Hamburg. Dieter Hecking und Jonas Boldt können sich eine weitere Zukunft beim HSV vorstellen. Die Entscheidung fällt nach der Saison.

Wer sich vor Augen führen will, wie schnell sich die Stimmung beim HSV verändern kann, braucht mit der Zeitmaschine nur zwölf Monate in die Vergangenheit zu reisen. Es waren die Tage, als sich wenige Wochen nach dem verpassten Aufstieg der größte Kaderumbruch der HSV-Historie in seiner Hochphase befand. Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel präsentierten in Abstimmung mit dem neuen Trainer Dieter Hecking einen Neuzugang nach dem nächsten.

Am Ende der Transferperiode sollten es zwölf Neuzugänge werden. 15 Spieler verließen den Verein. Am Ende des Umbruchs waren sich alle einig: Mit diesem Kader, mit diesem Trainer und mit diesem Sportchef wird das große Ziel gelingen. „Dieter hatte Ambitionen. Ich hatte Ambitionen. Wir wollten aufsteigen. Natürlich haben wir uns das alle einen Tick positiver erhofft“, sagte Boldt. Und zwar genau ein Jahr später. Das Ziel hat sich vor dem letzten Spiel der Saison gegen den SV Sandhausen am Sonntag zwar nicht verändert – der HSV hat noch immer die Hoffnung, die Relegation mit der Schützenhilfe von Bielefeld (spielt parallel gegen Heidenheim) zu erreichen.

Die Stimmung aber hat sich nach den vielen Tiefschlägen der vergangenen Wochen gedreht. Die Suche nach den Schuldigen hat intern bereits begonnen. Und auch die übliche Trainerdiskussion setzte nach dem 1:2-Drama von Heidenheim mal wieder ein. Es war daher kein Zufall, dass Trainer Hecking und Sportvorstand Boldt innerhalb von drei Tagen nacheinander proaktiv vor die Presse traten, um ihre jeweiligen Positionen zu vertreten.

HSV: Boldt öffnet Hecking die Tür

Spätestens am Mittwoch wurde dabei deutlich, dass sich beide Seiten eine grundsätzliche Zukunft beim HSV vorstellen können. „Den Weg, den wir beim HSV eingeschlagen haben, wollen wir nicht einfach so über Bord werfen“, sagte Boldt am Mittwoch in der Mixed-Zone des Volksparkstadions, während im Hintergrund die Spieler nach und nach in die Kabine gingen.

Wie dieser Weg in der kommenden Saison aussehen wird, ist allerdings das große Fragezeichen. „Das ist keine Einbahnstraße“, sagte Hecking am Montag und machte deutlich, dass für eine weitere Zusammenarbeit auch für ihn bestimmte Voraussetzungen stimmen müssten. Konkret: Es geht um die Kaderplanung und die finanziellen Möglichkeiten. Denn anders als im vergangenen Jahr hat der HSV nicht die Mittel, noch einmal so einen Umbruch zu stemmen und die Qualität in der Mannschaft so zu erhöhen, wie es sich Hecking vorstellt.

„Ein weiteres Zweitligajahr wird uns nicht zusätzliche Geldquellen eröffnen“, sagt Boldt über die wirtschaftlichen Voraussetzungen im Falle des Klassenverbleibs. „Es gibt Faktoren, die eine Rolle spielen.“ Dabei geht es um die Grundsatzfrage: Braucht der HSV mehr erfahrene und mental starke Spieler, um die den dann möglicherweise erneut verpassten Aufstieg mit aller Macht zu schaffen und auf diesem Weg schnell wieder an die Geldtöpfe der Bundesliga zu gelangen? Oder geht es im Schwerpunkt um die Entwicklung von jungen Spielern, um perspektivisch wieder Transferwerte zu erzeugen und Einnahmen durch Verkäufe zu erzielen?

Ist Hecking bereit, beim HSV auf Talente zu setzen?

Sportdirektor Michael Mutzel gilt intern als größter Verfechter des zweiten Weges. Nachdem er vor einem Jahr das englische Talent Xavier Amaechi (19) nach Hamburg lotste, setzte er auch den Transfer von Hoffenheims Amadou Onana (18) zum HSV zur neuen Saison um. Mit den verliehenen Jungprofis Jonas David (20/Würzburg), Aaron Opoku (21/Rostock) und Manuel Wintzheimer (21/Bochum) kehren zudem drei Talente zurück, mit denen die Hamburger in Zukunft Transfererlöse erzielen wollen. Doch dafür müssen sie auf Spielzeit kommen. Sportvorstand Boldt ist grundsätzlich ein Freund dieses Weges.

Chefcoach Hecking arbeitet sowohl mit Boldt als auch mit Mutzel gerne zusammen. Die Frage in der Analyse nach der Saison aber wird sein, ob sich auch Hecking mit diesem Weg identifizieren kann oder ob er sich wie vor einem Jahr für routinierte Spieler wie Martin Harnik starkmacht? Einig sind sich sowohl Hecking als auch Boldt, dass die Qualität im Kader in dieser Saison nicht so groß war, wie es nach dem ersten Saisondrittel den Eindruck machte. „Eine gewisse Qualität fehlt, sonst würde man jetzt nicht so dastehen“, sagte Boldt.

Wie aber kann der HSV dieses Problem beheben? Boldt ließ am Mittwoch durchblicken, dass er bereits an den Verkauf einzelner Profis denkt. „Es ist auch eine Chance, betriebswirtschaftlich zu denken, wenn sich Spieler hier gut in den Fokus gespielt haben und sich auf einem anderen Weg weiterentwickeln wollen.“ Jeremy Dudziak, Bakery Jatta, Tim Leibold oder Josha Vagnoman könnten Spieler sein, mit denen der HSV Transfergewinne erzielen könnte. Zunächst aber müssen sich Boldt, Hecking und Mutzel auf einen Weg verständigen. Und ganz nebenbei läuft die Saison ja noch nicht. Beim HSV weiß man, wie schnell sich die Stimmung wieder drehen kann.

Die Tabelle der 2. Liga:

  • 1. Bielefeld: 65 Punkte, +32 Tore
  • 2. Stuttgart: 58 Punkte, +23 Tore
  • 3. Heidenheim: 55 Punkte, +12 Tore
  • 4. HSV: 54 Punkte, +20 Tore
  • 5. Darmstadt: 49 Punkte, +3 Tore