Hamburg. In Braunschweig drehte der HSV erstmals seit 2008 einen Zwei-Tore-Rückstand. Warum der Einbruch in der Rückrunde diesmal ausbleibt.

Am Sonntagmittag hatte Toni Leistner einen Termin bei Tim Leibold. Der Anlass: Haare stutzen. Direkt nach dem Training ließ sich der Verteidiger vom HSV-Kapitän seine ohnehin schon recht kurzen Stoppeln noch einmal kürzen. Am Tag zuvor hatte Leistner bereits angekündigt, warum er trotz der aktuell geschlossenen Friseurläden eine Rasur benötigte. „Tim Leibold hat mir gestern nicht die Haare geschnitten, dadurch ist der Ball nicht so gut gerutscht“, sagte Leistner bei „Sky“ unmittelbar nach dem 4:2 (1:2)-Sieg des HSV bei Eintracht Braunschweig.

Der Abwehrchef der Hamburger konnte sich diesen Spaß erlauben. Trotz seines kapitalen Fehlers in der ersten Halbzeit, als seine verunglückte Rückgabe mit dem Hinterkopf dem Braunschweiger Marcel Bär die 2:0-Führung ermöglichte (41.), feierte der HSV nach 90 Minuten den elften Saisonsieg und die damit verbundene Hinrundenmeisterschaft. Mit 36 Punkten führen die Hamburger die Tabelle vor dem VfL Bochum (33) und Holstein Kiel (32) an, dicht gefolgt von Fortuna Düsseldorf (31) und Greuther Fürth (29).

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Viel Zeit, die erfolgreiche Hinrunde zu resümieren, bleibt dem HSV nicht. Bereits am Dienstag steht auswärts in Düsseldorf ein echtes Spitzenspiel an. Daniel Thioune verzichtete daher auch am Sonntag auf ein tiefer gehendes Fazit der ersten Saisonhälfte. „Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass Düsseldorf hier im Volkspark war“, sagte der Trainer und erinnerte sich an den ersten Spieltag vor ziemlich genau vier Monaten, als der neuformierte HSV mit einem 2:1-Sieg gegen den Bundesliga-Absteiger in eine ungewisse Saison gestartet war.

Wie Thioune den HSV-Sieg in Braunschweig erzwang

17 Spiele, elf Siege, 40 Tore und 36 Punkte später haben die HSV-Verantwortlichen die Gewissheit, dass es im dritten Anlauf klappen könnte mit der Rückkehr in die Bundesliga. Innerhalb von 16 Wochen hat der Club fast alles durchlebt, was man in einer Saison so erleben kann. Einen Rekordstart mit fünf Siegen zum Auftakt, eine Krise mit fünf sieglosen Spielen, eine weitere Serie mit sieben ungeschlagenen Partien, späte Rückschläge, furiose Siege und zum Abschluss der Hinrunde noch eine wilde Aufholjagd, die der HSV in dieser Form zuletzt 2008 erlebte, als die Hamburger gegen Leverkusen einen Zwei-Tore-Rückstand noch in einen Sieg drehten.

In Braunschweig machte der HSV innerhalb von 20 Minuten aus einem 0:2 ein 4:2. Wie erwartet tat sich der Tabellenführer gegen tief stehende Braunschweiger lange schwer und patzte zudem hinten bei den wenigen Offensivaktionen des Aufsteigers. Felix Kroos hatte die Eintracht zunächst nach einem weiten Einwurf in Führung gebracht, weil die gesamte Defensive nicht energisch genug verteidigte. Als Bär dann kurz vor der Halbzeit den Leistner-Schnitzer zum 2:0 nutzte, sah vieles nach einem Ausrutscher aus. „Die Konkurrenz hat sicher gedacht, dass wir heute patzen. Aber auch ein 0:2-Rückstand kann uns nicht das Genick brechen“, sagte Leistner.

Schlüssel Nummer eins zur Wende in Braunschweig war das Anschlusstor durch David Kinsombi mit dem Pausenpfiff (45.+2), das der erneut gut aufgelegte Sonny Kittel perfekt vorlegte. Schlüssel Nummer zwei waren die Wechsel des Trainers zur Halbzeit. Für Josha Vagnoman, der sich am Sprunggelenk verletzte und am Dienstag wohl ausfallen wird, sowie Bakery Jatta brachte Thioune Amadou Onana und Aaron Hunt. Zudem veränderte der Chefcoach die Positionierungen, verdichtete das Zentrum und agierte in der Spieleröffnung mit einem Dreieraufbau, während Moritz Heyer auf die rechte Abwehrseite rückte.

Es bedurfte allerdings schwerer Fehler der Braunschweiger vor den Toren. Vor dem 2:2 durch Simon Terodde spielte Brian Behrendt den Ball fast unbedrängt vor die Füße des HSV-Stürmers, der aus 14 Metern mühelos einschob (51.). Beim 3:2 durch Hunt (59.) ließ Torwart Jasmin Fejzic den Schuss aus spitzem Winkel durch die Beine rutschen, und vor dem 4:2 durch Kinsombi (65.) verlor Lasse Schlüter den Ball an Heyer. „Es wurden Geschenke auf beiden Seiten verteilt“, sagte Thioune.

2018 holte der HSV in der Hinrunde einen Punkt mehr

Wie schon vor zwei Jahren führt der HSV die Tabelle nach der Hinrunde an. 2018/19 holten die Hamburger unter Trainer Hannes Wolf sogar noch einen Punkt mehr (37), ehe in der Rückrunde der Absturz erfolgte (19 Punkte). Auch in der vergangenen Saison brach der HSV nach einer ordentlichen Hinrunde (30 Punkte) in der zweiten Saisonhälfte (24) ein. Die Verantwortlichen werden sich daher genau überlegen, wie sie einen erneuten Fall verhindern wollen.

Trotz der Abgänge der Offensivspieler Lukas Hinterseer und Xavier Amaechi wird der HSV aller Voraussicht nach auf Wintertransfers verzichten. Die Verantwortlichen des Kaders um Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel müssen vor allem auf die Stimmung innerhalb des Mannschaftsgefüges achten. In den vergangenen zwei Jahren kam es jeweils nach der Winterpause zu atmosphärischen Störungen im Team.

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Aktuell scheint die Atmosphäre zu stimmen. Thioune gelingt es bislang, allen Spielern die nötige Wertschätzung in Form von Einsatzzeit zu geben. Auch das Miteinander passt. Als Bakery Jatta nach dem Spiel in Braunschweig im Kreis eine kleine Ansprache hielt und seiner Mannschaft zum Sieg gratulierte, jubelten seine Teamkollegen mehrfach auf. „Das zeigt unseren Zusammenhalt und unsere Geschlossenheit“, sagte Thioune.

Das Haareschneiden überlässt er allerdings weiter seinen Spielern. „Wenn ich mit dem Rasierer gut umgehen könnte, würde es bei mir im Moment nicht so schlimm aussehen.“ Auch der Trainer kann sich als Hinrundenmeister ein paar Späße erlauben. Der Ernst kommt früh genug. Spätestens am Dienstagabend.