Hamburg. Die Kiezkicker haben kaum Verletzte, was ein wichtiger Grund für ihren Erfolg ist. Wie den Hamburgern das gelingt.
90 Trainingsminuten waren am Montagmittag absolviert, da wurde dann auch einer der Königstransfers von Sportchef Andreas Bornemann aktiv. Es schien, als ließe sich der Herr lange bitten. Zumal er dann zwar strammen Schrittes, aber keineswegs im Sprint seine Position einnahm. Immerhin wurde Zielobjekt Carlo Boukhalfa direkt in enge Manndeckung genommen.
Trotzdem: Cheftrainer Fabian Hürzeler war nicht glücklich darüber. Eigentlich ist beim FC St. Pauli sowieso niemand so richtig erfreut, wenn James Morgan einschreitet. Der 49-Jährige fungiert beim Tabellenführer der Zweiten Liga nämlich unter dem sperrigen Titel Leiter Physiotherapie, Rehabilitation und Prävention und ist gemeinsam mit seinem Stab dann gefordert, wenn es – so wie bei Boukhalfa – bei einem der Profis zwickt.
Wer die Profis des FC St. Pauli fit macht und gesund hält
Zumindest: In dieser Aufgabe ist der Neuseeländer gut. Verdammt gut. So gut sogar, dass er sich tatsächlich außergewöhnlich selten ins aktive Geschehen einschalten muss. Der Erfolg der Kiezkicker basiert nämlich auch auf der ausgesprochen hohen Verfügbarkeit der Akteure.
Bei den regelmäßig eingesetzten Spielern gingen nach 26 Zweitligaspieltagen 88 von 563 möglichen Kadereinsätzen verloren. Allerdings davon nur 63 durch Verletzungen. Die übrigen 25 basieren unter anderem auf Sperren, Krankheiten und sportlichen Entscheidungen von Hürzeler. Ergibt eine exzellente Quote von knapp 89 Prozent.
Muskelverletzungen beim Spitzenreiter der Zweiten Liga sehr selten
Noch beeindruckender wird das Bild, wenn man hineinrechnet, um welche Arten der Lädierungen es sich handelt. Nämlich vorrangig um die, die im US-Sport gern als „Freak Injuries“ bezeichnet werden, also durch gegnerischen Einfluss zustande kommen. Das ist beispielsweise bei den bislang 22 verpassten Partien von Scott Banks (Kreuzbandriss), aktuell den zwei Fehlzeiten von Oladapo Afolayan (am Knöchel umgeknickt) sowie der Meniskusverletzung, wegen der Maurides zu Saisonbeginn neun Begegnungen aussetzte, der Fall.
Muskuläre Probleme, die auf eine tendenzielle Verletzungsanfälligkeit oder suboptimale Trainingssteuerung hindeuten, sind hingegen selten und gehen bei den Hamburgern fast ausschließlich auf die Konten von Simon Zoller und Etienne Amenyido. Das einstige Sorgenkind Eric Smith scheint seine langjährigen Schwachstellen auch weitgehend behoben haben – wenngleich der Schwede zuletzt zwei Spiele wegen einer Adduktorenverletzung verpasste. Allerdings ist Smith auch dank der Rehamaßnahmen von Mannschaftsarzt Volker Carrero (55) inzwischen wieder voll ins Training integriert und wird am Sonntag gegen den SC Paderborn von Beginn an auflaufen.
St. Paulis Sorgenkind Eric Smith hat seine Problemzone bearbeitet
Der Spielmacher St. Paulis ist eine der offenkundigsten Erfolgsgeschichten der Arbeit des medizinischen Teams sowie der Athletiktrainer um Karim Rashwan (40). Seit seinem Wechsel ans Millerntor im Winter 2021 steigerte er seine Verfügbarkeit stetig. Zunächst verpasste er zwölf von 17 möglichen Rückrundenpartien 2020/21. In den Folgesaisons lief er 17-, 26- und bislang 22-mal in der Zweiten Liga auf. Das Schlüsselwort hierbei: Belastungssteuerung.
„James kennt mich lange genug, um die richtigen Knöpfe zu drücken – gegebenenfalls auch den Stoppknopf, wenngleich ich das nicht mag“, sagte Smith dem Abendblatt während des Wintertrainingslagers im spanischen Benidorm. Da die Kiezkicker im Training und Spiel unter ihren Trikots eine Art BH mit integrierten Chips tragen, kann der medizinische Stab permanent Leistungsdaten erheben.
Kiezkicker überprüfen Belastung der Profis mit Chips
Die Chips werden im Anschluss an die Belastung ausgelesen und können unter anderem auf eine geringfügige Verletzung hindeuten, wenn der Spieler sie noch gar nicht spürt. So können gezielte Erholungsmaßnahmen vorgenommen werden.
Es gibt also gute Gründe, weswegen Bornemann Morgan einst vom 1. FC Nürnberg, wo beide eine gemeinsame Vergangenheit haben, geholt hat. Einer davon: Boukhalfa ging flüssig und schmunzelnd vom Platz. Der Experte kriegt ihn bis Sonntag locker wieder hin.