Toronto/Berlin. Exekutive will bis zum 26. Juli über einen Ausschluss russischer Athleten für Olympia in Rio urteilen. Deutsche Sportler denken um.
Die Entscheidung über einen möglichen Komplett-Ausschluss Russlands von den Olympischen Sommerspielen in Rio (5. bis 21. August) wird innerhalb einer Woche getroffen. Das bestätigte ein Sprecher des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am Mittwoch dem SID. Spätestens am kommenden Dienstag, 26. Juli, soll das Urteil vorliegen.
Das IOC hatte am Dienstag erklärt, dass man zunächst noch das Urteil des Internationalen Sportgerichtshof CAS bezüglich des Einspruches von 68 russischen Leichtathleten abwarten wolle, die vom Leichtathletik-Weltverband IAAF nicht für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro zugelassen worden waren. Diese Entscheidung soll spätestens am Donnerstag (21. Juli) fallen.
Der Ausgang des CAS-Urteils hat auch Einfluss auf die Entscheidungsfindung des IOC. Sollte es am Donnerstag ein klares Urteil geben, wird es auch für die Ringe-Organisation leichter, über eine mögliche Verbannung des Riesenreichs zu befinden.
Durch die Veröffentlichung des McLaren-Reports am Montag war bekannt geworden, dass es in Russland zwischen 2011 und 2015 ein staatlich gelenktes Doping-System gegeben hat. In einem ersten Schritt hatte das IOC am Dienstag einige Sofortmaßnahmen gegen Russland verhängt. Unter anderem werden vorerst keine IOC-Sportveranstaltungen in Russland mehr organisiert. Auch die Planungen bezüglich möglicher Europaspiele 2019 in Russland wurden auf Eis gelegt.
Pressestimmen zum Wada-Report
"The Times" (Großbritannien)
Einigen mag ein totaler Ausschluss (von den Olympischen Spielen in Rio) auf der Grundlage einer Untersuchung, die nicht jeden einzelnen Athleten erfasste, eine zu harte Maßnahme sein. Tatsächlich ist es jedoch die einzige übrig gebliebene Option. Auf dem Spiel stehen die Integrität der olympischen Bewegung und der Wert jeder Medaille, die durch einen sauberen Sportler gewonnen wurde. Deshalb haben Wettkämpfer aus zehn Nationen an das IOC geschrieben und einen völligen Ausschluss Russlands verlangt. Präsident Putin hat gestern in St. Petersburg erklärt, eine derart drastische Maßnahme wäre „unfair und unzivilisiert". Wie so oft sprach der russische Führer wie aus einem invertierten Universum. In Wirklichkeit wäre es der Inbegriff von Ungerechtigkeit, einem Team die Teilnahme am Wettbewerb zu erlauben, das von Betrug dominiert wird.
„Neue Zürcher Zeitung“ (Schweiz)
Staatsdoping? Man darf sich ruhig die Augen reiben ob der realen Existenz eines Konstrukts, das man längst beerdigt glaubte. (...) Die jüngsten Erkenntnisse aus dem russischen Spitzensport legen denn auch ein sehr archaisches Denken offen – eines, das zum Treiben der politischen Führung auf internationalem Parkett passt: Hauptsache, Terraingewinne, egal zu welchem Preis. Diese Dreistigkeit der Staatsdoper darf nicht folgenlos bleiben. Nachdem das Ausmaß des vertuschten Dopings in der russischen Leichtathletik bereits zum Ausschluss der Sportler von den Olympischen Spielen in Rio geführt hat, müsste nun der gesamte russische Sport im August zu Hause bleiben. Schließlich betrifft der Betrug nicht nur die Leichtathletik oder den Wintersport, sondern die ganze Palette an Leibesübungen. Zwar würde ein kompletter Ausschluss auch Sportlerinnen und Sportler treffen, die sauber sind, doch der Fall ist so gravierend, dass solche Kollateralschäden in Kauf zu nehmen sind.
„La Repubblica“ (Italien)
Der Verfall des militärischen Apparates und des Geheimdienstes KGB in der post-sowjetischen Ära hat auch den russischen Sport und sicher die unterstützenden chemischen Labore geschwächt. Es war Putin, der den Niedergang der UdSSR die größte Tragödie der Geschichte genannt hatte, und der die Wiederkehr der sportlichen Größe zur Vorgabe gemacht hatte. (...) Die Olympischen Spiele in Sotschi waren die große Wiedergutmachung des Zars: Wegen der Organisation und wegen der sportlichen Ergebnisse. Aber sie waren auch das Grab des russischen Sports. Weil der Chef des russischen Antidopinglabors, der wusste, wie die Geheimdienste die Tests in Sotschi manipuliert haben, nach Amerika geflohen ist und ausgepackt hat. (...) Wenn Russland nicht in Rio dabei ist, ist der Zar nackt. Aber genau deshalb ist er noch furchterregender.
„De Telegraaf“ (Niederlande)
Die große Frage ist nun, was das IOC, das heute darüber berät, tun wird. Möglicherweise wird es Ausnahmen für Sportler geben, die nachweisen können, dass sie außerhalb des russischen Systems trainiert haben, so wie es zuvor bereits in der Leichtathletik angekündigt worden war. IOC-Präsident Thomas Bach erklärte, man schrecke von Sanktionen nicht zurück - aber wird das IOC es wagen, eine große Sportnation wie Russland größtenteils von den Spielen in Rio auszuschließen? Hoffentlich wird es das. Russland hat den Sport als Vehikel seines Machtdenkens missbraucht und jedes Mittel war recht, um Medaillen zu holen. Das ist eine Strategie, die an die Hochzeiten der DDR erinnert. Wenn hier jetzt nicht Grenzen gesetzt werden, verlieren die Olympischen Spiele an Glaubwürdigkeit und jede russische Medaille stünde von vorneherein unter Verdacht.
"Hannoversche Allgemeine Zeitung“ (Deutschland)
Am Montag haben die Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur offengelegt, dass in Russland Doping staatlich und systematisch gefördert wurde. Knapp drei Wochen vor den Olympischen Spielen, muss das IOC entscheiden, ob eine ganze Nation von den Spielen ausgeschlossen wird. Natürlich ist es nicht fair, wenn auch saubere russische Athleten zu Hause bleiben müssen. Aber wenn ein Land nachweislich systematisch manipuliert und betrogen hat, dann bleibt am Ende nur die Möglichkeit der Kollektivstrafe. Ein Ausschluss Russlands wäre daher ein mutiges Zeichen - und ein Versuch, die Glaubwürdigkeit des Sports wieder herzustellen.
„Duma“ (Bulgarien)
Eine Reihe von Staaten, unter ihnen die USA, Kanada, Deutschland, Japan und andere, forderten, dass Russland von den Olympischen Spielen in Rio (de Janeiro) im kommenden Monat (wegen staatlich gesteuerten Dopings) ausgeschlossen wird. Dies aber geschah einen Tag bevor der (WADA-)Bericht (…) bekanntgegeben wurde. Das bedeutet, dass diese Staaten schon von dem Bericht wussten, als er geschrieben wurde. Der Ball ist jetzt beim Internationalen Olympischen Komitee (IOK), das entscheiden muss, ob Russland mit dem Ausschluss von den Spielen bestraft werden soll. Dies alles hat eine politische Grundlage und ist offensichtlich Teil des Kampfes gegen (den russischen Präsidenten Wladimir) Putin. Man kann ja nicht (bei den Olympischen Winterspielen) in Sotschi einen Biathlon-Athleten beim Doping erwischen und dann einen Biathlon-Athleten von (den Olympischen Spielen in) Rio vertreiben. Es mangelt an Logik, was vor einigen Tagen der IOK-Chef Thomas Bach andeutete. Jetzt wird es Druck auf den Deutschen geben, Russland herauszuschmeißen.
„Sport-Express" (Russland)
Der WADA-Bericht ist ausgewogen und durchdacht, aber nicht ohne Schwachstellen. Präsident Wladimir Putin hat nun die Suspendierung der Schuldigen angekündigt - aber ob uns dies vom Ausschluss von Olympia in Rio retten wird, ist eine große Frage. Die Möglichkeit eines traurigen Endes ist leider sehr real.
„RBK“ (Russland)
Der WADA-Bericht kann zum Ausschluss Russlands von Olympia in Rio führen. Zwar hat Chefermittler Richard McLaren dies nicht explizit gefordert, aber es gibt Stimmen, Russland für internationale Wettbewerbe zu sperren - „bis zur Veränderung der Kultur" im Land.
„Rossijskaja Gaseta“ (Russland)
Der WADA-Bericht enthält keine konkreten Beweise, die Dopingverstöße während Olympia in Sotschi belegen. Alles stützt sich auf Aussagen des Ex-Chefs des Moskauer Anti-Dopinglabors, Grigori Rodschenkow. Angesichts seines zweifelhaften Rufs kann man seinen Erklärungen kaum vertrauen.
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Pound versteht IOC-Zurückhaltung
Das IOC ist sehr zurückhaltend bezüglich eines Komplett-Ausschlusses Russlands. Dieser Meinung ist IOC-Mitglied und Ex-Wada-Chef Dick Pound. "Wenn du so etwas Dramatisches machst und ein ganzes Team suspendierst, dann willst du sicher sein, dass du im Vorfeld nicht irgendetwas übersehen hast, was dich später zu Fall bringen könnte", sagte Pound der BBC.
Pound gehört nicht dem Exekutive-Komitee des IOC an und ist deshalb nicht in alle Entscheidungen eingebunden. "Beim Lesen zwischen den Zeilen habe ich den Eindruck, dass das IOC aus irgendwelchen Gründen sehr zurückhaltend ist, wenn es darum geht, über einen Ausschluss Russlands nachzudenken."
Pound meinte auch, dass ein Olympia-Ausschluss Russland klarmachen würde, dass der Rest der Welt nicht mehr mit ihnen spielen wolle und dass es dann an Russland liege zu zeigen, "dass sie sich geändert haben".
DHB gegen Kollektivstrafe
Der Deutsche Handballbund (DHB) ist gegen einen kompletten Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen in Rio. „Ich würde mich freuen, wenn die Russen im Handball teilnehmen“, sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Zu anderen Sportarten wollte er sich nicht äußern.
Russlands Handball-Frauen hatten sich als Sieger des Ausscheidungsturniers vom 18. bis 20. März im heimischen Astrachan für Rio qualifiziert. Dort spielt das Team in der Vorrundengruppe B gegen die Niederlande, Schweden, Frankreich, Argentinien und Südkorea. Die deutsche Mannschaft hatte durch die Niederlage im Viertelfinale der WM 2015 in Dänemark gegen den späteren Weltmeister Norwegen die Olympia-Qualifikation verpasst. Die russischen Handballer hatten sich nicht für Rio qualifiziert.
SPD-Sportfrau fordert Taten von Bach
IOC-Präsident Thomas Bach soll nach Meinung von SPD-Sportpolitikerin Dagmar Freitag seinen Worten über Null-Toleranz von Doping nun Taten folgen lassen. „Wir brauchen jetzt einen Präsidenten im Internationalen Olympischen Komitee, der seiner Führungsrolle nachkommt und Führungsstärke zeigt“, sagte die Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. „Thomas Bach muss vorangehen und eine Haltung vorgeben, für die er in der IOC-Exekutive um eine Mehrheit ringt.“
Die Mitglieder des IOC-Exekutivkomitees
Präsident
Thomas Bach (Deutschland)
Vize-Präsidenten
Nawal El Moutawakel (Marokko) Craig Reedie (Schottland) John D. Coates (Australien) Yu Zaiqing (China)
Mitglieder
Wu Ching-Kuo (Taiwan) René Fasel (Schweiz) Patrick Hickey (Irland) Claudia Bokel (Deutschland) Juan Antonio Samaranch (Spanien) Sergej Bubka (Ukraine) Willi Kaltschmitt Luján (Guatemala) Anita DeFrantz (USA) Ugur Erdener (Türkei) Gunilla Lindberg (Schweden)
DOSB-Athleten doch für Komplettausschluss
Die Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) hat sich nun doch für einen Komplett-Ausschluss Russlands von den Spielen in Rio ausgesprochen. "Das kann eigentlich nur zu einem kompletten Ausschluss führen. Das ist auch das, was wir als Athletenkommission fordern. Wir schließen uns der Forderung der WADA und der IOC-Athletenkommission an, nachdem wir gestern ein bisschen falsch verstanden wurden", sagte Christian Schreiber, Vorsitzender der Kommission, im ZDF-Morgenmagazin.
Am Tag zuvor hatte sich die Vereinigung noch gegen einen vollständigen Ausschluss ausgesprochen. Zwar sei diese Maßnahme "mit Sicherheit die Ultima Ratio der offensichtlichen Sanktionen", hieß es in einem Statement des Gremiums, doch "nachweislich sauberen Athleten muss das Startrecht bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Rio und kommenden Wettkämpfen eingeräumt werden".
Schreiber, der dem siebenköpfigen Gremium vorsteht, forderte auch eine Perspektive in der Debatte um Russland. "Die Sperre ist das eine", sagte Schreiber. Das sei man der aktuellen Athletengeneration schuldig, ein solches Zeichen zu setzen. Man müsste jetzt aber auch schauen, ob es saubere russische Athleten gibt, die im Ausland leben. Und man müsse herausfinden, "wer die Nutznießer dieses Systems sind. Also namentlich, welche russischen Athleten haben profitiert", sagte der frühere Ruderer und forderte weitere Ermittlungen.