Hamburg. Der E-Mail-Angriff auf den Beirat rund um den Präsidiumsstreit zwischen Jansen und Schulz weitet sich aus. Eine Anzeige wird geprüft.

Der Protagonist der folgenden HSV-Geschichte hat nie ein Tor erzielt oder ein Tor verhindert. Er hat nie den Rasen des Volksparkstadions betreten, hatte noch nie ein Amt inne und hat auch nie fur eines kandidiert. Niemand kennt ihn. Es ist noch nicht einmal klar, ob er ein Mann ist – oder ob es ihn überhaupt gibt. Und trotzdem wird derzeit über kaum jemanden beim HSV so viel gesprochen wie über ihn.

Die Rede ist von Kevin Schmitz – über den eigentlich nur eines bekannt ist: Zumindest beim HSV gibt es keinen Kevin Schmitz. Neun Tage ist es nun schon her, dass ebenjener „Schmitz“ mit einer E-Mail für Aufregung sorgte. Zahlreiche Mitglieder, hauptsächlich aus der aktiven Fanszene, erhielten diese Mail, mit der „Schmitz“ seine Empörung über HSV-Präsident Marcell Jansen, den HSV-Beirat, Vorstand Frank Wettstein und Investor Klaus-Michael Kühne zum Ausdruck brachte.

„Diese Machtübernahme muss umgehend gestoppt werden!“, schrieb er und veröffentlichte die privaten E-Mail- Adressen aller fünf Beiratsmitglieder. Seine Aufforderung an die Empfänger: „Schreibt möglichst alle sofort eine Mail an diese Herren und teilt ihnen eure Fassungslosigkeit und euer Entsetzen mit. Das ist unsere Pflicht als HSV-Mitglied. Leitet diese Mail weiter! Werdet aktiv!“

HSV-Rätsel: Woher hatte Schmitz die Kontakte?

Aktiv wurde im Nachgang aber vor allem der Beirat selbst. Die E-Mail wurde an die Geschäftsführung des HSV e. V. weitergeleitet mit der Bitte, gegen den Verfasser Strafanzeige wegen Verstoßes gegen die Datenschutzverordnung zu stellen. HSV-Geschäftsführer Kumar Tschana nahm sich des Falls an und sagt nun zum Abendblatt: „Wir sind im Austausch mit unserem Datenschutzbeauftragten und prüfen die Erstattung einer Strafanzeige.“

Tatsächlich geht es um viel mehr als um den Bösejungenstreich eines möglicherweise enttäuschten HSV-Fans. Vor allem stellt sich die Frage, woher „Schmitz“ die Kontakte der Beiratsmitglieder und der zahlreichen E-Mail-Empfänger hatte. „Natürlich muss sich jede verantwortliche Stelle fragen, ob es in derartigen Fällen ein sogenanntes Data Breach gibt, also ein Datenleck. Sollte sich dieser Verdacht bei einer Selbstprüfung erhärten, besteht eine Meldepflicht an die Datenschutzaufsichtsbehörde“, sagt Prof. Dr. Johannes Caspar, seit 2009 der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit.

HSV sucht nach einem möglichen Datenleck

Im schlimmsten Fall droht dem HSV eine E-Mail-Affäre in zweifacher Hinsicht. Erstens: die nicht genehmigte Veröffentlichung der Beirats-Adressen. Und zweitens: ein eventuelles Datenleck, aus dem sich „Schmitz“ im Hinblick auf die zahlreichen Empfänger seiner Mail bedient hat.

„Die vorliegenden Informationen geben Anlass, beim Datenschutzbeauftragten des HSV einmal nachzufragen, wie die Situation vor Ort bewertet wird und ob möglicherweise ein Datenleck vorliegt“, sagt Caspar. „Diese Frage stellt sich unabhängig von der Prüfung eines Datenmissbrauchs durch Versendung von Mailadressen. Insbesondere ist es für Betroffene wichtig, dass informationstechnische Systeme sicher sind und mögliche Datenabflüsse vermieden werden.“

Bei der schwierigen Suche nach dem E-Mail-Schreiber stellt sich natürlich auch die Frage, wem seine Mail eigentlich nützt. „Dies ist kein Putsch von Schulz und Schaefer, sondern ausschließlich von Jansen, Kühne und Wettstein mit Hilfe des Beirats gegenüber uns – unserem HSV!“, ließ „Schmitz“ in seinem Pamphlet wissen.

Propagandamails: Nicht das erste Mal beim HSV

Nach Abendblatt-Informationen ist es nicht das erste Mal, dass derartige Propagandamails von gefälschten Profilen beim HSV verschickt wurden. Schon vor der umkämpften Ausgliederung 2014 sollen zahlreiche dieser Mails an Mitglieder verschickt worden sein. Und damals wie heute fragen sich die Empfänger, wie der Verfasser eigentlich an ihre privaten E-Mail-Adressen gekommen sein kann. „Dem vorliegenden Fall könnte eine Schädigungsabsicht zugrunde liegen, die dann in Zusammenhang mit einem Datenschutzverstoß eine Straftat begründet“, sagt Caspar. „Dies zu prüfen ist Sache der Staatsanwaltschaft.“

Der HSV ist keinesfalls der einzige Fußballverein, bei dem Mitgliederdaten mutmaßlich abhandengekommen sind. Beim VfB Stuttgart hat sich eine sogenannte Datenaffäre längst zum Politikum entwickelt. So haben Ermittler der beauftragten Kanzlei Esecon mittlerweile herausgefunden, dass Mitgliederdaten in einem solch gewaltigen Ausmaß an Dritte gegeben wurden, wie es der „Kicker“ bereits Ende September berichtete. So zitiert die „Stuttgarter Zeitung“ aus einem aktuellen Zwischenbericht, dass es „umfangreiche Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Vorwürfe zutreffend sind“.

Demnach sollen zwischen 2016 und 2018 die Daten von Zehntausenden Mitgliedern an Dritte weitergegeben worden sein. Beim Versuch der Aufklärung haben sich beim VfB Vorstandschef Thomas Hitzlsperger und Präsident Claus Vogt in etwa so heillos zerstritten wie zuletzt in Hamburg Präsident Jansen und Vize Schulz. In Stuttgart, so steht es im Zwischenbericht der Kanzlei Esecon, sollen die entscheidenden Gremien offenbar sehr viel dafür getan haben, die von Präsident Vogt geforderte „lückenlose Aufklärung“ zu verhindern. Beim HSV hoffen dagegen alle Gremien auf schnellstmögliche Aufklärung.

HSV-Mail: Kevin Schmitz ist abgetaucht

Große Hoffnung auf schnelle Klarheit kann Caspar den HSV-Verantwortlichen aber nicht machen: „Bei einer anonymen E-Mail-Adresse ist es schwierig, den Schreiber ausfindig zu machen. Die IP-Adresse kann hier eine Rückverfolgbarkeit ermöglichen“, sagt der Beauftragte für Daten- schutz und Informationsfreiheit. „Sollte der Schreiber einen VPN-Tunnel benutzt haben, ist die IP-Adresse nicht erkennbar.“

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Nachdem das Abendblatt in der vergangenen Woche noch mehrfachen Mailkontakt mit E-Mail-Schreiber „Kevin Schmitz“ hatte, kam auf einen erneuten Fragebogen in dieser Woche folgende Antwort: „Mail Delivery Subsystem – die eingegebene E- Mail-Adresse konnte nicht gefunden werden.“

Vor einer Woche klang das noch anders. Da fragte „Schmitz“ anklagend: „Warum gibt es keine Transparenz?“