Hamburg. Heimspiel-Premiere des Baumgart-Teams im Volksparkstadion – wie die Rückkehr in die Bundesliga im siebten Anlauf gelingen kann.

Es ist noch ziemlich ungewohnt, auf die 2. Bundesliga zu blicken und in Spieltagsankündigungen den FC St. Pauli nicht zu finden. Ja, es ist wirklich wahr: Großen Fußball in Hamburg gibt es in dieser Saison im Millerntor-Stadion. Was für ein Signal an die Stadt, am Freitag beim letzten Test vor dem Pflichtspielstart im DFB-Pokal in Halle Europa-League-Gewinner Atalanta Bergamo zu Gast zu haben!

Ziemlich groß fühlt sich allerdings auch an, was sich einen Tag später im Volksparkstadion ankündigt. HSV gegen Hertha BSC, zwei Namen, aus deren Vereinsporen der Erstligaduft förmlich herausströmt. Ein Topspiel am Abend zur besten Sendezeit, natürlich wie zuletzt immer vor ausverkauften Tribünen.

Passt die Aufstiegsformel des FC St. Pauli zum HSV?

In einem Land, in dem die Scheidungsrate von Ehepaaren 2023 bei beachtlichen 35 Prozent lag, ist die Treue der Anhängerschaft zu ihrem Fußballpartner beachtlich, wenn auch nicht völlig überraschend, denn großes Kino ist beim HSV auch im siebten Jahr in der Zweitklassigkeit garantiert. Und welcher Fan wird nicht insgeheim denken: Dieses Mal wird es wirklich klappen mit der Bundesliga-Rückkehr! Aber ist das auch realistisch? Und kann sich der HSV von St. Paulis Aufstiegsformel etwas abgucken?

Dass sich die Elf vom Millerntor die Meisterschaft schnappte, hatte vor allem drei Gründe: Erstens: der Glücksgriff Fabian Hürzeler als Cheftrainer. Zweitens: die Transferpolitik von Sportchef Andreas Bornemann, der den Kader nach seinen Vorstellungen kontinuierlich erneuerte. Mit der Scouting-Abteilung entdeckte und verpflichtete Bornemann Spieler wie beispielhaft Oladapo Afolayan, den vorher niemand kannte. So wuchs die Qualität – trotz immer wieder einiger Abgänge – kontinuierlich. Und drittens: Der Schlüssel schlechthin war die funktionierende Mannschaft mit herausragenden Akteuren wie Jackson Irvine, die sich sehr früh auf das Saisonziel Aufstieg einschwor.

Vorteil HSV: Großteil des Teams ist zusammengeblieben

Der letzte Punkt klingt banal, ist es aber bei Weitem nicht. Wie eine eingespielte Mannschaft, die Widerstände gemeinsam überwindet, im Wettbewerb gegen deutlich teurere Kader bestehen kann, zeigte nicht zuletzt in der vergangenen Saison der 1. FC Heidenheim. Trotz der bisher überschaubaren Transferaktivitäten und eines neuen Trainers ist der FC St. Pauli keineswegs chancenlos beim Kampf um den Klassenerhalt. Spannend wird sein, wie schnell die Spieler die Impulse von Neu-Trainer Alexander Blessin umsetzen können.

Der HSV geht auf den ersten Blick einen anderen Weg. Die Verpflichtung von Davie Selke, den Steffen Baumgart aus Köln und Stefan Kuntz aus der DFB-Zeit kennt – eher naheliegend, genau wie die Verpflichtung des Trainers im Winter und des Neu-Vorstands selbst.

Als größtes Plus könnte sich aber in dieser Saison erweisen, dass die Mannschaft zusammengeblieben ist und nur gezielt und abgesehen von Selke eher ungewöhnlich (mit überschaubarem Kapitaleinsatz) verstärkt wurde, durchaus eine Parallele zum FC St. Pauli. Oder kannten Sie Silvan Hefti vor seinem Wechsel nach Hamburg?

HSV: Nur ein guter Zusammenhalt reicht nicht für den Aufstieg

Fakt ist aber auch, dass das Bilden einer intakten Gemeinschaft (siehe Tim Walter) nicht für den Aufstieg reichte. Was zu oft in der Vergangenheit beim HSV fehlte, waren die nötige Variabilität auf dem Platz sowie die Gier nach maximalem Erfolg, gerade in Entscheidungsspielen. Wer sich beim HSV umhört, der bekommt gespiegelt, wie viel unbändigen Ehrgeiz Stefan Kuntz trotz seines freundlichen Auftretens ausstrahlt. Wenn er, der tief im Inneren ja immer auch Trainer ist, eine „Niemals-aufgeben-Kultur“ (es muss ja nicht gleich ein Sechs-Sekunden-Wahnsinn wie bei den Handballern sein) vorantreiben kann, wäre viel gewonnen.

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Denn: Zu den Zutaten des Aufstiegs beim FC St. Pauli gehörten nicht nur taktische Handlungsanweisungen, sondern auch eine mentale Stärke, sicher auch gefördert durch Maßnahmen wie Teamcoaching. Diese Stärke des Lokalrivalen ließ der HSV in der Rückrunde oft vermissen. Gelingt hier eine Wende, wächst die Wahrscheinlichkeit für den Aufstieg beträchtlich. Es wäre Zeit für großen Fußball am Millerntor – und im Volkspark.