Hamburg. Martin Risom hatte seinen Bundesligatraum nach zwei schweren Schulterverletzungen fast abgehakt. In Hamburg erhält er nun eine Chance.
Den 2. August 2022 wird Martin Risom wohl nie vergessen. Wenige Monate zuvor war der Rückraumspieler noch mit 151 Treffern in 28 Spielen der beste Feldtorschütze der ersten dänischen Handball-Liga, weit vor den heutigen Superstars Simon Pytlick, Felix Claar und Mathias Gidsel. Nun lag er an diesem Sommertag auf dem Operationstisch, die Ärzte würden gleich seine linke Schulter wieder aufschneiden. An exakt derselben Naht wie erst fünf Jahre zuvor.
Erneut hatte er sich eine Labrumläsion zugezogen, also eine Beschädigung des Knorpelrings in der Wurfschulter. „Es hat sich angefühlt, als würde jemand bei meiner Karriere die Handbremse ziehen. Ohne die Verletzung hätte ich wohl schon früher in die Bundesliga kommen können“, sagt Risom und nippt an seinem Kaffee, als er mit dem Abendblatt in der Geschäftsstelle des HSV Hamburg (HSVH) zusammensitzt.
Handball: Risom gab vergangene Woche sein Bundesligadebüt
Vor rund zwei Wochen hatte der Rückraumspieler einen Vertrag bei Hamburgs Bundesligahandballern unterschrieben. Nach seinem Debüt im Auswärtsspiel beim HC Erlangen (28:30) in der vergangenen Woche wartet am Sonntag (16.30 Uhr/Dyn) in der Sporthalle Hamburg gegen Frisch Auf Göppingen das erste Bundesliga-Heimspiel mit dem HSVH auf ihn. „Ich freue mich sehr auf die nächsten Wochen. Es war schon immer mein Traum, einmal in der Bundesliga zu spielen“, sagt Risom.
Zwischen der Erfüllung dieses Traums und der Operation im August 2022 liegen eineinhalb schwere Jahre. Erst neun Monate nach der Operation durfte er wieder vorsichtig einen Ball werfen, im Sommer 2023 wechselte Risom schließlich von TMS Ringsted zu KIF Kolding, eine knappe Autostunde von der deutschen Grenze entfernt. Ein Neuanfang sollte her, die Schulter hatte die Karriere-Handbremse aber noch nicht gelöst.
Vor einem halben Jahr konnte er nur wenige Pässe pro Tag spielen
„Als ich im vergangenen Sommer in Kolding mit dem Wurftraining wieder begonnen habe, konnte ich maximal 20 Pässe pro Tag spielen, bis die Schmerzen in meiner Schulter nicht mehr zu ertragen waren. Seitdem habe ich große Fortschritte gemacht“, sagt der 29 Jahre alte Risom. „Mittlerweile weiß ich, dass die Verletzungen auf Überbelastung zurückzuführen sind. Ich habe auf eine bittere Art und Weise gelernt, dass ich meine Reha- und Physio-Übungen auch dann machen muss, wenn ich keine Schmerzen habe. Also jeden Tag.“
In Kolding besaß Risom zuletzt einen Zweijahresvertrag mit der Option auf ein weiteres Jahr. Obwohl seine Spielzeit in den vergangenen Monaten begrenzt war, hatte er geplant, mindestens zwei Saisons in der Hafenstadt am Koldingfjord zu bleiben. Erst im Januar nahm seine Frau Signe dort einen neuen Job an, auch der elf Monate Sohn Ebbe bekam vor wenigen Wochen einen Platz in der Kindertagesstätte. Alles schien sich langsam einzupendeln, der Traum von der Bundesliga schien weiter weg denn je – ehe am 5. Februar sein Handy klingelte: Der HSVH wollte ihn.
Risom war völlig unvorbereitet auf das Angebot
„Ich war völlig überrascht, als mir mein Berater von der Möglichkeit erzählt hat. Ich musste mich dann innerhalb von zwei Tagen entscheiden“, erzählt Risom, der nach kurzer Bedenkzeit zusagte, seinen langfristigen Vertrag in Kolding auflöste. Drei Tage später stand er zum ersten Mal in der Trainingshalle im Hamburger Volkspark. „Es ist mir nicht schwergefallen, mich für Hamburg zu entscheiden. Für mich ist das eine riesige Chance. In Kolding war ich außerdem kein Stammspieler, weil ich nicht zur Philosophie des Trainers gepasst habe.“
Weil sein Vertrag an der Elbe nur bis zum Saisonende läuft, ließ er Frau Signe und Sohn Ebbe in Kolding zurück. Nachdem er die ersten Tage in Hamburg bei seinem dänischen Mitspieler Jacob Lassen auf dem Sofa schlafen musste, bezog er eine Wohnung in Altona. „Jacob und die anderen Dänen haben mir in den ersten Tagen extrem geholfen“, sagt Risom. Mit Positionspartner Lassen (Meniskus-OP), den er beim HSVH bis zum Saisonende ersetzen soll, war er bereits in der Spielzeit 2017/18 beim dänischen Erstligisten Bjerringbro-Silkeborg gemeinsam aktiv. Auch mit Kreisläufer Andreas Magaard verbrachte er eine Saison, 2020/21 in Ringsted.
Dänische Mitspieler scherzen über sein Auto
Mit Risom gibt es mittlerweile fünf Dänen beim HSVH, auch mit den Außenspielern Casper Mortensen und Frederik Bo Andersen versteht sich der Neuzugang hervorragend. „Casper und die anderen machen sich ein bisschen über das Auto lustig, das mir der Verein gestellt hat. Alle anderen Spieler haben einen schicken VW bekommen, für mich war nur noch ein kleiner Lieferwagen verfügbar. Damit sehe ich immer etwas verdächtig aus, wenn ich über die dänische Grenze fahre“, sagt Risom und lacht.
Mehrmals pro Woche pendelt er zwischen Hamburg und Kolding, mal schläft er in Altona, mal bei seiner Familie in Dänemark. Etwas mehr als zweieinhalb Stunden benötigt er pro Strecke, doch die vielen Stunden im Auto sind es ihm wert. „Wenn ich beim Training bin, konzentriere ich mich nur auf Handball. Sobald ich aber abends allein in der Wohnung liege, vermisse ich meine Familie sehr“, sagt der gebürtig aus der Nähe von Aarhus stammende Profi.
Martin Risom soll Positionspartner Zoran Ilic entlasten
Beim HSVH ist er nach Lassens Saisonaus der zweite Rückraumrechte hinter dem Ungarn Zoran Ilic, den er in Abwehr und Angriff entlasten soll. „Ich brauche vielleicht noch zwei oder drei Wochen, bis ich alle Details des Spielsystems verstanden habe“, sagt Risom. Im Gegensatz zur dänischen Liga liege der Fokus in der Bundesliga grundsätzlich aber weniger auf taktischen Feinheiten. „Das Spiel in Deutschland ist deutlich physischer und noch etwas schneller. Daran muss ich mich noch ein bisschen gewöhnen.“
- HSVH-Coach Jansen kocht: „Wie ein Murmeltier dahinvegetiert“
- HSV Hamburg: Wir haben genug Qualität für den Klassenerhalt
- Torhüter, Wurfquote, Kader: Die Probleme des HSV Hamburg
Auch wenn seine Leistungsfähigkeit noch nicht wieder bei 100 Prozent sei, muss sich Risom beim HSVH schnellstmöglich beweisen. Nicht nur, weil der Club im Abstiegskampf steckt, sondern auch, weil er Stand jetzt im Sommer arbeitslos wäre. „Natürlich ist es ein großes Risiko, dass ich die Sicherheit aus Kolding für einen viermonatigen Vertrag in Hamburg aufgegeben habe“, sagt der 1,90 Meter große Linkshänder. „Insgesamt überwiegen für mich aber die Chancen, die ein Vertrag in der Bundesliga bietet. Selbst wenn der HSVH am Saisonende nicht mit mir verlängern will, hätte ich mit dieser Referenz wohl auch gute Chancen bei anderen Clubs.“
Wenn er sich für ein neues Arbeitspapier in Hamburg empfehlen sollte, würde er im Sommer mit seiner Familie fest an die Elbe ziehen. „Aktuell ist das Pendeln für mich aber die beste Lösung“, sagt Risom. Und vielleicht hat der Verein ja bald auch noch ein Auto für ihn, mit dem er an der Grenze nicht wie ein Schmuggler aussieht.