Hamburg. Die Hamburger verpassen 35 Jahre nach dem letzten Pokalfinale gegen Freiburg deutlich die Sensation. Gefeiert wurde trotzdem.

Kurz vor Schluss dieser insgesamt beeindruckenden Pokalsaison erhob sich ein Großteil der Zuschauer noch einmal von den Plätzen. Es liefen die letzten Minuten der längst feststehenden Niederlage des HSV gegen den SC Freiburg, als sich das Publikum noch einmal bereitwillig in Ekstase versetzen ließ. Kurz vor dem Schlusspfiff hatte Robert Glatzel den Ehrentreffer zum 1:3 erzielt – und der Volkspark stand für den Moment Kopf. Insgesamt hatten die Hamburger an diesem Abend, an dem sie eigentlich Geschichte schreiben wollten, zwar nicht den Hauch einer Chance –  doch gefeiert wurde eben trotzdem.

Die Stimmung im restlos ausverkauftem Volksparkstadion war bereits vor dem ersten Pfiff des Abends dem Anlass entsprechend – oder in nur einem Wort: herausragend. Erstmals seit mehr als zwei Jahren verwandelten die 57.000 Anhänger die Arena wieder in ein echtes Tollhaus. „Einzigartiger Verein – zieh ins Finale ein!“, stand quer über die Südtribüne in Rot und Weiß, den Farben des SC Freiburgs, geschrieben. Die komplette Nordtribüne verwandelte sich in eine blau-weiß-schwarze Nostalgie-Choreografie mit der alten Stefan-Hallberg-HSV-Liedzeile: „Es riecht nach Bier und Sieg und nach Sensation!“

DFB-Pokal: Klassenunterschied zwischen HSV und Freiburg zu sehen

Doch eine echte HSV-Sensation war nur in den ersten zehn Minuten maximal zu erschnuppern. Glatzel, mit bis dahin vier Pokal-Treffern schon vor dem Spiel der erfolgreichste Torjäger des Wettbewerbs, hatte nach vier Minuten sogar per Kopf die erste Chance des Spiels. Sonny Kittel hatte 70 Sekunden später eine zweite Möglichkeit. Dann, und so krass muss man es formulieren, wurde der Unterschied zwischen einem Bundesligisten, der um den Einzug in die Champions League mitspielt, und einem Zweitligisten, der wohl zum vierten Mal den Aufstieg verpasst, brutal deutlich.

Auch interessant

Auch interessant

Nachdem noch am Vortag HSV-Trainer Tim Walter auf der Pressekonferenz auf die SC-Stärke bei Ecken angesprochen worden war, folgte mit Freiburgs drittem ruhenden Ball die unangenehme Praxis zur grauen Theorie. Weil Torhüter Daniel Heuer Fernandes Vincenzo Grifos Ecke nur ein paar Meter weiter fausten und so Nicolas Höfler den Ball noch einmal in Hamburgs Gefahrenzone befördern konnte, brauchte sich Sturmroutinier Nils Petersen nur noch per Kopf zu bedanken. 0:1 nach elf Minuten – und gratis dazu die bittere Vorahnung, dass Freiburgs erster Streich nur der Anfang vom HSV-Ende war.

Wenig später folgte die traurige Gewissheit: Diesmal schoss Höfler nicht vor, sondern erst auf und mit der Hilfe von HSV-Kapitän Sebastian Schonlau sogar in das Tor – 0:2 nach 17 Minuten. Endgültig wurde der Pokalstecker nach gut einer halben Stunde gezogen. Nachdem sich Moritz Heyers Fuß ein heikles Rendezvous mit Nico Schlotterbecks Kopf erlaubte, entschied Schiedsrichter Deniz Aytekin nach einem Hinweis durch Videoassistent Benjamin Brand folgerichtig auf Strafstoß. Den fälligen Elfmeter verwandelte Grifo (35.) genauso gnadenlos wie der gesamte Auftritt des Königklassenanwärters war.

Auffälliger Suhonen erzielte Abseitstor für den HSV

Zur bitteren Wahrheit der ersten HSV-Halbzeit gehörte zwar auch, dass sich die Hamburger redlich bemühten und sogar ein (Abseits-)Tor durch Anssi Suhonen erzielten (38.). Doch alles in allem war der Klassenunterschied zwischen den Clubs aus dem hohen Norden und dem tiefen Süden der Republik nicht nur deutlich, er wurde in den ersten 45 Minuten zementiert.

„Mich hat überrascht, wie hoch Freiburg verteidigt hat und dadurch das Spiel fasst schon gewonnen hat“, sagte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger Pause und zeigte sich besonders über die Unzulässigkeiten von Linksverteidiger Josha Vagnoman verblüfft: „Der Fehler des HSV in den ersten 20 Minuten war: Sie haben immer wieder über die linke Seite aufgebaut, genau das wollte Freiburg, so haben sie auch das 2:0 erzwungen.“

HSV weit weg von einer Chance auf das Finale

Weil das erhoffte HSV-Feuerwerk auf dem Spielfeld ausblieb, folgte das mittlerweile fast schon übliche (und immer teurer werdende) Pyrofeuerwerk der Ultras kurz vor dem Wiederanpfiff. Und dennoch: Die Gesamtperformance auf den Rängen konnte sich sehr viel mehr sehen lassen als die Darbietung auf dem Rasen. 35 Jahre nach dem letzten Einzug in eine DFB-Pokal-Finale war der HSV zwar weit weg von einer realistischen Chance, endlich mal wieder Geschichte zu schreiben – und trotzdem blieb die Stimmung auf den Rängen positiv und zum Teil sogar frenetisch. Man muss die Feste, von denen es in den vergangenen HSV-Jahren kaum welche gegeben hat, eben feiern, wie sie fallen.

Den zweiten Durchgang kann man zügig zusammenfassen: Freiburg wollte nicht, Hamburg konnte nicht – mit Ausnahme von Glatzels Ehrentreffer. Nach 94 Minuten war dann Schluss. Das Endergebnis: 1:3 – genau wie im letzten Pokal-Halbfinale 2019 gegen RB Leipzig. Und auch an diesem Abend hatte der HSV verdient verloren – aber zwei Erkenntnisse gewonnen. Nummer eins: Die Pokalsaison war trotz allem ein Erfolg. Nummer zwei: Die Bundesliga scheint weiter weg denn je.

  • HSV: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Vagnoman (82. Muheim) – Meffert, Reis (69. Kaufmann), Suhonen (85. Chakvetadze) –  Jatta (82. Alidou), Glatzel, Kittel.  SC Freiburg: Flekken – Schmid (90.+2 Sildillia), Lienhart, N. Schlotterbeck, Günter – M. Eggestein, Höfler – Sallai (64. Höler), Jeong (79. Haberer), Grifo (79. Weißhaupt) – Petersen (64. Demirovic). 
  • Tore: 0:1 Petersen (11.), 0:2 Höfler (17.), 0:3 Grifo (35., Foulelfmeter), 1:3 Glatzel (88.).
  • Schiedsrichter: Aytekin (Oberasbach).
  • Zuschauer: 57.000 (ausverkauft).
  • Gelbe Karten: Meffert, Reis, Kaufmann, Heyer – Günter, Höfler, Schlotterbeck, Weißhaupt.