Hamburg. Der neue HSV-Trainer lässt sich am Tag seiner Vertragsunterschrift noch nicht alles entlocken. Dafür spricht Rainer Ulrich umso mehr.
Um exakt 14 Uhr am späten Dienstagmittag war es wieder so weit: Drei, zwei, eins – und Action. Mit einem freundlichen „Moin“ startete HSV-Clubsprecher Philipp Langer nach dem leise heruntergezählten Countdown die Pressekonferenz, die der HSV live ins Internet ausstrahlte. Langer, ganz links auf dem Podium, übergab an Sportvorstand Jonas Boldt, ganz rechts auf dem Podium, der zur eigentlichen Hauptperson dieses Mittags nur eines zu sagen hatte: „Schön, dass du hier bist!“
Tim Walter, in der Mitte auf dem Podium, lächelte. Da war er also, dieser Walter. Morgens hatte der 45-Jährige seinen Zweijahresvertrag unterzeichnet, anschließend stand er für Fotos im Stadion bereit und schließlich auch noch für die obligatorische Frage-und-Antwort-Runde zum Einstand als HSV-Trainer, wie sie im Volkspark mittlerweile alle paar Monate üblich ist. „Auch ich freue mich, hier zu sein“, sagte der Coach.
Rainer Ulrich und HSV-Trainer arbeiteten zusammen
Mein Gott, Walter. Das soll also dieser vor Selbstbewusstsein strotzende Kraichgauer sein, 1,92 Meter groß, breites Kreuz, dessen Selbstsicherheit, bisweilen schon als Arroganz beschrieben, grenzenlos sein soll? „Mir eilt ein Ruf voraus“, sagte der Trainer, der sich an seinem ersten Arbeitstag beim HSV ganz anders präsentierte: sympathisch, höflich, bescheiden, zurückhaltend.
Gut 700 Kilometer weiter südlich verfolgte auch Rainer Ulrich den ersten Auftritt Walters am Laptop mit Interesse. Ulrich und Walter kennen und schätzen einander seit vielen Jahren. Sie arbeiteten bereits in Karlsruhe und in München zusammen, ehe Ulrich bei Bayern II, Holstein Kiel und beim VfB Stuttgart sogar Walters Co-Trainer, Trainermentor und engster Berater in Personalunion wurde.
„Tim hatte auch vor seiner Zusage für Hamburg bei mir nachgefragt. Ich habe ihm zugeraten. Wenn man so eine Chance bekommt, dann muss man sie ergreifen“, sagt Ulrich am Telefon. „Natürlich ist Tim von sich selbst überzeugt. Er kommt auch mal überheblich rüber. Aber so ist er eigentlich gar nicht.“
„Ich bin einer, der seine Jungs mitnehmen will"
Blieb nach 33 Minuten seiner ersten Pressekonferenz nur die Frage: Wie ist dieser Tim Walter also wirklich?
„Ich bin einer, der seine Jungs mitnehmen will. Für mich ist die Menschlichkeit ein wichtiger Aspekt“, sagte der Coach über sich selbst. Der dreifache Familienvater musste über viele Themen und Spieler Auskunft geben.
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Wie geht es mit Aaron Hunt weiter („wir werden miteinander sprechen“)? Bekommt er seinen früheren Spieler David Kinsombi wieder in die Spur („ich habe meine Kniffe, wie ich mit David umgehe“)? Und wann will er sich mit Horst Hrubesch austauschen („das wird einer meiner ersten Gänge sein“)? Doch richtig glänzende Augen bekam der Fußballlehrer vor allem dann, als er nach seinem Vertrauten Rainer Ulrich befragt wurde.
Rainer Ulrich: „Der Tim ist ein richtig guter Trainer"
„Rainer wird immer ein großer und wichtiger Bestandteil in meinem Leben sein. Ich habe ihm unheimlich viel zu verdanken und ein sehr inniges Verhältnis zu ihm“, sagte Walter, der in Hamburg allerdings wahrscheinlich erstmals auf Ulrich als Co-Trainer verzichten muss. Der Aufbau seines Trainerstabs sei noch nicht geklärt, sagte Walter, aber: „Der Rainer ist ein väterlicher Freund.“
Dieser väterliche Freund hörte sich die Lobhudelei seines 26 Jahre jüngeren Trainerkollegen genüsslich im fernen München an. „Uffz“, so Ulrichs Spitzname aus gemeinsamen Karlsruher Zeiten, ist sich sicher, dass sein „Ziehsohn“ auch ohne ihn im fernen Hamburg klarkommen wird. „Der Tim ist ein richtig guter Trainer. Nach einer Niederlage kann er ungenießbar sein, aber ansonsten hat er vor allem bei jüngeren Spielern ein richtig gutes Händchen.“
Walter entdeckte Hakan Calhanoglu
Tatsächlich ist die Liste der Talente, die Walter auf seinen bisherigen Stationen formte, lang. Als U-15-Trainer des KSC entdeckte er einst Hakan Calhanoglu, bei den Bayern trainierte er neben Manuel Wintzheimer auch Ex-HSV-Profi Adrian Fein und U-21-Nationalspieler Niklas Dorsch. In Kiel waren es neben Kinsombi vor allem Hauke Wahl und Jannik Dehm, denen er zum Durchbruch verhalf. „Ich stehe dafür, dass ich junge Spieler entwickle“, sagte Walter am Dienstag.
Ähnliches wurde aber natürlich auch über Daniel Thioune, Hannes Wolf und Christian Titz gesagt. Sie alle: ganz große Entwickler. Nun also Entwickler Walter.
„Der HSV gehört in die Bundesliga"
„Er hat tatsächlich einen besonderen Draht zu den Talenten“, sagt Ulrich, der das letzte Mal vor zehn Tagen mit Walter beim Kaffee zusammensaß. „Da war der HSV noch kein so großes Thema“, sagt „Uffz“, der für den Walter-HSV nun aber eine klare Zielsetzung hat: „Der HSV gehört in die Bundesliga. Ich weiß natürlich, dass es nicht einfach beim HSV wird. Und das weiß auch der Tim.“
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Wie gut er das weiß, wurde während der halbstündigen Löcherung deutlich. Immer wieder versuchten Medienvertreter, dem doch eigentlich so selbstbewussten Walter eine konkrete Zielsetzung zu entlocken. „Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um ein Ziel auszugeben. Ziele hat man, Ziele sind wichtig, um nach vorne zu kommen“, umschiffte Walter die Ziel-Fragen elegant, um dann doch eine potenzielle Überschrift preiszugeben. „Wenn man es abstrakt betrachtet, dann ist Platz vier kein Ziel.“
„Der HSV muss immer als Ziel den Aufstieg haben"
Na also. Auch Jonas Boldt hat nach drei Jahren in Folge als Tabellenvierter zum Saisonende genug davon: „Es verbietet sich, über Platz vier als Zielsetzung zu sprechen.“ Und fragt man Mentor Ulrich, dann ist die Sachlage ohnehin klar. „Der HSV muss immer als Ziel den Aufstieg haben. Auch Tim will immer jedes Spiel gewinnen. Natürlich wird also auch sein Ziel der Aufstieg sein.“
Dieses Ziel hatten Ulrich und Walter auch vor anderthalb Jahren, als das Duo einen Tag vor Weihnachten beim VfB Stuttgart auf Rang drei entlassen wurde. „Wir wären auch in Stuttgart aufgestiegen. Da bin ich mir sicher“, sagt Ulrich eine gefühlte Ewigkeit später. „Aber mit Sven Mislintat war es für uns schwierig. Das ist ja allgemein bekannt.“
HSV-Trainer Tim Walter will in Hamburg durchstarten
Walter, der die anschließende, 17 Monate lange Zwangspause für einen Crashkurs in Wirtschaftspolitik, Autobiografien und vor allem für seine Familie nutzte, wollte am Dienstag nicht nachkarten. „Wenn man sich nach so einer Zeit selbst reflektiert, dann nimmt man ganz viele Dinge mit“, sagte er. „Man muss sich immer verbessern, man darf sich nur nicht verlieren.“
Den HSV will Walter nun so schnell wie möglich verbessern – allerdings erst nach seinem Urlaub. In den kommenden beiden Wochen will der Trainer noch einmal durchschnaufen, ehe er vom 16. Juni an in Hamburg durchstarten will. „Wir wollen wie eine Familie auftreten“, sagte Walter. Als dann alles gefragt und beantwortet war, schaute Clubsprecher Langer noch einmal nach rechts und links, ehe er Walters erste HSV-Pressekonferenz beendete: „Ich wünsche allen eine schöne Sommerpause.“