Hamburg. Ole Schmieder arbeitet für das sozialpädagogische Fanprojekt. Was er auf Auswärtsfahrten erlebt und was ihn an der aktiven Fanszene beeindruckt.
Seinen Herzensverein trägt Ole Schmieder auch zum Podcast-Termin beim Abendblatt auf seinem Herzen: Links oben auf seinem grauen Kapuzenpullover ist das HSV-Wappen zu sehen. Die Botschaft, die dazu geschrieben steht, ist Schmieder aber mindestens genauso wichtig: „Love Hamburg, hate racism.“
Für Toleranz und gegen jede Form von Diskriminierung im Fußball zu kämpfen: Das gehört zu den zentralen Anliegen des HSV-Fanprojekts, für das Schmieder (48) als eines von vier Teammitgliedern arbeitet. Bereits seit mehr als 40 Jahren leistet es präventive und sozialpädagogische Arbeit für junge Fans. „Das Projekt hat schon in den 80er-Jahren angefangen, ‚Gegen rechts‘-Sticker im Stadion anzubieten. Das war beim HSV ein absolutes Novum“, erzählt der Jurist im Podcast „Komplizen für die Zukunft“.
Die Tötung des 16 Jahre alten Werder-Fans Adrian Maleika durch HSV-Hooligans 1982 hatte den Anlass zur Gründung des sozialpädagogischen Projekts gegeben. Seither habe sich in der Hamburger Fanszene vieles zum Positiven geändert, sagt Schmieder. Das sei aber nicht nur dem Projekt und der zehn Jahre später gegründeten Fanabteilung Supporters Club zu verdanken, sondern auch den Ultras der aktiven Fanszene: „Sie haben keinen Bock auf Nazis und wollen nicht, dass der HSV als rechter Schlägerverein bekannt ist.“
Das sagt Ole Schmieder über …
… die Welt der Ultras:
„Sie haben eine sehr große Leidenschaft für den Verein, für den Fußball und für die Bewegung der aktiven Fanszene. Es ist total rebellisch, das hat ein anarchisches Element. Man nimmt sich Freiräume, die man auch verteidigt, man geht gegen Widerstände vor. Es gibt da unterschiedliche Aktionsformen. Ultra ist nicht allein Pyro und Gewalt. Das sind die beiden Dinge, die man vielleicht in der Presse oder Social Media als Erstes sieht, weil es eben gute Schlagzeilen bringt, weil es auch faszinierende oder abschreckende Bilder erzeugt. Aber es ist nach meiner Beobachtung nicht der Kern von Ultra. Sie stecken viel Energie und Gehirnschmalz in den Protest gegen Investoren, gegen die DFL, in die Kernfrage, wohin der Fußball gehen soll. Ultra ist das Gefühl, dass man das nicht allein macht, sondern man zusammen ganz viel erreichen kann. Für junge Leute ist das ein tolles Netzwerk. Welche 17- oder 18-Jährigen können zwei, drei Busse mieten, eine Auswärtsfahrt organisieren, Tickets für 100 Leute, eine Choreo und Räume für die Vorbereitung organisieren, das Material einkaufen? Da lernen sie unheimlich viele Kompetenzen, die sie so einfach nicht in anderen Zusammenhängen nicht bekommen können.“
… die Arbeit des HSV-Fanprojekts im Fanhaus in Altona:
„Wir können zunächst einmal unsere Räumlichkeiten anbieten. Es gibt mehrere Gruppen wie das Netzwerk Erinnerungsarbeit oder den Förderkreis Nordtribüne, die bei uns ihre festen Tage haben. Die Fanszene trifft sich mit Fanclubs, um über das Geschehen auf der Nordtribüne zu diskutieren. Fans können bei uns Partys feiern, aber auch Teile von Choreografien basteln. Es kommen gerne Leute vorbei, um an der Graffitiwand im Garten zu sprühen, die man von der S-Bahn aus sehen kann. Wir vom Fanprojekt haben oben unsere Büros. Aktuell hat die Fanszene sehr gute Kommunikationswege zum Verein, sodass wir als Vermittler gar nicht so gefragt sind. Wir können aber beispielsweise Rat und Tat anbieten, wenn es um die Organisation von Veranstaltungen geht. Was wir nicht können und wollen, ist, eine Richtung vorzugeben und in die Fanszene hineinzuregieren.“
Ole Schmieder vom HSV-Fanprojekt: „Auf den Rängen kommen schon überall blöde Sprüche“
… seine Erlebnisse auf Auswärtsfahrten:
„Das meiste besteht aus warten. Man geht zum Treffpunkt der Fanszene und wartet, bis es losgeht. Dann sitzt man im Zug und wartet, dass man ankommt. Dann geht man zum Stadion und wartet, bis es geöffnet wird. Dann wartet man auf den Anpfiff. Das klingt alles langweilig, ist es aber nicht, denn wir haben ja die Leute, mit denen wir reden können. Wir können den Kontakt intensivieren, mit Leuten reden, die wir unter der Woche nicht sehen: Was ist dir passiert, wie geht es dir, was machst du so? Was man als Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen eben so macht: Beziehungsarbeit. Wir machen soziale Arbeit für HSV-Fans, aber die haben normale Anliegen wie alle anderen, die zum Beispiel in ein Stadtteiljugendzentrum kommen. Wir sind keine Spezialisten in der Schuldner- oder Suchtberatung. Aber wir können ein Scharnier bilden und sie an geeignete Stellen vermitteln oder mit ihnen dorthin gehen. Oder wir helfen bei einer Stadionverbotsandrohung.“
… Diskriminierung im Volksparkstadion:
„Man merkt schon, dass auf den Rängen überall blöde Sprüche kommen und eine ganze Menge an sexistischen Äußerungen Frauen gegenüber. Es gibt wohl offensichtlich auch im Jahr 2024 noch Männer, die es nicht ertragen können, dass Frauen auch Fußball toll finden und das auch im Stadion erleben wollen. Es gibt auch dumme rassistische Sprüche. Das rutscht den Leuten so raus, ich würde nicht immer davon ausgehen, dass das überzeugte Neonazis sind. Aber Alltagsrassismus ist einfach da. Wir müssen alle noch weiter daran arbeiten und den Leuten klarmachen, dass das keinen Platz hat.“
… das Verhältnis zum Fanladen St. Pauli:
„Wir sind beide beim selben Träger, dem Verein Jugend und Sport, angestellt, da gibt es Gesamtteamsitzungen. Wir machen eine gemeinsame Weihnachtsfeier – mittlerweile im Sommer, weil vor Weihnachten die Zeit fehlt. Die Wege sind kurz, um Dinge zu besprechen. Vor den Derbys mussten wir viel miteinander reden: Wer ist an den Spieltagen im Einsatz, was ist vorher und hinterher passiert? Wie kommen wir an die Arbeitskarten? Treffen wir uns hinterher auf dem Kiez, um die Lage zu besprechen?“
… Fußball, Fans und Investoren:
„Es geht nicht ohne die Fans. Sie sind der Grund, warum Investoren und Sponsoren das Geld da reinbuttern. Für das Geld bekommen wir Profifußball, und der HSV kann sich auch als Zweitligist gute Profis leisten. Es wird keine heile Fußballwelt mehr geben, der Zug ist abgefahren, das wissen auch die Fans. Ihnen geht es, glaube ich, darum, dass es nicht überdreht wird und sie nicht Fans einer Gesellschaft sind, die vielleicht in fünf Jahren an die nächste Investorengruppe verkauft wird, die wiederum dann einen neuen Trainer mitbringt, in der Vorbereitung eine große Werbetour in China vorschreibt und, dass Teile der regulären Saison in anderen Ländern gespielt werden. Die Leute mit dem vielen Geld haben mehr Durchsetzungsfähigkeit bei Verbänden und Vereinen. Die Fans müssen ihr Gewicht in die Waagschale werfen und sich mit ihren Mitteln Gehör verschaffen. Die Protestaktionen der aktiven Fanszene, die zuletzt Spiele elendig lange unterbrochen hat, waren für alle, die das im Stadion erlebt haben, nervenzehrend und belastend. Aber der Zuspruch vieler Fußballfans war doch recht hoch.“
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… künftige Herausforderungen für das Fanprojekt:
„Mit den HSV Young Ones gibt es seit einigen Jahren eine Anlaufstelle für junge HSV-Fans. Mit ihnen müssen wir in Kontakt kommen. Ob es nach den Europawahlen jetzt auch zu einem Rechtsruck in der Fanszene kommt, müssen wir abwarten – angedeutet hat es sich nicht. Aber die Frage ist, wie so eine allgemeine Stimmung in Deutschland, in den Fanszenen durchschlägt. Wenn mehr Forderungen nach Law and Order von Innenministern und Innensenatoren laut werden, kann sich das auch auswirken. Werden Auswärtskontingente reduziert, kommen sogar Auswärtsverbote? Führt man vielleicht, wie in anderen Ländern üblich, auch so eine komische Fancard ein mit Foto und so weiter, um Leute zu überwachen und zu kontrollieren? Sollte die Deutsche Fußball-Liga an den Polizeikosten auch in anderen Bundesländern als Bremen beteiligt werden, dann könnten die Vereine einen Strich ziehen und sich fragen: Wollen wir noch Fanprojekte finanzieren, wenn wir sowieso die Polizei bezahlen müssen? Ein Punkt, bei dem wir uns als Projekt einbringen können, sind die Preise. Bei Einzeltickets gab es vergangene Saison schon Ausreißer nach oben, das sieht die Fanszene sehr kritisch. Die allgemeine Entwicklung in Deutschland macht vor dem Fußball sicher nicht halt.“
Wie sich das Verhältnis zwischen HSV- und St.-Pauli-Fans entwickelt hat, auch das erzählt Ole Schmieder in diesem Podcast. Die Veranstaltungen der VHS-Reihe „Komplizen für die Zukunft“ finden Sie hier.