Hamburg. Vor einem Jahr holte der HSV vier Ü-30-Routiniers. In der neuen Mannschaft spielt keiner von ihnen mehr eine Rolle.

Toni Leistner wird sich an die Momente gewöhnen müssen. Auch am Montagvormittag trainierte der Innenverteidiger des HSV wieder mit den Reservisten. Eine Rolle, die ihm ein Jahr lang erspart geblieben war. Die er aktuell aber akzeptieren muss. Beim 1:1 gegen seinen Heimatverein Dynamo Dresden saß der 30-Jährige am Tag zuvor 90 Minuten auf der Bank – zum zweiten Mal in Folge. Und derzeit deutet auch nichts darauf hin, dass sich an seiner Einsatzzeit so schnell etwas verändern wird.

Am Montag ließ sich Leistner seinen Frust nicht anmerken. Während der Verteidiger im Hintergrund das Spielersatztraining absolvierte, stand Sportdirektor Michael Mutzel am Rande des Trainingsplatzes und beantwortete in einer Medienrunde verschiedene Fragen. Es ging um den starken Auftritt von Torschütze Ludovit Reis, die fehlenden Kräfte in der zweiten Halbzeit, um den Zustand des angeschlagenen Jonas Meffert („Es geht ihm ganz okay“), aber auch um Leistner und möglichen Ärger über dessen Situation. Gefeiert wird der Abwehrchef des Vorjahres aktuell nur von den Fans.

Neue Hierarchie beim HSV

Mutzel versuchte daher auch alles, um mögliche Themen von sich zu weisen, die intern für Ärger sorgen könnten. „Ich sehe es nicht so dramatisch, weil es normal ist im Fußball, dass man mal seinen Platz verliert, weil ein anderer es gut macht oder der Trainer eine andere Vorstellung hat“, sagte Mutzel. Dieser andere ist Jonas David, der Leistner im Moment den Rang abgelaufen hat und auf dem besten Weg ist, unter Trainer Tim Walter zu einem zentralen Baustein der neuen Achse zu werden.

„Jonas ist ein schlauer Kerl, der Verantwortung übernehmen will. Er kann in die Rolle reinwachsen“, sagte Mutzel über den Generationswechsel in der HSV-Hierarchie.

David hat Leistner nicht nur aus der Stammelf verdrängt, er wurde von Walter anstelle des Routiniers auch in den Mannschaftsrat aufgenommen. „Walter rasiert Leistner“, titelte die „Bild“ daraufhin. Eine Darstellung, über die man sich beim HSV geärgert hat. Die aber nicht ganz falsch ist, wenn man den wörtlichen Inhalt nicht auf die Rasur von Leistners Kopf- oder Barthaaren bezieht.

HSV: Walter kann mit Leistner nichts anfangen

Dabei ist Leistner nicht der einzige HSV-Routinier, den der neue HSV-Trainer relativ deutlich spüren lässt, dass er mit dessen Spielanlage wenig anzufangen weiß. Auch Klaus Gjasula (31), vor einem Jahr ablösefrei vom Bundesliga-Absteiger Paderborn verpflichtet, spielt unter Walter keine Rolle. Dem defensiven Mittelfeldspieler wurde zuletzt sogar Maximilian Rohr (26) vorgezogen, der in der vergangenen Saison noch beim HSV II in der Regionalliga spielte.

Im laufintensiven System von Walter ist für Leistner und Gjasula derzeit kein Platz. Eine Tatsache, die einem Eingeständnis des HSV gleichkommt, dass die Idee der Säulenspieler gescheitert ist. Zur Erinnerung: Nach dem verpassten Aufstieg unter Dieter Hecking hatte sich der HSV vor einem Jahr bewusst für die Neubesetzung der zentralen Führungsachse mit vier Ü-30-Spielern entschieden.

Neben Leistner und Gjasula holte der HSV Stürmer Simon Terodde und Torhüter Sven Ulreich, zu diesem Zeitpunkt jeweils 32 Jahre alt. „Mit den Zugängen haben wir das umgesetzt, was wir vorgehabt haben. Über die komplette Transferperiode haben wir ein paar Säulen verpflichtet, die uns helfen werden“, sagte Sportvorstand Jonas Boldt damals.

HSV hat neue Transfer-Strategie

Funktioniert haben beim HSV über weite Strecken der Saison nur Terodde und nach seinem Fehlstart bis zu seiner Verletzung Leistner. Ulreich und Gjasula enttäuschten. Der HSV verpasste am Ende wieder den Aufstieg und veränderte erneut seine Strategie auf dem Transfermarkt. Mit Terodde und Ulreich sind die ältesten Spieler wieder weg.

Neben jungen Spielern wie Reis (21), Mikkel Kaufmann (20) und Miro Muheim (23) kamen mit Sebastian Schonlau (26), Jonas Meffert (26) und Robert Glatzel (27) drei neue Achsenspieler, die schon Zweitligaerfahrung mitbringen, in ihrer Karriere aber auch noch einen Entwicklungsschritt vor sich haben. Man könnte sagen: Die Zeit der Säulenspieler ist vorbei.

Mehr zum Thema:

Leistner und Gjasula kämpfen um HSV-Chance

Wie aber geht es beim HSV weiter mit den ehemaligen Vizekapitänen Leistner und Gjasula? Bis zum 31. August ist der Transfermarkt noch geöffnet. Strebt einer der beiden noch einen Wechsel an?

Beide stehen noch ein Jahr unter Vertrag. Leistners Management wollte sich auf Nachfrage nicht äußern. Nach Abendblatt-Informationen rechnet der Abwehrmann aber damit, im Lauf der Saison noch gebraucht zu werden. Und auch Gjasula ließ bereits durchblicken, dass er seinen Vertrag erfüllen will. Am Dienstagabend berichtete jedoch die „Bild“, dass der Mittelfeldabräumer zu Ligarivale Darmstadt 98 wechseln könnte.

„Bislang hat keiner das Signal gegeben, dass er noch gehen will“, sagt Mutzel, der keinen Ärger erwartet, auch nicht von Leistner. „Toni ist ein erfahrener Profi. Er geht gut mit der Situation um, gibt Gas. Er weiß, wie schnell es im Fußball geht.“

HSV sucht Konkurrenten für Heuer Fernandes

So schnell wie möglich möchte Mutzel dagegen noch einen Torhüter finden, der das Potenzial zur Nummer eins hat. Eine Stammplatzgarantie bekommt Daniel Heuer Fernandes trotz seiner zwei guten Spiele nicht. Mutzel: „Von vornherein zu sagen, er ist die Nummer eins, finde ich nicht richtig. Wir wollen es auf jeden Fall offen halten.“

Die Mischung im Kader aus Alt und Jung stelle ihn zufrieden, sagt der Sportdirektor. Verstärkung könnte es bei Bedarf noch geben. Der Bedarf nach neuen Säulen ist beim HSV aber vorbei.