Hamburg. Das 3:1 gegen den Mitaufsteiger setzte viel Offensivvertrauen frei. In Leverkusen dürften die Kiezkicker dennoch wieder anders spielen.
Hauke Wahl darf sich an diesem Montag wieder auf den (aus seiner Sicht) besten Espresso Hamburgs freuen. Zubereiter der Kaffeespezialität ist Stürmer Johannes Eggestein, vor jeder Einheit gönnen sich die beiden Profis des FC St. Pauli im Trainingszentrum an der Kollaustraße ihren Koffeinbooster.
„Jojo ist der Barista schlechthin in Hamburg und lehrt mich ein bisschen“, berichtete Innenverteidiger Wahl am späten Freitagabend im Millerntor-Stadion. Als Eggestein beim 3:1-Erfolg gegen Mitaufsteiger Holstein Kiel das zwischenzeitliche 3:0 erzielte, taten die Espresso-Freunde bei ihrem zuvor choreografierten Jubel so, als würden sie aus einer Espressotasse trinken.
FC St. Pauli: Wahl und Blessin freuen sich besonders über die Stürmertore
Eggestein ist für St. Pauli allerdings nicht nur an der Siebträgermaschine wichtig, sondern auch auf dem Platz. Genauso wie Sturmkollege Morgan Guilavogui erzielte der 26-Jährige am elften Bundesligaspieltag endlich sein erstes Saisontor. „Jojo reißt so viel ab, ist so wichtig für unser Spiel und macht so viel kleine Sachen, die man als Laie nicht sieht“, schwärmte Wahl. „Es war sehr schön, dass sich die Jungs endlich mal belohnt haben.“
Das Gefühl der kollektiven Erleichterung teilte auch Trainer Alexander Blessin: „Ich spreche nie gerne über individuelle Leistungen, aber hier muss ich jetzt etwas sagen, auch in Bezug auf Morgan. Es freut mich einfach unglaublich für die beiden.“ Auch Oladapo Afolayan, der die ersten beiden Tore mit eingeleitet hatte, bekam ein großes Lob. „Ich habe Dapo viel kritisiert. Er hat jetzt das Tor vorbereitet, hat immer wieder Nadelstiche gesetzt und war einfach griffig“, sagte Blessin. „Das ist das Level, das ich jetzt bei Dapo anlege.“
Ein Spielverlauf, wie ihn sich die Kiezkicker gewünscht hatten
Wenn man sich bei St. Pauli im Vorwege einen Spielverlauf hätte ausmalen dürfen, wäre dieser wohl ziemlich genau an das herangekommen, was sich am Freitagabend abspielte. Einen direkten Abstiegskampfkonkurrenten auf sechs Punkte distanziert, die Fans mitgenommen, den zuvor wochenlang beschriebenen Torfluch am Millerntor besiegt, den Stürmern Selbstvertrauen gegeben und am Ende einen Gegentreffer bekommen, der dann doch noch mal die Sinne schärfen könnte.
„Heute war der Tag. Die beiden Jungs stehen als Stürmer immer im Fokus, sie müssen die unangenehmen Fragen beantworten, wenn wir nicht treffen. Dabei hatte auch ich große Chancen in den vergangenen Spielen“, sagte Kapitän Jackson Irvine. „Es gibt großes Selbstvertrauen, dass beide heute getroffen haben.“
Kiel als Knotenlöser? Erinnerungen an 2023
Und so wurden bei einigen Kiezkickern auch gleich Erinnerungen an das Vorjahr wach, als man nach vier Unentschieden und nur zwei Toren aus den ersten fünf Zweitligaspielen ebenfalls gegen die KSV Holstein eine Befreiung (5:1) erlebte. „Das habe ich mir ehrlicherweise auch gedacht vor dem Spiel“, sagte Eggestein mit einem Schmunzeln. „Ich habe mich an die guten Spiele gegen Kiel erinnert, auch in Kiel (4:3, d. Red.) haben wir im vergangenen Jahr ein richtig gutes Spiel gemacht.“
Nach dem Derbysieg im Herbst 2023 startete St. Pauli eine Siegesserie. Bis Mitte Februar (0:1 in Magdeburg) blieben die Kiezkicker in der Liga ungeschlagen, auch Eggestein traf wenig später in fünf Spielen in Folge. „Es wäre schön, wenn es wieder so klappt. Jetzt kommt nächste Woche aber ein sehr guter Gegner, gegen den wir auch wieder mehr defensiv arbeiten müssen“, sagte der Angreifer mit Blick auf das Auswärtsspiel bei Meister Bayer Leverkusen (Sonnabend, 15.30 Uhr).
St. Pauli fand die richtige Balance in seinem Spiel
Die Partie gegen Kiel offenbarte zudem, dass St. Pauli mit einer offensiveren Herangehensweise gegen einen qualitativ schwächeren Gegner deutlich torgefährlicher sein kann. Rechtsverteidiger Manolis Saliakas dürfte in Leverkusen nicht mehr ganz so häufig rund um den gegnerischen Strafraum auftauchen wie seinem 1:0-Flachschuss am Freitagabend. „Wenn man defensiv nicht ganz so gefordert ist, hat man vorne mehr Kraft und Energie, um gefährliche Situationen zu schaffen“, sagte Eggestein.
Trotz der neuen Offensivpower stand gegen Kiel auch die Abwehr weiterhin stabil, was einerseits an der schwachen Holstein-Offensive, andererseits aber auch an der richtigen Balance zwischen Angriffs- und Abwehrspiel lag, die die Kiezkicker fanden. Diese Balance auch gegen etablierte Bundesligisten zu haben, dürfte die größte Aufgabe der kommenden Spiele sein.
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Wichtig wäre dafür, dass Stürmer Morgan Guilavogui keine größeren muskulären Probleme davontrug. „Es wäre der Worst Case, wenn man elf Spiele lang arbeitet, sich dann belohnt und verletzt“, sagte Blessin zur Auswechslung des Franzosen. „Ich hoffe, dass es wirklich nur ein starker Krampf war und er am Montag oder Dienstag wieder auf dem Trainingsplatz ist.“ Ein Espresso von Johannes Eggestein könnte dabei ja ein zusätzliches Lockmittel sein.