Hamburg. 400 St.-Pauli-Fans empfingen die Busse beider Mannschaften vor dem Stadion – die Polizei musste vor dem Anpfiff nicht eingreifen.
Um Punkt 19.14 Uhr gab es kein Halten mehr. Zehn Silvesterraketen stiegen nacheinander in der Himmel über St. Pauli. Diverse Bengalofackeln wurden entzündet, rot und grün. Lauter Applaus rauschte hinüber zum Mannschaftsbus der Gastgeber am Millerntor, „we love St. Pauli“, rief die Menge. Es herrschte Heimspielstimmung bei der Ankunft der Mannschaft an der Ecke von Gegengerade und Südkurve. Friedlich und euphorisch und voller Vorfreude.
Knapp 400 St.-Pauli-Fans hatten sich eingefunden, um ihr Team vor dem Stadtderby zu begrüßen und um 19.07 Uhr den HSV auszupfeifen. „Wir hoffen, dass wir vielleicht noch etwas Extramotivation geben können“, sagte Charlie (22), der normalerweise mit seinen Kumpels Hennes (21) und Linus (22) mit Dauerkarte in der Südkurve steht – also seit einem Jahr nicht mehr.
Hamburger Derby: "Gegen den HSV ist es etwas Besonderes"
St. Pauli gegen HSV – Emotionen auch ohne Zuschauer
„Zu den anderen Spielen bisher sind wir nicht gekommen, um die Jungs zu begrüßen“, sagt Linus, „aber gegen den HSV ist es eben etwas Besonderes.“ Der noch milde und trockene Abend ohne Regen hatte sicherlich dazu beigetragen, dass relativ viele Fans den Weg ans Millerntor gefunden hatten. HSV-Fans waren hier nicht auszumachen. Gar keine. Vor dem Eingang für Gästefans an der Budapester Straße waren zwei Jugendliche mit HSV-Schal zu sehen. Niemand nahm Notiz von ihnen.
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Der Stadtrivale vom Volkspark war keinerlei Faktor vor dem Spiel. Auch nicht auf dem Kiez, wo die HSVer im westlichen Teil der Reeperbahn ihr „Revier“ haben. Aber auch ihre Stammkneipe „Sportsbar Tankstelle“ am Hans-Albers-Platz wirkte angesichts des Derbys geschlossen noch trauriger, als das in der Corona-Tristesse ohnehin der Fall ist. Wenn überhaupt, waren rund um das Szeneviertel nur St. Paulianer zu sehen. Drei Freunde in Trikots, eine junge Mutter mit ihrem Achtjährigen inklusive Schal. Dafür grinsten überlebensgroß auf dem elektronischen Billboard die Bayernstars Thomas Müller, Robert Lewandowski und Alphonso Davies werbend für eine Koffeinbrause auf die Straße herunter. Das passte alles nicht fürs Hamburg-Derby.„Alles ruhig, nichts los“, teilte die Polizei vor dem Anpfiff mit.
Hamburger Polizei mit Eingreifreserve
Die Beamten waren sichtbar präsent. Hatten Mannschaftswagen auf der Reeperbahn und bei der Davidwache platziert – als Eingreifreserve, wenn es nötig würde. Die Beamten standen herum, rauchten, redeten. Und mussten nichts tun.
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„Alle für den Derbysieg“, stand auf einem großen Banner, das die St.-Pauli-Fans zur Anfeuerung für ihre Mannschaft in der Busauffahrt aufgehängt hatten, „Stadtmeister bleiben“, hieß es auf einem anderen. Ein Miethaus in der Nähe war an der Front nahezu komplett mit einem riesigen Stoffbanner verhängt: „Hamburg ist braun-weiß.“ Süßlicher Cannabisduft waberte vor dem Stadion durch die Luft, Bierflaschen waren bereit. In kleinen Grüppchen mit nicht mehr als drei Personen standen die Fans mit Abstand beisammen, viele hatten Masken auf. Ein Ordner appellierte freundlich an die Vernunft der Fans.
Die Polizei schaute sich das an, eingreifen musste sie nicht. Erst als der Mannschaftsbus kam, da ließ die Corona-Disziplin für einen kurzen Moment nach, es wurde sichtbar enger und lauter: „Forza, St. Pauli!“ Kurz vor dem Anpfiff, als beide Mannschaften den Platz betraten, leuchtete dann der Himmel. Minutenlang ließen es St.-Paulis-Fans mit Feuerwerk rund ums Millerntor-Stadion krachen – Trainer Timo Schultz schien es zu gefallen. Beim Blick nach oben musste er grinsen.