Hamburg. Die ständigen Vergleiche zu den beiden Vorjahren nerven die Verantwortlichen zunehmend. Wie Thioune den Turnaround schaffen will.
Wenn der HSV ein Boxer wäre, würde Michael Mutzel ihn gerne mit Henry Maske vergleichen. Der Sportdirektor des HSV und frühere Profi des VfB Stuttgart und von Eintracht Frankfurt spielte Mitte der 90er-Jahre noch in der Jugend des FC Memmingen, als Maske seinen WM-Titel im Halbschwergewicht zehnmal erfolgreich verteidigte. „Henry Maske hat immer ausdauernd gekämpft und am Ende meistens gewonnen“, sagte Mutzel, als er am Wochenende über die Lage und die kommenden Wochen des HSV sprach.
Was sein Club mit dem berühmten deutschen Ex-Boxer zu tun hat? Nach der 1:2-Niederlage am Freitagabend im Heimspiel gegen Darmstadt 98 lässt sich das Bild des Hamburger Zweitligisten mit dem eines angeschlagenen Boxers beschreiben.
Dieses Bild benutzte zumindest Trainer Daniel Thioune, als er seine Mannschaft unmittelbar nach dem Spiel im Kreis versammelte. Mutzel verriet, welche Worte Thioune an seine Spieler richtete. „Der Trainer hat etwas Gutes gesagt: Wir haben uns einen gefangen, wie ein Boxer in die Rippen. Wir gehen vielleicht ein bisschen in die Knie, aber jetzt entscheidet sich, ob wir liegen bleiben oder wieder aufstehen.“
Thioune kämpft gegen HSV-Widerstände
Ähnlich hatte sich Thioune wenig später auf der Pressekonferenz geäußert. Nachdem sich der 46-Jährige nach dem Abpfiff zunächst etwas sammeln musste, gab er sich eine halbe Stunde später auf dem Podest des Presseraums im Volksparkstadion schon wieder kämpferisch. „Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder wir nehmen es jetzt so hin, wehren uns gegen alle Widerstände und arbeiten weiter fleißig. Oder wir ergeben uns. Wer die Wahl hat als Fußballer, wird sicher die erste Möglichkeit wählen.“
Auf Nachfrage konkretisierte Thioune, welche Widerstände er genau meint. Es ist der Widerstand, den der Trainer schon seit seinem Amtsantritt bekämpft und den schon sein Vorgänger Dieter Hecking am Ende erfolglos bekämpfte: Der Kampf gegen die Vergangenheit. „Es werden hier schnell wieder Parallelen zur Vergangenheit gezogen. Diesen Widerstand müssen wir brechen“, sagte Thioune nach der sechsten Saisonniederlage.
Warum der HSV genervt ist
Ende November hatte Thioune nach der ersten Niederlage gegen Bochum am achten Spieltag erstmals zu spüren bekommen, wie tief die vergangenen Jahre mit zwei verpassten Aufstiegen in den Herzen der Fans, aber auch in der Berichterstattung verwurzelt sind.
„Thioune muss vermeiden, dass sich Geschichte wiederholt“, schrieb der „Kicker“ nach Niederlage Nummer eins. „Auch unter Thioune wiederholt sich Geschichte. Der HSV verliert das Derby und am Ende wieder alles?“, schrieb das Magazin nach dem Stadtderby beim FC St. Pauli. „Wenn die Vergangenheit zur Gegenwart wird“, hieß es nach dem 3:3 in Hannover. Und zu guter Letzt nach dem 1:2 gegen Darmstadt: „Der HSV scheitert schon wieder an sich selbst“.
Schlagzeilen, die den Verantwortlichen gehörig auf die Nerven gehen. Weil sie wissen, dass die Spuren der Vergangenheit auch irgendwann die Spieler erreichen, die vor der Saison gekommen sind, um eine bessere Zukunft zu gestalten – ohne von Erinnerungen an traumatische Erlebnisse der vergangenen Jahre beeinflusst zu werden.
Worauf es für den HSV und Thioune jetzt ankommt
Gleichzeitig tut die Mannschaft auch in dieser Saison wieder genug, die Vergangenheit aufleben zu lassen, indem Sie schon Erreichtes immer wieder herschenkt. Und dennoch: Normale Niederlagen, wie sie jeder Mannschaft in jeder Saison passieren, gibt es beim HSV im Grunde nicht mehr. Dabei wäre das 1:2 gegen Darmstadt so eine normale Niederlage gewesen. Eigene Chancen nicht genutzt, für eigene Fehler bestraft worden. So werden die meisten Fußballspiele entschieden.
- Corona-Chaos: So will die DFL die Saison doch noch retten
- Elfmeter, Taktik & Aufstiegsangst: Die Frust-Themen beim HSV
- Sven Ulreich verhinderte eine noch höhere HSV-Niederlage
Und trotz der noch immer guten Ausgangsposition im Aufstiegskampf muss Daniel Thioune in den kommenden zwei Wochen bis zum nächsten Spiel in Regensburg, aber vor allem auch in den entscheidenden Wochen danach, insbesondere mental auf seine Mannschaft einwirken.
„Wir haben Nehmerqualitäten, das haben wir in dieser Saison schon mehrfach bewiesen“, sagte Sportdirektor Mutzel, der noch einmal an Henry Maske erinnerte. „Jetzt geht es in die letzten Runden, da müssen wir zurückschlagen.“ Oder wie es Thioune nach dem Spiel gegen Darmstadt sagte: „Wir brauchen mehr Mentalität. In der Balleroberung und im Abschluss.“ Damit der HSV am Ende nicht wieder k.o. geht.