Hamburg. Der Niederländer Dani Baijens über die Wahrnehmung von Handball in seiner Heimat, die WM und den HSV Hamburg.
Als Dani Baijens etwas hektisch zur Tür reinkommt, entschuldigt er sich höflich für die kurze Verspätung. Sein Zuspätkommen hatte allerdings einen guten Grund: Der niederländische Spielmacher des HSV Hamburg (HSVH) war vor dem Gespräch mit dem Abendblatt noch am Herd gefordert.
Seit er im vergangenen Sommer zu Hamburgs Handballern gewechselt war, hatte er bisher kein Kabinenfest ausgerichtet. Diese Tradition holte der 24-Jährige nun nach, verwöhnte seine Mitspieler mit selbst gemachten Burritos, ehe er am Sonntag (16.05 Uhr/Sky) nach der WM-Pause im Auswärtsspiel bei Meister SC Magdeburg auch wieder in der Bundesliga gefordert sein wird.
Herr Baijens, Sie sind erst seit dem 31. Januar in Hamburg, haben sich zuvor in Ihrer Heimat von der WM erholt. Wie viele Niederländer wollten innerhalb dieser Woche ein Foto mit Ihnen?
Dani Baijens: Absolut niemand (lacht). Ich war in Rotterdam, Den Haag und auch in Utrecht. Die Handball-WM juckt dort keinen. Niemand kennt mich, ich kann ganz normal über die Straße gehen. Daran hat die WM nichts geändert. Die Spiele wurden auch nicht wie in Deutschland im nationalen Fernsehen übertragen, sondern waren nur über einen kostenpflichtigen Stream empfangbar. Den gucken nur die Hardcore-Handballfans.
Stört es Sie, dass Ihre Leistung in den Niederlanden kaum gewürdigt wird?
Eigentlich nicht. Es wäre natürlich cool gewesen, auch in seinem Heimatland Anerkennung dafür zu bekommen, was man geleistet hat. Die wenigen Leute in den Niederlanden, die Handball spielen, kennen mich auch. Zumindest würde es mich wundern, wenn sie das nicht täten. Ich komme auch aus einer Handballfamilie, die gucken natürlich alle zu, wenn ich spiele.
Für die Männer-Nationalmannschaft der Niederlande war es die erste WM überhaupt, die niederländischen Frauen befinden sich seit rund 15 Jahren in der Weltspitze. Aber auch die sind in Ihrer Heimat kaum bekannt.
Die Frauen sind wirklich unfassbar erfolgreich in den vergangenen Jahren gewesen. Ein paar von ihnen sind auch bekannt in Holland, aber nicht in erster Linie wegen des Handballs. Estevana Polman zum Beispiel. Die wird auf der Straße nur erkannt, weil sie mit Rafael van der Vaart zusammen ist. Wirklich berühmt sind bei uns nur die Fußballer.
Auch wenn es kaum jemand mitbekommen hat in Ihrer Heimat – sind Sie trotzdem zufrieden mit dem Abschneiden bei der WM?
Die Vorrunde war okay, wir haben drei gute Spiele abgeliefert, das letzte Spiel gegen Norwegen aber ärgerlicherweise verloren. Einerseits ist das keine Schande gegen solch eine Mannschaft, andererseits will man nach einer Siebentoreführung zur Halbzeit am Ende auch gewinnen. Dass das Turnier zu lange für uns dauerte, hat man dann beim Ausscheiden in der Hauptrunde gemerkt. Mit Luc Steins und Kay Smits habe ich im Rückraum fast jede Begegnung durchgespielt, weil unser Kader nicht so groß ist. Das war unfassbar anstrengend. Grundsätzlich bin ich aber zufrieden mit dem Turnier.
Inwiefern hat Sie Ihre erste WM auch persönlich weitergebracht?
Die gegnerischen Spieler aus Nationen wie Norwegen und Deutschland kennt man natürlich aus der Bundesliga. Gegen Teams wie Nordmazedonien oder Argentinien spielt man dagegen nicht jede Woche, da kann man wichtige Erfahrungen sammeln. In der Handballszene hilft es mir als jungem Spieler auch, auf so einer großen Bühne gesehen zu werden. Und weil Luc Steins einer der besten Spielmacher auf der Welt ist, habe ich fast nur im linken Rückraum gespielt, was ich in Hamburg bisher kaum gemacht habe. Wenn Leif Tissier nach seiner Verletzung wieder mehr als Spielmacher auf dem Feld steht, kann ich mir auch hier gut vorstellen, wieder mehr links zu spielen.
Also konnten Sie bei der Nationalmannschaft auch taktisch dazulernen ...
Gemeinsam mit Kay und Luc beschäftige ich mich immer sehr viel mit der Taktik für die gesamte Mannschaft. Bei unserem ehemaligen Nationaltrainer Erlingur Richardsson waren wir immer sehr stark involviert und durften unsere taktischen Ideen umsetzen, wenn der Trainer zugestimmt hat. Unter Staffan Olsson ist es mittlerweile ein bisschen anders geworden, aber er bespricht sich auch immer intensiv mit uns, und wir überlegen gemeinsam. Weil wir nicht besonders wurfstark sind, ist es enorm wichtig für uns, dass jeder die Lauf- und Passwege genau kennt. Grundsätzlich fertigen wir drei deshalb vor jedem Spiel eine Liste mit vielen Spielzügen an und schicken sie in die WhatsApp-Gruppe der Mannschaft. Wenn man mit Luc Steins zusammenspielt, ist so eine Liste normal. Der denkt 24 Stunden am Tag über Taktik und Spielzüge nach, überlässt nichts dem Zufall. Wenn der Trainer uns das Vertrauen schenkt, nehmen wir das auch gern an.
Kay Smits misst 1,85 Meter, Luc Steins 1,72 Meter, Sie 1,82 Meter. Warum gibt es im niederländischen Nationalteam keinen wurfstarken Spieler, der etwas größer ist als Sie drei?
Grundsätzlich fängt man als Kind in Holland in der Regel als Fußballer an. Wenn man es dort nicht schafft, wird man als großer Mensch eher Volleyballer oder Basketballer. Und wenn man Pech hat, endet man als Handballer (lacht). Nein, im Ernst: Es gibt gerade mal 52.000 Menschen, die in Holland Handball spielen. In Deutschland sind es 800.000. Handball hat in den Niederlanden auch den Ruf als Mädchensportart. In der Schule wurde ich als schwul beschimpft, weil ich Handball gespielt habe.
Wie sind Sie damals damit umgegangen?
Es ist nicht einfach, wenn man so was zu hören bekommt. Als kleiner Junge ist es schwierig, so etwas zu verarbeiten. Das große Problem in Holland ist, dass kaum jemand weiß, was Handball ist. Die Fußballer denken, dass man da den Ball ein bisschen hin und her wirft. Erst als ich 16 geworden bin, hat sich das ein wenig geändert. Davor habe ich nur gehört, wie schwul ich doch bin. Abgesehen davon, dass das in der heutigen Zeit überhaupt keine Beleidigung mehr ist, konnte ich damals immer gut damit umgehen. Ich hatte keine Angst davor, diesen Leuten zu antworten. Meine ganze Familie hat Handball gespielt, deshalb war es mir scheißegal, was die anderen gesagt haben. Ich kann mir aber trotzdem vorstellen, dass viele andere Jungs mit Handball aufhören, weil der Sport in Holland dieses komplett schlechte und falsche Image hat.
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Haben Sie in den vergangenen Jahren noch mal Menschen getroffen, die Sie damals für den Handballsport ausgelacht haben?
Ein paar Freunde von früher haben mir mal geschrieben, dass sie ein Spiel von mir gesehen hätten und das auf einmal mega geil fanden. Eigentlich findet jeder, der zum ersten Mal ein Handballspiel sieht, das Spiel super. Es ist eine ganz andere Sportart, als sie die Menschen in Holland erwarten. Das Problem ist einfach, dass es niemand guckt. Ein Ziel mit der Nationalmannschaft ist es, irgendwann bei Olympia aufzulaufen. Dann würden unsere Spiele auch mal im nationalen Fernsehen gezeigt werden. Das wäre ein großer Schritt für uns.
Sie haben mal gesagt, dass es niederländische Spieler schwerer haben, in Deutschland einen Profiverein zu finden. Glauben Sie, dass es mit der WM-Teilnahme Ihres Teams zukünftig einfacher sein wird?
Ich bin jetzt schon seit sechs Jahren in Deutschland. In dieser Zeit hat sich schon sehr viel verändert. Viele Vereine achten jetzt mehr auf niederländische Spieler. Früher war es noch viel schlimmer. Bobby Schagen, ein guter Freund von mir aus der Nationalmannschaft, war 2013 Torschützenkönig der Zweiten Liga. Das beste Angebot, das er danach bekommen hat, stammte von TuS N-Lübbecke, die damals gerade in die Bundesliga aufgestiegen waren. Ich könnte mir vorstellen, dass man als Deutscher, der Torschützenkönig der Zweiten Liga wird, noch mehr und noch bessere Angebote bekommt. Wir Niederländer müssen uns viel mehr beweisen.
Wären Sie lieber in Deutschland geboren worden?
Ich wusste schon mit zwölf Jahren, dass ich irgendwann mal in Deutschland Handball spielen will. Ich kann mich aber nicht beschweren, wie es gelaufen ist. Trotzdem würde ich schon gerne wissen, wie es gewesen wäre, wenn ich in Deutschland aufgewachsen wäre – und ob ich ein anderer Handballer geworden wäre.
Ihren Nationalmannschaftskollegen Kay Smits treffen Sie in Magdeburg wieder, er wird nach der Verletzung von Omar Ingi Magnusson vermutlich Ihr direkter Gegenspieler sein. Hilft es Ihnen, dass Sie ihn aus der Nationalmannschaft kennen?
Absolut, ich weiß genau, wo in der Abwehr seine Schwächen liegen und wie ich ihn austricksen kann (lacht). Wir werden vor dem Spiel bestimmt auch noch mal telefonieren. Kay ist wie Magnusson ein überragender Spieler. Wenn zwei der besten Rückraumrechten der Bundesliga in einer Mannschaft spielen, ist das schade, weil nur immer einer spielen kann.
Bisher hieß es immer, dass Sie die Klasse halten wollen, auf Tabellenplatz sechs haben Sie als Achter momentan nur zwei Punkte Rückstand. Muss der HSVH sein Saisonziel nach oben korrigieren?
Bisher läuft es überragend bei uns. In der Bundesliga ist es schwer zu sagen, welchen Platz wir am Ende erreichen können. Es ist auf jeden Fall unser Ziel, mehr als 30 Punkte zu sammeln. Und wenn wir jetzt Achter sind, wollen wir nach Möglichkeit auch auf diesem Platz bleiben. Die Voraussetzung dafür ist, dass alle Spieler fit bleiben.