Hamburg. HSV-Analyse: Innerhalb der Mannschaft soll es einen Umbruch ohne Umbruch geben. Wie geht es mit den Verantwortlichen weiter?

Um das Wohlergehen der HSV-Profis muss man sich wohl auch am Tag nach dem 2:3 in Osnabrück und dem dritten Nicht-Aufstieg in Folge keine zu großen Sorgen machen.

„Im Norden Hamburgs, inmitten der Idylle des Alstertaler Naturschutzgebietes, liegt das Steigenberger Hotel Treudelberg Hamburg“, heißt es auf der Homepage des Golfhotels, in dem die Fußballer am Vorabend abgestiegen sind und nun die letzte Woche vor dem bedeutungslosen Saisonfinale gegen Braunschweig (So./15.30 Uhr) herumbekommen müssen. Tatsächlich gilt die schöne Luxusherberge zwischen pittoreskem Kupferteich und Eichelhäherkamp im verschlafenen Lemsahl-Mellingstedt als eine der letzten Wohlfühloasen Hamburgs.

Mit der Idylle innerhalb des HSV ist es allerdings trotz der exquisiten Absteige nach den vergangenen Wochen erst einmal vorbei. Nachdem Ex-Trainer Daniel Thioune bereits vor neun Tagen freigestellt wurde und der erhoffte Horst-Hrubesch-jetzt-wird-alles-gut-Effekt nur wenige Tage anhielt, dürfte es auch im restlichen HSV ungemütlich werden. Das große Reinemachen ist mal wieder gefragt. Steine werden umgedreht, mit Jeremy Dudziak der erste Spieler suspendiert, Schuldige gesucht. In anderen Worten: ein ganz normales HSV-Saisonende.

HSV-Manager Boldt und die Verantwortung

Wer hoffte, bereits am Montag erste Antworten auf die zahlreichen Fragen, die sich nun ergeben, zu erhalten, der wurde enttäuscht. Sämtliche Entscheidungsträger des HSV gingen am Tag nach dem größtmöglichen Betriebsunfall auf Tauchstation. Die Spieler? Wurden nach ihren Corona-Tests am Vormittag in den gut 20 Kilometer entfernten Volkspark zum Regenerationstraining kutschiert. Interimstrainer Horst Hrubesch? Hatte ohnehin genug gesagt. Sportdirektor Michael Mutzel? Wollte sich anders als sonst am Tag nach einem Spiel diesmal nicht öffentlich zu Wort melden.

Und Sportvorstand Jonas Boldt? Hatte am Vortag bei Sky gesagt, dass er nicht zu den Verantwortlichen des HSV gehören würde, sondern der Verantwortliche sei. Seinem Wort zum Sonntag wollte er ansonsten aber auch nichts mehr hinzufügen.

An Jonas Boldts Ballgefühl hat es sicher nicht gelegen, dass der HSV-Aufstieg nun schon zum dritten Mal in Folge verspielt wurde. Auch Sportdirektor Michael Mutzel (l.) beherrscht das praktische Fußball-Einmaleins.
An Jonas Boldts Ballgefühl hat es sicher nicht gelegen, dass der HSV-Aufstieg nun schon zum dritten Mal in Folge verspielt wurde. Auch Sportdirektor Michael Mutzel (l.) beherrscht das praktische Fußball-Einmaleins. © WITTERS | WITTERS

Dass der Fragensteller von Sky es gewagt hatte, ihn persönlich nach dem 2:3 nach seiner Zukunft zu befragen, soll dem Verantwortlichen des HSV auch nicht gefallen haben. „Dass es Leute gibt, die jetzt wieder Köpfe fordern, gehört dazu, aber aus meiner Sicht gibt es da keine Anzeichen“, sagte Boldt in dem 6:28-Minuten-Gespräch. „Ich habe einen guten Austausch mit dem Aufsichtsrat und meinem Vorstandskollegen.“

Boldt hätte auch sagen können: „Mit dem Noch-Aufsichtsrat und meinem letztverbliebenen Noch-Vorstandskollegen.“

HSV hat ein Führungsvakuum

Denn genau an dieser Stelle wird die Geschichte spannend. Tatsächlich hat sich der HSV – wieder einmal – in ein Führungsvakuum manövriert. Denn in Wahrheit gibt es derzeit niemanden beim HSV, der die Verantwortlichen in die buchstäbliche Verantwortung nehmen kann. Das Vereinspräsidium, das auf der Hauptversammlung Anfang Juni die Weichen für eine Umstrukturierung des Aufsichtsrats stellen soll, ist nicht vorhanden.

Marcell Jansen ist auf dem Papier zwar noch Vorsitzender des Rest-Kontrollgremiums, will aber weder sich noch die Situation innerhalb des Clubs öffentlich erklären. Ob er auf einer Mitgliederversammlung im Sommer erneut als Präsidentschaftskandidat antritt, ist genau so offen wie die Neubesetzung des Aufsichtsrats, der wiederum für die Komplettierung des Vorstands zuständig ist.

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Boldt entscheidet über neuen HSV-Trainer

Und genau in dieser Gemengelage will also Boldt Verantwortung übernehmen und möglichst zeitnah gemeinsam mit Sportdirektor Mutzel einen neuen Trainer verpflichten. An Namen aus dem großen Spekulationstopf mangelt es zumindest nicht. Die „Bild“ hat Tobias Schweinsteiger in den Pott geworfen, die „Mopo“ Tim Walter und Sky-Experte Erik Meijer Mark van Bommel.

Wirklich kommen dürfte aus diesem Trio keiner. Wer will noch mal? Wer hat noch nicht? Das Ganze dann kräftig umrühren – und fertig.

HSV-Vorwurf: Profis leben in Parallelwelt

Welches Trainergericht tatsächlich bald serviert wird, weiß noch niemand. Klar ist nur, dass auch der neue Coach bei der Kaderplanung eine wichtige Rolle spielen soll. Idealerweise soll es einen Umbruch geben, ohne dass es dabei einen wirklichen Umbruch gibt.

Die Topverdiener Simon Terodde, Aaron Hunt und Bobby Wood gehen weg, ansonsten könnte das Gesicht der neuen Mannschaft dem Gesicht der alten Mannschaft zum Verwechseln ähnlich sehen. Natürlich wird es einige kosmetische Korrekturen geben, aber anders als in den Vorjahren kein komplettes Facelifting. Talent Josha Vagnoman will und soll verkauft werden, um finanziellen Spielraum zu schaffen, Gideon Jung (definitiv), David Kinsombi (eventuell) und Rick van Drongelen (möglicherweise) sollen oder könnten abgegeben werden.

Statt des Personals soll vor allem die Einstellung verändert werden. Der interne Vorwurf: Einige der Spieler würden in einer Parallelwelt leben.

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HSV-Kandidat Dursun vor Wechsel

Gar nicht erst in diese Parallelwelt eintauchen will offenbar der gebürtige Hamburger Serdar Dursun (29), den die HSV-Verantwortlichen nur zu gerne als Terodde-Nachfolger verpflichten würden. Der Darmstädter, der nach seinen vier Toren am Wochenende mit 25 Treffern die Torschützenliste der Zweiten Liga anführt, soll kurz vor einem Wechsel zu Union Berlin stehen. Dort soll er kurioserweise den Ex-HSVer Joel Pohjanpalo ersetzen, der zunächst zurück nach Leverkusen muss.

Serdar Dursun erzielte bereits 25 Saisontore. Am Sonntag kamen vier dazu. Zum HSV wird er wohl trotzdem nicht wechseln.
Serdar Dursun erzielte bereits 25 Saisontore. Am Sonntag kamen vier dazu. Zum HSV wird er wohl trotzdem nicht wechseln. © Imago / HMB-Media | Unbekannt

Die HSV-Verantwortlichen wollen mit Dursun in den kommenden Tagen zwar noch einmal das Gespräch suchen, wissen aber auch, dass sie finanziell mit einem Erstligaclub nicht mehr mithalten können. Man wolle aber auf die Karten Hamburg und Heimat setzen. Ein Besuch im Hotel Treudelberg, um die Idylle des Alstertaler Naturschutzgebietes als Argument zu nutzen, sei allerdings vorerst nicht geplant.