Hamburg. Der deutsche Herrentennis-Chef rät seiner Nummer eins nach deren Viertelfinaleinzug aber, die Trainerfrage schnell zu klären.
Liebe. Ein großes Wort, das schönste Gefühl, das Menschen kennen – und für Alexander Zverev am Donnerstagnachmittag gerade groß genug, um seine Emotionen auszudrücken. „Es ist unglaublich, eure Liebe zu spüren“, säuselte der beste deutsche Tennisprofi ins Stadionmikrofon, nachdem er bei seinem Heimturnier, den Hamburg European Open am Rothenbaum, mit einem 6:4, 7:6 (7:2)-Sieg über den Argentinier Federico Delbonis (28/Nr. 67) den Sprung ins Viertelfinale geschafft hatte. Angesichts von so viel Pathos hielten sich Seufzer der Entzückung und spöttisches Gelächter die Waage im Publikum, das sich angesichts der Rekordtemperaturen tapfer durch die 105 Minuten Spielzeit gekämpft hatte.
„Er hat sehr gut gespielt. Das Wichtigste war, dass ich den Tiebreak schnell gewonnen habe. Das ist ein Zeichen, dass das Selbstvertrauen langsam zurückkommt“, sagte der Weltranglistenfünfte, der in seiner Geburtsstadt zum zweiten Mal nach 2014 die Runde der letzten acht erreicht hat und dort am Freitag (nicht vor 14.30 Uhr/sportschau.de live) auf den Serben Filip Krajinovic (27/Nr. 58) trifft. Tatsächlich hatte er gegen den Hamburg-Finalisten von 2013 einige kritische Momente zu überstehen, kam im zweiten Satz von einem 0:3-Rückstand zurück, verlor nach einem Break zum 6:5 zwar direkt seinen eigenen Aufschlag, brachte dann aber den Tiebreak souverän über die Ziellinie.
Zverev will neues Selbstvertrauen tanken
Das war auch Boris Becker nicht entgangen. Der Head of Men’s Tennis im Deutschen Tennis Bund, der das Rothenbaum-Turnier noch zu Masterszeiten fünf Jahre (2001 bis 2005) als Chairman begleitet hatte, war am Donnerstag als aufmerksamer Beobachter angereist. Und was er sah von seinem besten Mann, gefiel dem 51-Jährigen. „Er hat zuletzt ja nicht so viel gewonnen, deshalb war ich sehr erfreut, wie er im zweiten Satz zurückgekommen ist. Er scheint freier zu spielen, die Rückkehr in die Heimat tut ihm sichtlich gut“, sagte er.
Fraglos scheint Zverevs Plan, mit dem Heimatbesuch nach zwei Jahren Abstinenz neues Selbstvertrauen zu tanken, aufzugehen. Dennoch sieht Becker den Viertelfinaleinzug nur als „einen Baustein auf dem Weg zurück zur alten Stärke“. Insbesondere zwei Baustellen gelte es vorrangig zu schließen. Zum einen die Beendigung des schwelenden Rechtsstreits mit Manager Patricio Apey, von dem sich Zverev im März offiziell trotz Vertrags bis 2023 losgesagt hatte. Über die Gründe dafür wollte Becker nicht sprechen, „ich weiß dazu mehr, als ich derzeit sagen kann, darf und will“, sagte er nebulös.
Zverev: „Ich brauche Ivan nicht jede Woche“
Zum anderen stößt dem dreimaligen Wimbledonsieger die ungeklärte Trainersituation auf. Dass der US-Amerikaner Ivan Lendl (59), mit dem Zverev im November 2018 in London ATP-Weltmeister geworden war, sich im gesamten Frühjahr von der Trainingsarbeit ferngehalten hatte und nun auch in Hamburg fehlt, hält Becker für unprofessionell. „Wenn man einen solchen Weltklassetrainer hat, muss man ihn auch bei sich haben“, sagte er. Zverev reagierte darauf gelassen. „Ich brauche Ivan nicht jede Woche. Wenn wir uns sehen, machen wir gute Arbeit, das genügt mir“, sagte er.
Eine bemerkenswerte Aussage ist das für einen 22-Jährigen, der als kommender Grand-Slam-Champion gehandelt wird, an diesem Anspruch jedoch bei den vier Major-Turnieren bislang mehr oder minder hart abgeprallt ist, zuletzt in Wimbledon in Runde eins. Noch in der vergangenen Woche hatte er Lendl in einer Pressekonferenz hart dafür kritisiert, sich bei der gemeinsamen Arbeit nicht ausreichend auf das Training zu fokussieren. „Sascha redet sich manchmal den Frust von der Seele. Ich habe ihm geraten, das nicht zu oft öffentlich zu tun“, sagte Becker dazu.
Streit mit Lendl um Kompetenzen
Hintergrund der Diskrepanzen ist, dass sich Zverevs Vater Alexander senior (59), der den Sohn seit vielen Jahren coacht, mit Lendl um Kompetenzen streitet und deshalb zuletzt die Reise nach Wimbledon nicht antrat. Becker sagte: „Alexander wird immer von seinem Vater betreut werden. Aber wenn man mit Ivan einen der besten Trainer der Welt hat, muss man ihn nutzen – oder sich trennen.“
Persönliche Hintergedanken, das stellte er klar, habe er dabei nicht. Nach der dreijährigen Zusammenarbeit mit dem serbischen Weltranglistenersten Novak Djokovic (32) habe er Ende 2016 bewusst eine andere Aufgabe im Tennis übernommen. „Ich begleite Alexander als Mentor und bin immer da, wenn er Hilfe braucht. Aber als Cheftrainer 30 Wochen im Jahr durch die Welt zu reisen, das kann ich mir beim besten Willen nicht mehr vorstellen.“
Zverev betonte, er werde im Rahmen der nordamerikanischen Hartplatzsaison ab Mitte August mit Lendl klären, wie die weitere Zusammenarbeit aussehen soll. Aktuell will er sich darauf konzentrieren, die Liebe seiner Hamburger Fans zu genießen. Nächste Chance dazu: Freitagnachmittag, Center Court.