Hamburg. Wer ist der Mensch Tim Walter? Im Abendblatt-Podcast spricht der neue HSV-Trainer über die größten Jugendsünden und Uli Hoeneß.

Tim Walter fehlen die Worte. Das passiert selten. Doch als der HSV-Trainer auf der Dachterrasse des Abendblatts am Großen Burstah steht und sich vom 360-Grad-Blick über Hamburg beeindrucken lässt, ist Walter kurzzeitig einfach nur sprachlos. Dann fragt er nach: „Kann man eigentlich von hier aus auch die Köhlbrandbrücke sehen?“ Kann man. Und sieht man. Auch Walter, der nach seiner Frage wieder einzig und allein den Ausblick genießt.

Direkt vor der Panoramatour aus luftiger Höhe ist Walter glücklicherweise alles andere als sprachlos. Eine Stunde lang gewährt der 45 Jahre alte Fußballlehrer dem Abendblatt im Podcast HSV – wir müssen reden Einblicke in sein Leben, die man sonst noch nie von ihm gehört hat. Walter spricht über tägliche Facetime-Calls mit seiner Familie („Immer um 6.50 Uhr morgens. Das ist der schönste Wecker, den es gibt“), seinen Fußball („Das perfekte Spiel gibt es nicht“) und sein Image als arroganter Fatzke („Die Schublade Arroganz ärgert mich innerlich schon. Aber ich kann es nicht ändern.“).

Walter freut sich über Sprachnachrichten von alten Weggefährten und wippt bei der gesungenen Vorstellung von HSV-Rapper Elvis mit den Füßen. „Ich bin wie ich bin“, sagt der dreifache Familienvater. Doch wer ist dieser Tim Laszlo Walter in Wahrheit?

Wie Walter HSV-Spiele analysiert

Natürlich ein Fußballbesessener. Das liegt in der Natur der Sache, wenn man mit Fußball sein Geld verdient. Doch wie sehr Walter sich mit jedem einzelnen Spiel beschäftigt, wird erst klar, als der Neu-Hamburger erklärt, wie er beispielsweise das 1:1 seines HSV gegen Dynamo Dresden am Wochenende aufgearbeitet hat. So schaue er sich immer die komplette Partie in der Nacht nach dem Spiel noch einmal an. Aus der Scoutingfeed-Perspektive. Unterbricht. Notiert. Schneidet. Und schaut weiter.

„So kann ein Spiel auch mal vier, fünf oder sechs Stunden dauern“, sagt Walter, der aber gar nicht auf die Idee kommt, diese Arbeit den Analysten zu übergeben. „Ich kann das nicht anderen überlassen“, sagt Walter, der am Tag nach dem Spiel über alle Szenen mit den Spielern spricht. „Ich will, dass mir die Jungs Antworten geben. Mir ist ihre Meinung wichtig.“

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HSV-Coach Walter hatte Problem mit Kritik

Fußball ist Walter wichtig. Natürlich. Dabei war es keinesfalls ein wohl überlegter Karriereplan, den der gebürtige Kraichgauer verfolgt hatte. „Ich hatte nie die Idee, in den Profifußball zu gehen“, sagt der Coach, der als Sportstudent und Amateurfußballer eher durch Zufälle in den Job reinrutschte. Als Spieler, das war Walter schon früh klar, würde er es bis in die glitzernde Welt des Profifußballs nicht schaffen. „Ich war sehr sensibel“, gibt der frühere Torjäger des FC Olympia Kirrlach zu. „Ich konnte mit dem Druck nicht umgehen. Und ich konnte mit Kritik nicht umgehen.“

Die technischen Voraussetzungen seien dagewesen, aber an der richtigen Einstellung habe es ihm gefehlt. „Ich hatte das Talent, aber vom Gesamtpaket hätte es nicht gereicht. Mentalität schlägt Talent“, sagt Walter selbstkritisch, hegt dabei aber keinen Gräuel: „Ich war für den Profifußball nicht geschaffen, habe aber als Trainer meine Lehren daraus gezogen. Heute bin ich glücklich, dass ich nicht Profi wurde. Ich empfinde es als viel schöner, als Trainer das alles zu erreichen. Ich liebe meinen Job.“

HSV-Trainer Tim Walter bei seinem Podcast-Besuch für das Hamburger Abendblatt.
HSV-Trainer Tim Walter bei seinem Podcast-Besuch für das Hamburger Abendblatt. © HA | Roland Magunia

Vor allem liebe er aber seine Familie, mit der er nun als Neu-Eppendorfer eine Fernbeziehung führen muss. Mit Ehefrau Katrin, eine ehemalige Hockey-Bundesligaspielerin in Mannheim und Heidelberg, hat er drei Kinder: Maxima, Lara und Lennart. Normalerweise würden er und die Familie zwischen München und Hamburg hin- und herpendeln, doch weil gerade in Bayern Sommerferien sind, ist die ganze Familie Walter nun im Norden. Am Sonntag waren alle Walters im Volkspark, an diesem Mittwoch fahren Katrin, die Kinder und die Oma zu ihrem 70. Geburtstag in die alte Wahlheimat nach Kiel.

Beim VfB geriet Walter mit Mislintat aneinander

Im ganz hohen Norden hat die Trainerkarriere des Süddeutschen so richtig an Fahrt aufgenommen. Nach einer tollen Saison bei Holstein (2018/19) kaufte der VfB Stuttgart Walter aus seinem Vertrag raus. Doch die kurze Zeit in Stuttgart darf mit dem heutigen Wissen als beidseitiges Missverständnis abgehakt werden. „Ich will meinen Weg gehen. Da hat man nicht nur Freunde“, sagt Walter, der schnell beim VfB mit Sportchef Sven Mislintat aneinander geraten war.

Abgehakt. Nach anderthalb Jahren ohne Job nun also Hamburg. Und der HSV. Der nächste Schleudersitz also, den Walter aber nicht fürchtet. „Ich lebe in Hamburg meinen Traum“, sagt er. Doch bevor er als Nachfolger von Daniel Thioune auch tatsächlich unterschrieb, hielt er schon noch einmal Rücksprache. Mit Ehefrau Katrin. Mit Matthias Sammer, den er als freundschaftlichen Berater schätzt. Und mit Musik- und Thomas-Tuchel-Berater Olaf Meinking, der seinen HSV-Vertrag aushandelte.

Einen festen Berater habe er derzeit nicht, doch vor allem den regelmäßigen Austausch mit Sammer, den er seit seiner Zeit als Nachwuchstrainer bei Bayern München kenne, wisse er sehr zu schätzen. „Matthias ist ein sehr angenehmer Mensch, der eine klare Sicht auf den Fußball hat. Das gefällt mir, das tut mir gut. Wir tauschen uns oft aus.“

Als Walter sich von Hoeneß verarscht fühlte

Dabei war es aber nicht der damalige Sportdirektor des FCB, der Walter vom KSC nach München holte. Sondern kein Geringerer als Uli Hoeneß. Der habe ihn persönlich angerufen, um ihm einen Wechsel zu den Bayern schmackhaft zu machen. „Ich dachte zunächst: Mich verarscht da einer.“ Doch der Grand Seigneur der Bayern meinte es tatsächlich ernst. „Hier ist wirklich der Herr Hoeneß“, sagte der Herr Hoeneß am Telefon.

Drei Jahre lang arbeitete Walter in München – und verließ die Bayern mit einem Knall. „Der FC Bayern hat noch kein durchgängiges Konzept“, hatte der gerade erst fertige Fußballlehrer zum Abschied in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt – und damit angeblich den einen oder anderen Bayern-Entscheider vor den Kopf gestoßen. Drei Jahre später klärt Walter auf: Das damalige Interview habe er vorab mit Hoeneß bei einem gemeinsamen Essen abgesprochen. „Jetzt haben die Bayern ihr Konzept ein wenig umgestellt.“

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Ende gut, alles gut. Mit Hoeneß habe er allerdings keinen Kontakt mehr, sagt Walter. Mit Jürgen Müller dagegen schon. Der frühere sportliche Leiter in Kirrlach hatte sich mit dem Rekordtorschützen vom FC Olympia verkracht, nachdem dieser kurz vor der Wechselfrist wechseln wollte. Ein Jahr später sprachen sich die beiden aus – und sind bis heute Freunde. „Der Jürgen ist ein Riesen-HSV-Fan“, sagt Walter. „Sein Spitzname ist Keegan.“

Tim Walter will länger beim HSV bleiben

Mit „Keegan“ feierte der eigentliche Karnevalsmuffel auch die traditionelle Fasenacht von Kirrlach und ließ sich mit Ruß im Gesicht als Wissädalä Schlumpel kostümieren. Als Jugendsünde würde er den feucht-fröhlichen Nachmittag aber genauso wenig wie seine einst „studentisch langen Haare“ in Karlsruhe bezeichnen. Seinen Ohrring und die zwischenzeitlich blondierten Haare seien dagegen schon eher in der Kategorie „Jugendsünde“ abgespeichert.

Das alles: Vergangenheit. Walter ist mit sich und seinen Entscheidungen im Reinen. Das wird während des Podcast-Gesprächs deutlich. Und auch beim Ausflug anschließend auf die Dachterrasse. Dort lässt Walter seinen Blick vom Rathaus über die Elbphilharmonie bis zum Riesenrad des Doms schweifen. „Hamburg ist eine Weltstadt“, sagt er. Er könne sich sogar vorstellen, seinen Familienmittelpunkt aus dem Süden in den Norden zu verlegen. „Ich fühle mich hier wohl.“

Und neben dem Ausblick gefalle ihm hier auch der HSV-Blick nach vorne.