Hamburg. St. Paulis Meistermacher Wolf Schmidt über eine Panne nach dem Titel, einen besonderen Gratulanten und seinen Job als Kommentator.

Ein kleiner Cut über dem linken Auge erinnert Wolf Schmidt auch einige Tage nach dem Triumph von Bonn noch daran, dass es bei der Meisterfeier hoch her ging. Nein, eine Schlägerei gab es nicht. „Ich habe mir die Meistertrophäe selbst an die Augenbraue gehauen, als ich sie mal wieder nach oben stemmen wollte“, verrät der 55-Jährige.

Am vergangenen Sonnabend hatte der Cheftrainer der Blindenfußballer des FC St. Pauli das Bundesligateam zum zweiten Mal nach 2017 zum deutschen Meistertitel geführt. Am letzten Spieltag auf dem belebten Bonner Münsterplatz besiegte das Team seinen bis dahin punktgleichen Konkurrenten MTV Stuttgart mit 1:0.

„Joni“ Tönsing (l.) und Kapitän Philipp Versen mit der Schale.
„Joni“ Tönsing (l.) und Kapitän Philipp Versen mit der Schale. © Sepp-Herberger-Stiftung/Carsten Kobow | Unbekannt

St. Pauli: Schmidt kommentiert Spiele für Blinde

Fünf Tage später hat Wolf Schmidt, der für das AfM-Radio auch die Profispiele des FC St. Pauli blindengerecht kommentiert, also die Spielszenen durchgehend exakt beschreibt, die runde Meistertrophäe in die Abendblatt-Redaktion zum Podcast „Millerntalk“ mitgebracht.

Das runde Werk aus Glas und Metall ist mit seinen gut fünf Kilo schwerer als gedacht. Da kann schon mal ein Unglück passieren. Immerhin ist es selbst heil geblieben. So viele Insignien von Meistertiteln hat St. Pauli ja nicht.

St. Paulis Spieler mussten Stutzen wechseln

Nach der kleinen Anekdote berichtet Wolf Schmidt ausführlich über die Besonderheiten des Blindenfußballs und die speziellen Umstände des entscheidenden letzten Punktspiels. Da trat doch Gegner Stuttgart trotz vorheriger Information per Mail ebenso mit schwarzen Stutzen an wie St. Pauli.

Die Schiedsrichter bestanden kurz vor Spielbeginn auf unterschiedliche Farben, um etwa Fouls besser erkennen zu können. „Wir wollten nicht, dass unsere Spieler in der Aufwärmphase noch einmal ihre Schuhe ausziehen müssen“, erzählt Schmidt, der umgehend in ein nahe gelegenes Kaufhaus rannte, um helle Stutzen zu kaufen.

Weil es entgegen der Beschilderung doch keine Sportabteilung gab, fand er nur normale weiße Socken, deren Fußteile noch hätten abgeschnitten werden müssen. „Als ich schon an der Kasse stand, rief mich unser Fotograf Stefan Groenveld an und sagte, alles sei geklärt. Er hatte die schwarzen Stutzen mit senkrechten Streifen aus rotem Klebeband verziert“, berichtet Schmidt, der umgehend die noch nicht gekauften Socken liegenließ und wieder zum Spielfeld eilte.

Timo Schultz gratulierte als einer der ersten

Einer der ersten Gratulanten zum Meistertitel sei im Übrigen Timo Schultz gewesen. „Von ihm habe ich schon kurz nach dem Abpfiff eine WhatsApp bekommen – das fand ich absolut überragend“, sagt Schmidt. Dabei hatte Schultz als Cheftrainer des Zweitliga-Tabellenführers an jenem Tag selbst mit dem Nordderby bei Werder Bremen (1:1) ein wichtiges und nervenaufreibendes Spiel gehabt.

An diesem Sonntag (13.30 Uhr) beim – allerdings infrage stehenden – Zweitliga-Heimspiel gegen den SV Sandhausen werden sich die beiden Erfolgstrainer im ausverkauften Millerntor-Stadion ganz nah sein. In der Halbzeitpause will die Vereinsführung das Blindenfußball-Meisterteam auf dem Rasen ehren.

Möglicherweise macht es Schultz in dieser Saison ja Schmidt nach und wird auch Meister – wenn auch „nur“ in der Zweiten Liga. Er würde damit seinem Trainerkollegen auf jeden Fall dazu verhelfen, in der kommenden Spielzeit Erstligaspiele für die Hörer des AfM-Radios zu kommentieren. München und Dortmund statt Aue und Heidenheim – das wäre auch für Schmidt, der schon 2004 mit der Blindenreportage startete, eine schöne Erfahrung.

„Thomas Müller wäre sehr gut für Blindenfußball“

Was aber zeichnet nun einen guten Blindenfußballer aus? Wolf Schmidt nennt ein prägnantes Beispiel: „In der Mitte muss ein kommunikativer Spieler sein, so ein Lautsprecher. Thomas Müller könnte man also sehr gut im Blindenfußball gebrauchen. So ein Radiotyp ist auf der Position perfekt“, sagt er.

In der Regel werden die Bundesligaspiele auf den Trainingsanlagen der einzelnen Clubs ausgetragen, St. Pauli spielt auf dem Sportplatz der Blinden- und Sehbehindertenschule Hamburg am Borgweg. Nur am jeweils ersten und letzten Spieltag gibt es große Events in Innenstädten, wie jetzt in Bonn. Vor einigen Jahren fand so etwas auch auf dem Hamburger Rathausmarkt statt. Der Meistertitel könnte doch jetzt ein Anlass für eine Neuauflage sein.

„Auf dieser Ebene der Sportpolitik spielen wir eigentlich gar nicht mit. Es gibt den Fußball-Verbandspräsidenten, der das mit einem Kuratoriumsmitglied der Sepp-Herberger-Stiftung und vielleicht dem Sportstaatsrat bespricht. Das ist keine Informationskette, an der wir als real existierende Sportler beteiligt sind. Jedenfalls war das damals so. Ich weiß also nicht, ob da was geplant ist“, sagt Schmidt, der sich jetzt in Bonn sehr über die hohe Aufmerksamkeit im Bonner Zentrum gefreut hat. 

Kommt die Meisterschale ins Museum?

Und wo wird die gerade gewonnene Meistertrophäe künftig zu bewundern sein? Schmidt verrät, dass es schon lose Gespräche mit dem Museum des FC St. Pauli in der Gegengeraden des Millerntor-Stadions gegeben habe.

„In unserer Garage am Borgweg, wo all die Pokale stehen, ist gar kein Platz mehr für die Meisterschale. Die andere von 2017 liegt auf einem Stahlschrank in einem Pappkarton. Das kann man auf jeden Fall besser präsentieren“, sagt Schmidt.