Hamburg. Last-Minute-Pleiten, Geisterspiele, Relegation? Wie die HSV-Fans auf die Rückschläge der vergangenen Wochen reagieren.
Wenn Christopher Moses an den Montagmorgen denkt, bekommt er ein mulmiges Gefühl. Der 35-Jährige ist HSV-Fan, so wie viele seiner Kollegen bei seinem Arbeitgeber Borowski & Hopp in Bad Oldesloe. Unter seinen Kollegen sind aber auch einige Anhänger des FC St. Pauli und von Werder Bremen vertreten. Moses kann sich ausmalen, welche Sprüche er sich wieder anhören muss, wenn sein HSV am Sonntag im letzten Saisonspiel gegen den SV Sandhausen (15.30 Uhr/Sky) für eine erneute Enttäuschung sorgt. „Der Frust ist groß. Und es kommt immer wieder ein neuer Tiefpunkt dazu“, sagt Moses drei Tage vor dem Spiel.
Seit 15 Jahren hat der junge Familienvater aus Elmenhorst eine Dauerkarte auf der Nordtribüne – zusammen mit seinem Vater und einer großen Gruppe von Freunden. Auch seine zwei Söhne, neun und sechs Jahre alt, sind häufig dabei. Doch ihre Treue wurde zuletzt mal wieder heftig auf die Probe gestellt. Die vielen Rückschläge der vergangenen Wochen haben bei Moses nicht nur zu Frust, sondern vor allem zu einem Gefühl großer Leere geführt.
Auch deswegen hat er sich entschieden, sein Geld für die Geisterspiele zurückerstatten zu lassen. „Ich habe in den vergangenen Jahren viel für den HSV ausgegeben. Irgendwann ist genug“, sagt Moses. Im Juli will der HSV die Rückerstattung abwickeln. Moses bekommt dann anteilig rund 100 Euro für die verpassten fünf Heimspiele zurück.
HSV kann auf hohe Verzichtquote hoffen
Für den Club ist es eine der schwierigsten Aufgaben, in Zeiten ohne Zuschauer seine Fans nicht zu verlieren. Vor allem die aktive Fanszene gilt es in dieser Phase am HSV zu halten. Je länger die Corona-Pandemie anhält, desto mehr gewöhnen sich die Fans an die Wochenenden ohne Stadionbesuch. Cornelius Göbel und sein Team des Bereichs Fankultur – so nennt sich die Abteilung Fanbetreuung seit Kurzem – versuchen die Anhänger auf den Tag vorzubereiten, an dem Zuschauer wieder im Stadion zugelassen werden.
Doch im Moment weiß niemand, wann dieser Tag kommt. Es gibt zwar erste Pilottests, damit eine begrenzte Zahl an Dauerkarteninhabern bald wieder im Stadion dabei sein kann. Doch bis die Clubs mit allen Einnahmen aus den Ticketverkäufen wieder planen können, werden Monate vergehen.
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Beim HSV hat man den Dauerkartenvorverkauf für die kommende Saison daher auf Eis gelegt. Finanzvorstand Frank Wettstein verzichtet bewusst darauf, für eine höhere Liquidität die Karten jetzt schon anzubieten. Zu groß wäre der administrative Aufwand, die Einnahmen möglicherweise wieder zurückzahlen zu müssen. Schon jetzt muss der HSV seinen Fans die Summen der verkauften Karten für die letzten fünf Heimspiele überweisen. Allerdings deutet sich nach Abendblatt-Informationen an, dass sich der Club über eine hohe Verzichtquote freuen kann. Wie hoch diese genau ausfällt, wird sich aber erst nach dem Ende der Rückabwicklung zeigen.
Erstaunliches Merkmal der HSV-Fans
Während HSV-Fan Christopher Moses sein Geld zurückforderte, verzichtet sein Vater Wolfgang auf die Erstattung. Der Club hatte den Dauerkartenbesitzern ein Poster mit Autogrammen sowie zehn Prozent Ermäßigung für die nächste Dauerkarte angeboten. Viele Fans scheinen davon Gebrauch zu machen. Und auch Moses junior hat sich trotz des Frusts der vergangenen Wochen bereits dafür entschieden, seine Dauerkarte zu behalten, wenn die Zuschauer wieder ins Stadion dürfen. „Es ist wie eine Hassliebe“, sagt Moses. „Erst ist man gefrustet und sagt sich: Das war’s. Und nach ein, zwei Nächten ist das Treuegefühl wieder da.“
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Es ist eines der erstaunlichen Merkmale der HSV-Fans, dass sie sich trotz aller Tiefschläge nicht nachhaltig von ihrem Lieblingsclub abwenden. Und auch vor dem Sandhausen-Spiel haben die Anhänger noch Mut. „Die Hoffnung ist noch nicht verloren“, sagt Moses vor dem Wochenende, das darüber entscheiden wird, wie die Stimmung rund um den HSV nach dem Ende der regulären Saison ausfällt.
Klar ist für den Elmenhorster aber auch im Falle des Klassenverbleibs, dass er sich endlich mal Kontinuität auf dem Trainerposten wünscht. „Ich bin überzeugt, dass Dieter Hecking der richtige Trainer für den HSV ist. Es wäre toll, wenn er bleibt.“ Damit drückt Moses ein Gefühl aus, das viele Fans teilen. In Onlineumfragen erfährt Hecking viel Zuspruch. Noch aber steht ein Spiel aus, das die Bewertung dieser Frage beeinflussen wird. Nicht auszudenken, was sich Moses am Montag bei der Arbeit anhören müsste, wenn der HSV die Relegation verpasst, weil er nicht gegen Sandhausen gewinnt.
Bei den Heimspielen ist kaum ein Fan vor der Arena
Mögliche Vorfälle rund um das Stadion erwartet der HSV allerdings auch im Falle einer weiteren Enttäuschung nicht. Die Ultras drücken ihren Protest gegen die Geisterspiele ohnehin damit aus, dass sie dem Stadion fernbleiben. Aktionen gab es in der aktiven Fanszene in den vergangenen Wochen trotzdem. So wurden etwa alle Treppenaufgänge zum Volksparkstadion vollständig in den Vereinsfarben Schwarz-Weiß-Blau angemalt. Bei den Heimspielen aber ist kaum ein Fan vor der Arena. Das soll auch am Sonntag so sein.
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Ändern könnte sich das, wenn der HSV doch noch die Relegation erreicht und womöglich im Rückspiel in der Arena sogar noch den Aufstieg schafft. Dann dürfte auch vor dem Volksparkstadion wieder einiges los sein. Und Christopher Moses würde am Morgen danach zur Abwechslung mal mit einem sehr guten Gefühl zur Arbeit fahren.