Hamburg. Teil eins der Schicksalsspiele zwischen Berlin und Hamburg steht auf dem Programm. Im Volkspark ist man sicher: Hertha ist zu schlagen.

Es dauerte nur ein paar Kilometer auf der A 20, als am Sonntag auf der Rückfahrt aus Rostock nach Hamburg bereits Berlin ins Visier geriet. Vorne im HSV-Mannschaftsbus saßen Coach Tim Walter und seine Co-Trainer Julian Hübner, Merlin Polzin und Filip Tapalovic und hatten ihre Laptops aufgeklappt.

Außer dem derzeit abstinenten Walter hatten die meisten noch ein Feierbierchen nach dem nervenaufreibenden 3:2-Sieg gegen Hansa in der Hand, waren in Gedanken aber bereits bei der Stärken- und Schwächenanalyse von Relegationsgegner Hertha BSC. „Ich bin davon überzeugt, dass wir das Momentum auf unserer Seite haben“, sagt Walter zwei Tage später, als er nach seiner Hertha-Taktik gefragt wird. „Wir haben die Euphorie, die Vorfreude auf unserer Seite. Das wollen wir ausspielen.“

Relegation: Stimmung beim HSV besser als bei Hertha

Kurz vor dem ersten von zwei Schicksalsspielen der beiden Fußball-Schwergewichte an diesem Donnerstag (20.30 Uhr/Sky und Sat.1) gibt es offenbar keine zwei Meinungen darüber, dass die Stimmung beim HSV gerade deutlich besser als bei Hertha ist. In Hamburg ist man euphorisch, aber konzentriert. In Berlin ist man am Boden, aber kämpferisch. Denn fußballerisch – und auch da gibt es keine zwei Meinungen – ist der Noch-Bundesligist aus Berlin besser. Zumindest individuell. Bleibt also die Frage: Kann Stimmung Qualität schlagen?

Die Frage, wie genau der HSV Hertha schlagen will, haben Walter und seine Co-Trainer am Dienstag nach dem Training erörtert. Co-Trainer Polzin hatte mit den Analysten einen vorläufigen HSV-Plan ausgearbeitet. Anderthalb Stunden war die Tür zum Trainerbüro, die sonst immer offen steht, zu, und dahinter rauchten die Köpfe. Die Voraussetzungen sind klar: Hertha und der HSV bevorzugen unterschiedlichen Fußball. Der Zweitligist setzt auf Ballbesitz, der Erstligist auf Umschaltspiel. Als um kurz nach 16 Uhr die Tür wieder aufging, stand der Aufstiegsplan.

„Das ist unsere DNA, daran glauben die Jungs“

Das ist die vorläufige Aufstellung für das Schicksalsspiel Nummer 1.
Das ist die vorläufige Aufstellung für das Schicksalsspiel Nummer 1. © Unbekannt | Unbekannt

Kurz darauf sitzt Co-Trainer Julian Hübner (38) in der Abendblatt-Redaktion und spricht im Podcast „HSV – wir müssen reden“ über den Plan. Natürlich verrät der Walter-Assistent keine Betriebsgeheimnisse, gibt aber doch einen Einblick in die Köpfe der HSV-Trainer. „Die Berliner sind genau das Gegenteil von dem, was wir darstellen“, sagt Hübner, der Herthas besondere individuelle Klasse hervorhebt. Insbesondere bei Flanken von Linksverteidiger Marvin Plattenhardt müsse man höllisch aufpassen. Doch obwohl Hertha die besseren Einzelspieler habe, würde der HSV auch gegen Berlin am typischen Walter-Fußball festhalten. „Das ist unsere DNA, daran glauben die Jungs“, sagt Hübner. „Wir würden uns sonst selbst verraten.“

320 Kilometer weiter östlich, im brandenburgischen Kienbaum, ist Hertha-Trainer Felix Magath glücklich, dass der HSV bei sich selbst bleibt. „Das Spiel des HSV ist festgelegt, jeder kann sich darauf vorbereiten“, sagt der frühere HSV-Star selbstbewusst im Relegationslager. „Ich gehe davon aus, dass wir auch die richtige Antwort für diese Spielidee finden. Ob der HSV mehr Ballbesitz hat, ist etwas, was mich im Grunde überhaupt nicht interessiert und auch keinen entscheidenden Einfluss haben wird.“

Walter setzt auf Mut und Ballbesitz

In Berlin kennt man also den Walter-Fußball, schätzt ihn aber nur bedingt. In Hamburg ist das anders. Und wahrscheinlich gibt es keinen beim HSV, der diese Art von Fußball besser versteht als Julian Hübner. Der einfache Grund: Er hat ihn mitentwickelt. Acht Jahre ist das nun schon her. In der Saison 2014/15 bildeten Walter und Hübner bereits ein Trainerduo bei der U 19 des KSC und probierten ihr damals noch revolutionäres System aus. Und der Erfolg war überwältigend. Mit dem 96er- und 97er-Jahrgang spielte sich die junge Walter-Mannschaft bis ins Halbfinale der Deutschen U-19-Meisterschaft. „Natürlich hat Tim das System ein bisschen weiterentwickelt“, sagt Hübner, „aber die Grundprinzipien sind die gleichen.“

Ballbesitz, Mut, eine spielerische Eröffnung – all das predigt Walter seit seinem ersten Tag in Hamburg. Und musste nach Rückschlägen wie dem 1:3 im Pokalhalbfinale gegen Freiburg oder dem 0:1 bei Holstein Kiel auch mit beißender Kritik leben. Aus dem Konzept brachte ihn das aber nicht. „Wir sind immer bei uns geblieben“, sagt Walter.

Gute Stimmung einer der großen Trümpfe

Dass die bittere Niederlage in Kiel sogar eine Initialzündung für den sensationellen Saisonendspurt mit fünf Siegen in Folge gewesen sein könnte, will Hübner nur bedingt bestätigen. Es hätte zwar keine Kopfwäsche-Aussprache gegeben, aber eine Jetzt-erst-recht-Mentalität. „Dann waren wir im Flow“, sagt Hübner.

Die insgesamt gute Stimmung sei schon in der ganzen Saison einer der großen Trümpfe der Mannschaft gewesen, sagt der frühere Lehrer. Es habe sich ausgezahlt, dass man auch zahlreiche Aktivitäten außerhalb des Fußballplatzes organisiert habe: Kartfahren, Bowling, einen Besuch beim HSV Hamburg oder einen Weihnachtsmarktbummel. Vor jedem Vormittagstraining kommt die Mannschaft zum gemeinsamen Frühstück zusammen, zuletzt am Tag nach dem Rostock-Sieg. Und irgendwann sei diese Stimmung auf den ganzen Verein übergeschwappt. Nach jedem gewonnenen Pokalspiel habe die Mannschaft die Geschäftsstelle zum gemeinsamen Burger-und-Fritten-Essen eingeladen. Kapitän Sebastian Schonlau hat eine Mail geschrieben – und alle sind gekommen.

Relegation: Rückspiel entscheidet über Auf- und Abstieg

Dieser Gemeinschaftssinn soll auch gegen Berlin weitergelebt werden. Während beim Spiel in Rostock zwei Busse für verletzte Spieler, das Team ums Team und Geschäftsstellenmitarbeiter gechartert wurden, damit jeder beim Saisonfinale gegen Hansa dabei sein konnte, sind es am Donnerstag in Berlin sogar vier Busse. Ein Bus allein für Spielerfrauen und Partnerinnen ist gebucht.

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Auch Hübners Frau wird nach Berlin reisen. Und genau wie für die Mannschaft geht es nachts wieder zurück nach Hamburg, wo am Montag das Rückspiel final über Auf- und Abstieg entscheiden wird. Auch dann ist Hübner wieder besonders gefragt. Denn er ist auch der inoffizielle Bierbeauftragte beim HSV. Gegen Rostock haben zwei Kisten gereicht. Bei einem Gesamtsieg in der Relegation dürften diese schnell leer sein. Hübners Rettung: Innerhalb der Mannschaft ist man sich längst einig, dass im Fall der Fälle nicht nur in Hamburg die Nacht zum Tage gemacht wird. Sollte es mit dem Aufstieg klappen, ist anschließend ein feuchtfröhlicher Kurztrip in die Sonne angedacht. Das genaue Ziel im Süden steht noch nicht fest. Das genaue Ziel für Donnerstag und Montag schon: Aufstieg.

Die neue Podcast-Folge „HSV – wir müssen reden“ mit Julian Hübner, vielen Gästen aus dem Trainerteam und einem Relegationsspecial mit 2015er-Held Nicolai Müller (siehe unten) ist kostenlos bei abendblatt.de/hsv-podcast abrufbar.