Hamburg. Der Verteidiger machte 196 Spiele in der Bundesliga für den HSV, Hannover und Augsburg. Doch seit Juli hat er keinen Job mehr.

Am Freitagvormittag geht Matthias Ostrzolek in Augsburg zum Training. So wie jeden Tag. Stabilisierungsübungen zum Warmmachen, danach leichte Läufe, schließlich schnelle Sprints. Auch der Ball ist dabei. So kennt es Ostrzolek, seit er Fußball spielt. Doch seit fünf Monaten hat sich etwas verändert. Der 30-Jährige trainiert alleine. Vielleicht mal zusammen mit seiner Frau Anne-Kathrin Ertel. Oder mit seinem Privatcoach. Ab und an auch mal mit einem ehemaligen Mitspieler. Mit einer Mannschaft, so wie er es sein gesamtes Fußballerleben gemacht hat, kann der Linksverteidiger aktuell aber nicht üben. Seit dem 1. Juli ist Ostrzolek arbeitslos.

„Es gibt im Moment eine Unsicherheit in unserem Leben“, sagt der frühere HSV-Verteidiger, als ihn das Abendblatt am Freitagmittag nach seinem Training auf dem Handy erreicht. Wenn er von „uns“ spricht, meint er sich und seine Frau Anne-Kathrin, die er im Juli geheiratet hat. Nur wenige Wochen nachdem ihn Hannover 96 nach drei Jahren offiziell verabschiedet hatte. Seitdem ist Ostrzo­lek auf Jobsuche. Noch weiß er nicht, wo er ab Januar wohnen wird. Und ob er überhaupt wieder einen passenden Verein findet. „Ich will meine Karriere unbedingt noch fortführen. Vor allem aber will ich wieder Spaß am Fußball finden“, sagt Ostrzolek.

Ostrzolek verpasste mit Augsburg nur knapp die Europa League

Rückblick: Im Sommer 2014 wechselt der Abwehrspieler für eine Ablösesumme von 2,75 Millionen Euro vom FC Augsburg zum HSV. Zuvor hat Ostrzolek die Saison seines Lebens gespielt. Er verpasste mit Augsburg nur knapp die Europa League, bereitete in 33 Spielen acht Tore vor. So viele wie kein anderer Verteidiger in jener Saison. Der ehemalige U-21-Nationalspieler flankt sich vor der Weltmeisterschaft sogar in das erweiterte Blickfeld der Nationalmannschaft, als Bundestrainer Joachim Löw vor dem Testspiel gegen sein zweites Heimatland Polen in Hamburg im Mai 2014 zwei Hände voller Neulinge nominiert. Auch wenn es am Ende nicht für eine Einladung reicht: Ostrzolek gilt als heiße Aktie auf dem Linksverteidiger-Markt.

Sechs Jahre später ist er ohne Verein und sozusagen auf Jobsuche. „Das ist schon ein komisches Gefühl“, gibt Ostrzo­lek zu. „Natürlich würde ich jetzt lieber auf dem Platz stehen. Diese Anspannung vor den Spielen fehlt mir.“ Nach drei Jahren beim HSV und drei Jahren bei Hannover 96 ist Ostrzolek nun einer von 22 vertragslosen Fußballern, die in der vergangenen Saison noch in der 1. oder 2. Bundesliga spielten. Mit Ostrzolek, Julian Korb und Miiko Albornoz sind gleich drei Spieler dabei, die in der vergangenen Saison noch bei Hannover 96 unter Vertrag standen.

Arbeit als Unternehmer

An diesem Sonnabend wird Ostrzolek auf dem Sofa den Fernseher anschalten, wenn seine Ex-Clubs HSV und Hannover im Volksparkstadion aufeinandertreffen. „Ich verfolge noch alles. Dafür bin ich viel zu fußballbesessen“, sagt er. „Ich hoffe auf ein spannendes Spiel, drücke aber ein bisschen mehr dem HSV die Daumen, weil ich mit dem Club wegen der vielen Erlebnisse emotional stärker verbunden bin“, sagt der gebürtige Bochumer, der vor allem an die dramatischen Rettungen 2015 in der Relegation in Karlsruhe oder 2017 am letzten Spieltag gegen den VfL Wolfsburg denkt.

Letztes Erstligaderby: Ostrzolek 2018 gegen Aaron Hunt (HSV/l.)
Letztes Erstligaderby: Ostrzolek 2018 gegen Aaron Hunt (HSV/l.) © Imago | Unbekannt

Aktuell leben die Ostrzoleks wieder in Hamburg oder auch in Augsburg bei der Familie seiner Frau. Anne-Kathrin ist noch häufiger in Hamburg, arbeitet dort im Marketing für „MAD about Juice“. An der stylischen Saftbarkette sind die beiden beteiligt. Sollte es mit einem neuen Club nicht mehr passen, will der Fußballer Ostrzolek sich auch als Unternehmer weiter ausprobieren. „Ich war schon immer jemand, der sich gerne mit anderen Dingen beschäftigt hat. Ich wusste, dass der Fußball nur eine begrenzte Zeit hat. Ich will nach der Karriere nicht bei null anfangen“, sagt Ostrzolek.

Im Sommer gab es ein paar Angebote

Noch aber kämpft er um seine Karriere auf dem Platz. Im Sommer gab es ein paar Angebote, aber keines, das passte. Ein Wechsel etwa nach China, nur des Geldes wegen, käme für ihn nicht mehr infrage. Das Ausland würde ihn aber grundsätzlich reizen. Ostrzoleks Traum: ein Wechsel in die USA. „Das Land hat mich schon immer fasziniert.“ Seine Frau lebte und arbeitete bereits nach ihrem Studium in Amerika. Vor einiger Zeit hat er seinen Kumpel, den früheren St.-Pauli-Profi Marc Rzatkowski, in New York besucht. Im März beginnt dort die neue Saison.

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Die Chancen auf einen Wechsel in die USA stehen gar nicht mal so schlecht. Die Agentur Wasserman seines neuen Hamburger Beraters Patrick­ Williams kommt aus Los Angeles und ist in der Major League Soccer (MLS) gut vernetzt. Ostrzolek könnte sich aber auch das europäische Ausland vorstellen. Selbst die Dritte Liga in Deutschland wäre eine Option – „wenn ich die Überzeugung habe und das Gefühl stimmt“.

Professionell und fit

Bis dahin wird sich Ostrzolek weiter fit halten. Körperlich hatte er in seiner Karriere nie Probleme. Kaum jemand lebt so professionell und gesund wie der Linksverteidiger. In der Corona-Zeit trainierte er auch hin und wieder mal bei seinem großen Bruder Gregor, der als Spielertrainer die Kreisligamannschaft SV Langendreer 04 bei Bochum betreut. Das Camp für vertragslose Fußballer der Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV), das in Duisburg unter anderem von Peter Neururer geleitet wird, war für ihn wegen der Entfernung keine Option. Ostrzolek würde sich gerne bei einem Verein fit halten, doch wegen der Corona-Pandemie haben alle Clubs ihre Türen für Externe geschlossen.

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So hat der Fußballprofi im Wartestand zumindest Zeit für andere Dinge. Ostrzolek ist in die Immobilienbranche eingestiegen, bildet sich weiter, und auch über die Familienplanung macht er sich mit seiner Frau Gedanken. „Wenn es passiert, dann passiert es“, sagt Ostrzo­lek und lacht etwas verlegen. Seit sechs Jahren ist er mit Anne-Kathrin liiert. Wenn die Corona-Zeit vorbei ist, wollen sie ihre Hochzeit noch einmal im großen Rahmen feiern. Ostrzoleks Motto in dieser merkwürdigen Zeit: Man muss das Beste draus machen. „Auch diese Phase wird mich als Mensch weiterbringen“, sagt er.

Dann muss Ostrzolek auflegen. Der nächste Termin steht schon wieder an. Über zu viel Zeit kann er sich auch als Fußballer ohne Job nicht beklagen.