Hamburg. Ex-Clubchef Carl Jarchow über die HSV-Spitze, die Supporterswahl, Investor Kühne und das Corona-Chaos

Obwohl am kommenden Sonnabend herrliches Frühlingswetter vorausgesagt wird, weiß Carl-Edgar Jarchow schon jetzt, dass er sein Zuhause ab 11 Uhr nicht verlassen wird. Dann wird der frühere HSV-Chef vor seinem Laptop sitzen und die erste Fernwahl der HSV-Geschichte mitverfolgen. Eine neue Abteilungsleitung des Supporters Club muss gefunden werden. „Natürlich werde auch ich wählen“, sagt der 66-Jährige, der Ende der 90er interimsweise mal selbst den Supporters Club geleitet hat.

Auch an diesem Montagmorgen sitzt Jarchow trotz passablen Wetters drinnen – diesmal allerdings im Podcast-Studio des Abendblatts am Großen Burstah. Als früherer Multifunktionär ist der vierfache Familienvater ein gerne gesehener Gesprächspartner für alle wichtigen (und unwichtigen) Themen rund um den HSV. Jarchow war Vorstandschef, Präsident, Aufsichtsrat und eben auch Supporterschef beim HSV. „Mit Ämtern kenne ich mich aus“, sagt er und lacht.

Jarchow: HSV-Supporters-Club muss kritischer werden

Vor allem mit der größten Abteilung des HSV, dem 71.000-Mitglieder-Supporters-Club, kennt sich Jarchow bestens aus. „Die Mitgliederzahlen sind gestiegen und die Entwicklung ist positiv“, sagt der passionierte FDP-Politiker, der sich öffentlich nicht für eines der Kandidatenteams (Sven Freese oder Martin Oetjens) festlegen will, aber auf Veränderungen hofft: „Der Supporters Club muss mehr Einfluss nehmen, sodass die Mitglieder ein Sprachrohr gegenüber dem Aufsichtsrat und Vorstand haben. Es muss wieder mehr Kritik geäußert werden, dazu gibt es ja durchaus Anlass.“

Besonders kritisch hat der frühere HSV-Präsident die Vorgänge im Winter innerhalb des Vereinspräsidiums beäugt, als sich Präsident Marcell Jansen und Vizepräsident Thomas Schulz einen öffentlichen Machtkampf lieferten. „Wir haben eine etwas merkwürdige Situation mit dem Rücktritt des Präsidiums, welche die Mitglieder auch nicht kalt lässt“, sagt Jarchow. „Als die stärkste Gruppierung im Verein sollte der Supporters Club darauf drängen, dass diese Dinge möglichst schnell geregelt werden.“

Jarchow kritisiert Führungsstruktur des HSV

Erst einmal in Fahrt belässt es Jarchow nicht dabei, nur innerhalb des eingetragenen Vereins klarere Strukturen zu fordern. Der früher HSV-Chef hat nach der Demission Bernd Hoffmanns vor einem Jahr vor allem im Vorstand der AG ein Machtvakuum erkannt. „Ein Club wie der HSV muss eine richtige Führung haben“, sagt er, und fordert: „Die AG braucht einen dreiköpfigen Vorstand.“ Aus seiner Sicht sei da besonders der AG-Aufsichtsrat gefragt. „Corona bringt jeden Verein ans Limit. In so einer Situation eine ungeklärte Führungsfrage zu haben, ist fahrlässig.“

Komplett am Limit war der HSV laut Jarchow auch schon zu seiner Amtsübernahme vor ziemlich genau zehn Jahren, als er 2011 zunächst interimsweise Nachfolger des damals beurlaubten Bernd Hoffmanns wurde. „Mir wurde im März gesagt, dass wir im Sommer insolvent gewesen wären“, erinnert sich Jarchow, der in seiner ersten Amtshandlung nach London flog, um den designierten Sportchef Frank Arnesen, dem 20 Millionen Euro für Neuzugänge in Aussicht gestellt wurden, über die neuen Rahmendaten aufzuklären.

„Ich habe Frank gesagt, dass sich das mit den 20 Millionen unwesentlich geändert habe. Aus dem Plus ist ein Minus geworden. Wir mussten 20 Millionen einsparen“, sagt Jarchow. „Frank hat das sportlich genommen.“

Jarchow: Das ist das HSV-Problem mit Kühne

Überhaupt nicht sportlich nahm Jarchow, was drei Jahre später aus den Versprechungen rund um die Ausgliederung wurde. Er habe die Ausgliederung zwar für den richtigen Weg gehalten, die Umsetzung im Anschluss aber für kolossal falsch. „Es ging damals um drei Punkte. Erstens: Mit einer jungen Mannschaft zu spielen. Zweitens: Schulden abbauen und drittens einen strategischen Partner finden. Nichts davon habe man nach der Ausgliederung umgesetzt“, sagt Jarchow, der sich nicht scheut, Namen der Verantwortlichen zu nennen: „Dietmar Beiersdorfer und Karl Gernandt.“

Anders als vorher vereinbart hätten der damalige Clubchef Beiersdorfer und der Aufsichtsratschef Gernandt „ältere, aussortierte Spieler geholt, mehr Schulden gemacht und mehr Anteile an Klaus-Michael Kühne verkauft. Aber Kühne war und ist kein strategischer Partner.“

HSV-Investor Klaus-Michael Kühne auf der Terrasse seines Hotels
HSV-Investor Klaus-Michael Kühne auf der Terrasse seines Hotels "The Fontenay" in Hamburg. © Marcelo Hernandez | Unbekannt

Er selbst habe damals sogar noch mit dem früheren Hauptsponsor Emirates über einen Einstieg als strategischer Partner verhandelt, allerdings hätten die Scheichs aus Dubai abgelehnt.

Später, als Jarchow nicht mehr in Amt und Würden gewesen sei, habe er im Abendblatt gelesen, dass Kühne bereit sei, seine Anteile zu verkaufen. Ein Interessent habe sich daraufhin bei ihm gemeldet, um mit Kühne Kontakt aufzunehmen. Das Geschäft sei aber nicht zustande gekommen. „Ein wirklich strategischer Partner steigt nur ein, wenn Kühne aussteigt.“

HSV: Jarchow spricht über Saisonabbruch

Vergangenheit. Doch auch die Corona-bedingte Gegenwart bereitet dem immer noch großen HSV-Fan Sorgen. „Ich hoffe, dass man die Saison gut zu Ende bringen wird. Notfalls muss man sie verlängern“, sagt Jarchow, der sogar eine Quotientenregelung in Erwägung ziehen würde. Gar nichts würde er dagegen von Quarantäne-Trainingslagern halten: „Ich finde es nicht zumutbar, ganze Teams in Quarantäne zu schicken. Dann sollte man eher andere Lösungen finden.“

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Seine eigene Corona-Lösung hat Jarchow bereits gefunden. Vor einer Woche wurde der siebenfache Opa geimpft. Mit Astrazeneca. „Und mir geht es immer noch gut“, witzelt Jarchow, der nichts anderes für den HSV hofft. Seinen HSV.