationell, ein toller Abend“, erzählt Collien und lacht, als er im Millerntalk-Podcast zu Gast ist.
Lange Tage und kurze Nächte sind für den gebürtigen Hamburger derzeit Normalität. Denn neben seiner Haupttätigkeit als Geschäftsführer des Hansa-Theatersaals und Besitzer des St.-Pauli-Theaters arbeitet er derzeit auch intensiv daran, seine Party-Location Millerntor zu verkaufen. Gemeinsam mit Andreas Borcherding, Miriam Wolframm und Christopher Heinemann engagiert sich Collien im Vorstand der Football Cooperative Sankt Pauli. Mit der ersten Genossenschaft im deutschen Profifußball verfolgt der FC St. Pauli das Ziel eines basisdemokratischen Finanzierungsmodells.
FC St. Pauli: Der Genossenschafts-Vorstand hat viel zu tun
„Ich mache es voller Stolz, es ist aber trotzdem eine Menge Arbeit. Und dabei machen die anderen noch viel mehr als ich“, sagt Collien, der aus dem Umfeld von Vereinspräsident Oke Göttlich angesprochen worden war, diese Position zu übernehmen. „Wir haben das alle nicht kommen sehen, dass es so ein Ausmaß annimmt.“ 20 bis 60 Wochenarbeitsstunden investiert jedes Vorstandsmitglied, alle arbeiten ehrenamtlich.
Gemeinsam mit Wolframm, die aus der aktiven Fanszene kommt und noch immer einen guten Draht zu den Ultras hat, kümmert sich Collien vor allem um den Bereich Marketing. Borcherding fokussiert sich als Steuerberater in erster Linie auf die Themenbereiche Wirtschaft und Verträge, Bäckerei-Kaufmann Heinemann („Zeit für Brot“) ist für den Vertrieb verantwortlich.
Die erste Euphorie beim Anteilskauf ist verflogen
In einer ersten Zeichnungsphase sollen Anteile im Wert von rund 30 Millionen Euro verkauft werden, das noch nicht genau terminierte Fristende ist in etwa zwei Monaten. „Vielleicht wird sich die Kampagne auch noch verlängern, aber nicht wesentlich“, sagt Collien. Nachdem eine Woche nach dem Start bereits 15 Millionen Euro eingesammelt waren, sah es zunächst danach aus, als würden die 30 Millionen Euro zeitnah erreicht. Seitdem sind in mehr als zweieinhalb Wochen aber nur noch 1,75 Millionen Euro dazugekommen, die erste Euphorie ist verflogen.
„Beim Start hätte ich in der Euphorie gesagt, dass es überhaupt kein Problem wird, das Ziel zu erreichen. Jetzt gilt es, dranzubleiben. Wir sind noch nicht dazu gekommen, alle St.-Pauli-Sympathisanten anzusprechen“, gibt sich Collien kämpferisch: „Das Modell fliegt aber auch unter 30 Millionen Euro.“ Dann werde man als Genossenschaft zwar keine Mehrheit am Stadion erwerben, hätte aber dennoch ein Mitspracherecht. Zwei unabhängige Gutachten hatten den Wert des Millerntor-Stadions auf rund 50 Millionen Euro beziffert.
Der FC St. Pauli könnte sich mit 30 Millionen Euro entschulden
Für den FC St. Pauli wiederum – und den soll die Genossenschaft trotz der formalen Trennung ja unterstützen – wäre eine schnelle Entschuldung nur mit den 30 Millionen Euro möglich. Stadionkredite und Corona-Darlehen belaufen sich derzeit noch auf jeweils rund 15 Millionen Euro.
Collien kann sich, nachdem der Verein entschuldet ist, zukünftig auch andere Projekte wie den Ausbau des Nachwuchsleistungszentrums, eine stärkere Förderung des Frauenfußballs oder Baumaßnahmen am Stadion wie einen Ausbau der offenen Ecken vorstellen. Eine erste Generalversammlung der Genossenschaft, wo künftig über derartige Fragen entschieden wird, ist im ersten oder zweiten Quartal 2025 geplant.
Collien: „St. Pauli ist ein subkulturelles Denkmal“
Vorerst hofft der Theaterchef, der eine Dauerkarte in Block H7 besitzt, aber darauf, dass die 750-Euro-Geschäftsanteile (plus 100 Euro Gebühren) auch vielfach zu Weihnachten verschenkt werden. „Die emotionale Rendite ist aus meiner Sicht nicht zu toppen“, sagt Collien und fügt mit freundlichen Grüßen an Klaus-Michael Kühne an: „Es ist bei uns nicht so wie bei unserem Nachbarverein, dass man mehr zu sagen hat, wenn man mehr Geld gibt.“
Das basisdemokratische Finanzierungsmodell steht nicht nur in Abgrenzung zum HSV oder auch zum kommenden Bundesligagegner Bayer Leverkusen (Sa., 15.30 Uhr), sondern unterstreicht auch den besonderen Anspruch des Clubs in einem besonderen Stadtteil. „St. Pauli ist ein subkulturelles Denkmal. Es gibt eine Symbiose aus Stadtteil, Club und Kulturbetrieben“, sagt Collien. „Hamburg ist auch eine Sportstadt, ich nehme sie aber mehr als Kulturstadt wahr. Das liegt aber auch an meinem Job, dem ich jetzt seit 36 Jahren nachgehe.“
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Damit Hamburg künftig noch mehr als Sportstadt wahrgenommen wird, muss aus Colliens Sicht auch die Politik aktiver werden. „Senatoren in die Pfanne hauen, wenn man später etwas von ihnen möchte, ist in meiner Position immer etwas schwierig“, sagt er und schmunzelt. „Aber wir haben in Carsten Brosda einen super Kultursenator, der sich der Sache richtig annimmt, hilft und oft auch verbindet, sodass die Kultur mit einer Stimme spricht. Ich glaube, dass der Sport da noch dazulernen kann.“ Diesmal gehen die freundlichen Grüße an Sportsenator Andy Grote raus.
Wenn es nach Collien geht, dürfen Kühne und Grote aber genauso gerne Genossenschaftsanteile zeichnen wie alle anderen auch: „Reich mir die Flosse, Genosse!“ Damit in ein paar Monaten im Millerntor-Stadion womöglich nicht nur der Klassenerhalt, sondern auch der Erfolg des Finanzierungsmodells bis spät in die Nacht gefeiert werden kann.