Hamburg. Der Ersatztorhüter des HSV Hamburg spricht über die Knie-Operation seines Positionspartners und die Zukunft seiner Handball-Karriere.
Jens Vortmann musste sich am Dienstagvormittag etwas beeilen. Eine Dreiviertelstunde hatte sich der Ersatztorhüter des HSV Hamburg (HSVH) zwischen Kinderbetreuung und Videoanalyse vor dem heutigen Bundesligaspiel bei GWD Minden (19.05 Uhr/Sky) gerade so freigeschaufelt, um beim Abendblatt-Handball-Podcast „Auszeit HSVH“ am Großen Burstah vorbeizuschauen.
Die ursprünglichen Gründe für Vortmanns Besuch hatten sich dabei wenige Stunden zuvor überholt – anstatt über seinen ersten Einsatz in der Startformation beim jüngsten Heimspiel gegen Frisch Auf Göppingen (31:28) zu sprechen, ging es zu einem Großteil um den monatelangen Ausfall von Stammkeeper Johannes Bitter, der sich nach anhaltenden Knieproblemen einer Operation unterziehen musste.
Handball: Bitter unterzog sich einer Knie-Operation
„Uns trifft der Ausfall als Mannschaft hart. Wir spielen aber eine sehr gute Saison und werden das bestmöglich kompensieren“, sagt Vortmann über seinen Positionspartner, dem bei einer Arthroskopie vor wenigen Tagen am rechten Knie freie Gelenkkörper entfernt wurden.
„Ich habe seit Februar unter der Woche alles dafür getan, um zum Spiel fit zu sein“, sagt Bitter, der im Training zuletzt häufig kürzertreten musste. Zum Vorbereitungsstart auf die neue Saison soll er wieder fit sein. „Mit Blick auf die neue Saison war es jetzt der beste Zeitpunkt, um die OP machen zu lassen“, sagt der ehemalige deutsche Nationalkeeper.
Vortmann kann OP-Zeitpunkt nachvollziehen
„Jeder, der sich ein bisschen mit Handball beschäftigt, weiß, was für ein außergewöhnlicher Torwart Jogi ist“, schwärmt Vortmann. „In den vergangenen 20 Jahren stand er in der Bundesliga stets für Erfolg.“ Den Eingriff jetzt vorzunehmen, könne er gut nachvollziehen. „Im Hinblick auf die neue Saison ist es richtig, es jetzt zu machen und nicht bis Saisonende zu warten, um dann die gesamte Vorbereitung und die ersten Spiele der neuen Saison zu verpassen. Das kann auch jeder in der Mannschaft sehr gut nachvollziehen“, sagt Vortmann.
Während Bitter in den kommenden Wochen auf Krücken angewiesen ist, rückt Vortmann in den verbleibenden acht Saisonspielen auf dessen Position. Die entstandene Kaderlücke füllt U-21-Keeper Alexander Pinski (20) auf. „Alex hat alle Veranlagungen, um ein richtig guter Torhüter zu werden. Die Körpergröße kann man leider nicht beeinflussen, mit fünf Zentimetern mehr hätte er es noch leichter. Er hat gute Ansätze, ein gutes Stellungsspiel, antizipiert den Ball sehr gut, ist schnell auf den Beinen. Ich traue es ihm zu, Jogi für den Rest der Saison zu vertreten“, sagt Vortmann.
Vortmann riss sich 2018 das Kreuzband, 2022 die Achillessehne
Mit schweren Verletzungen kennt sich der 35-Jährige (leider) gut aus. 2018 riss sich Vortmann beim SC DHfK Leipzig das Kreuzband, im vergangenen Juni die Achillessehne. Den Familienurlaub sagte er ab, Autofahren war nicht mehr möglich. „Von jetzt auf gleich hat sich sehr viel verändert. Ich war erst mal an diesen großen Spezialschuh und Krücken gebunden“, erinnert sich Vortmann an die Zeit nach der Operation. „Es war schon eine Herausforderung für mich, ein Glas aus dem Schrank zu holen und zum Tisch zu tragen. Ich habe zu Hause dann mit einem Beutel um den Hals gelebt.“
Als sich in der vergangenen Woche Paul Drux (28/Füchse Berlin) bei der 23:32-Niederlage der deutschen Nationalmannschaft in Schweden ebenfalls die Achillessehne riss, dachte Vortmann an seine eigene Verletzung zurück. „Ich konnte sehr gut mitfühlen, wie es ihm in der Situation geht. So eine Verletzung wünscht man niemandem“, sagt der gebürtige Berliner, der sich umgehend bei Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning meldete, um Paul Drux seine Hilfe anzubieten. „Ich bin ja leider ein Experte auf dem Gebiet. Er kann sich gerne melden, ich erwarte das aber nicht und es ist auch völlig in Ordnung, wenn er es nicht macht“, sagt Vortmann.
Kreuzbandriss-Erfahrung half ihm nicht weiter
Bis zu seinem Comeback Ende Februar arbeitete der Wahl-Eimsbütteler monatelang alleine in der Reha. Die Erfahrung des Kreuzbandrisses habe ihm in dieser Zeit keinen Halt gegeben. „Ganz im Gegenteil“, sagt Vortmann. „Die Erfahrung hat mir kein Stück geholfen. Ich wusste dadurch nur, wie schwer die Zeit werden würde.“ Für Ablenkung habe unter anderem seine Masterarbeit gesorgt.
Noch heute müsse er spezielle Übungen machen, um seine Wadenmuskulatur zu kräftigen, Sehnen und Bänder zu stabilisieren. „Natürlich merke ich einen Unterschied zu meinem linken Fuß. Ich habe noch ein Kraftdefizit und eine Bewegungseinschränkung“, sagt Vortmann. Mittlerweile habe er allerdings einen Weg gefunden, wie er trotz dieser Einschränkungen seine Leistung zeigen könne.
Zuletzt konnte Vortmann wieder überzeugen
Die Zahlen stimmten zuletzt wieder bei Vortmann. Gegen Göppingen trug er zuletzt mit elf Paraden zum Sieg bei, die Quote von 29,73 Prozent gehaltener Bälle ist zwar keine überragende, für einen Ersatzkeeper aber mehr als solide. Dass er sich in Abwesenheit der klaren Nummer eins bis zum Saisonende in den Fokus spielen könnte, beschäftigt Vortmann allerdings nicht.
„Jogi ist hier immer die Nummer eins gewesen, und ich sehe auch keinen Grund, warum sich das ändern sollte, wenn er komplett fit wird“, sagt er. „Als ich den Vertrag hier unterschrieben habe, habe ich gewusst, worauf ich mich einlasse.“ Ohnehin habe sich sein Anspruch auf Spielzeit im Vergleich zum Beginn seiner Karriere verändert. „Wir sind beide in einem Alter, in dem man sagen kann, dass es um das Team und nicht die eigene Profilierung geht“, sagt Vortmann über das Konkurrenzverhältnis mit Bitter.
Trennung nach 2024 scheint wahrscheinlich
Bis Sommer 2024 läuft sein Kontrakt noch an der Elbe, eine Verlängerung darüber hinaus erscheint aktuell unwahrscheinlich. „Ich würde mich freuen, wenn der Verein noch mal auf mich zukommt“, sagt Vortmann, der bisher noch keine Gespräche mit den HSVH-Verantwortlichen führte. In den kommenden Wochen dürfte Geschäftsführer Sebastian Frecke allerdings den Austausch suchen.
Nach Abendblatt-Informationen sucht der Verein zurzeit nach einem jungen Torhüter, der das Potenzial hat, sich von Sommer 2024 an zu einer neuen Nummer eins zu entwickeln. Bei diesen Planungen spielt Vortmann offenbar keine Rolle mehr, da sich die künftige Nummer eins im Wunschszenario des Vereins zunächst ein Jahr lang hinter Bitter (Vertrag bis 2026) entwickeln soll, ehe dieser zunächst auf die Torhüterposition zwei und anschließend ins sportliche Management des Vereins wechselt.
- Knie-OP bei Bitter: HSV Hamburg monatelang ohne Stammkeeper
- Wasserschaden! Hamburgs Handballer ohne Trainingshalle?
- Tissier fällt erneut wochenlang aus: „Einfach ärgerlich“
Ob Vortmann, der bereits jetzt in 15-Stunden-Teilzeit bei HSVH-Hauptsponsor Hapag-Lloyd als Projektmanager tätig ist, nach seiner Zeit in Hamburg noch einen neuen Profivertrag bei einem anderen Verein unterschreibt, ist fraglich. „Ich habe mir kein festes Enddatum für meine Karriere gesetzt. So lange ich noch Spaß habe, die Leistung stimmt und ich mich gut fühle, kann ich mir vorstellen, noch ein paar Jahre zu spielen“, sagt Vortmann. „Ich möchte aber nicht so lange auf dem Handballfeld stehen, dass ich später nicht noch die Chance habe, mit meinen Kindern durch den Garten zu toben. Irgendwann muss man abwägen, was gesundheitlich vertretbar ist und was nicht.“
Nach acht verschiedenen Profistationen während seiner aktiven Karriere will die Familie perspektivisch in Hamburg oder Berlin sesshaft werden. Dann soll das „Nomadenleben“, wie es Vortmann nennt, vorbei sein.