Hamburg. Am Mittwoch startet die Bundesligasaison. Der scheidende DHB-Vize Bob Hanning blickt exklusiv und gewohnt meinungsstark voraus.
Am 3. Oktober endet für Bob Hanning ein Lebensabschnitt. Der 53-Jährige beendet nach acht Jahren seine Tätigkeit als Vizepräsident im Deutschen Handball-Bund (DHB), die er in seinem Buch „Hanning. Macht. Handball“ aufarbeitet, das am 1. Oktober im Edel-Verlag erscheint. Der Männer-Bundesliga (HBL), die an diesem Mittwoch in die Saison 2021/22 startet, bleibt der Cheftrainer des Drittligisten VfL Potsdam als Geschäftsführer der Füchse Berlin erhalten. Im Abendblatt schaut der frühere HSV-Trainer auf die kommende Spielzeit voraus.
Hamburger Abendblatt: Herr Hanning, die neue Saison hat noch nicht einmal begonnen, da wird schon wieder die Diskussion um die Überlastung des Terminplans geführt, angeregt durch Bundestrainer Alfred Gislason, der mehr Zeit fürs Nationalteam fordert. Was lässt sich tun, um dieses Dauerthema nachhaltig anzupacken?
Bob Hanning: Dass die Nationalmannschaft mehr Zeit für Vorbereitungsmaßnahmen und eine noch größere Bedeutung bekommt, ist eine Forderung, die ich vertrete, seit ich im DHB tätig bin. An Alfred, der als Bundesligatrainer anders darüber dachte als jetzt, sieht man, dass sich Meinungen verändern, wenn sich Positionen verändern. Letztlich sind alle Parteien in dieser Diskussion von wirtschaftlichen Zwängen getrieben, dennoch sollten wir alle erkennen, dass es die Nationalmannschaft ist, die unserem Sport die größte Relevanz verleiht. Deshalb müssen wir, auch als Konsequenz aus dem nicht zufriedenstellenden Abschneiden bei der EM und Olympia, nun gemeinsam den Schritt gehen, dem Nationalteam noch mehr Freiraum zu schaffen.
Geht das, ohne die Auswahlspieler noch mehr zu überlasten? Ist der oft geforderte Schritt, die Liga von 18 auf 16 Clubs zu verkleinern, notwendig?
Aus meiner Sicht ist er weder angedacht noch notwendig. Wir haben die stärkste Liga der Welt, in der, anders als in anderen Topligen Europas, auch der Beste fokussiert sein muss, um den Letzten zu besiegen. Die Überlastung der Spieler betrifft in meinen Augen nur die Champions-League-Starter, die aber in den vergangenen Jahren, gerade in der Corona-Zeit, schon gegengesteuert haben, indem sie ihre Kader verbreitert haben. Das ist der richtige Weg. Was die grundsätzliche Reduzierung von Terminen angeht, haben wir die Problematik, dass wir jedes Jahr EM oder WM spielen, was ich für dringend notwendig halte, um neben dem Fußball überhaupt mal aufzufallen. Deshalb wird es eine radikale Umgestaltung des Terminkalenders nicht geben können. Wofür ich plädiere, ist, dass wir den DHB-Pokal im Dezember abschließen, damit nicht am Ende einer Saison die Titelentscheidungen alle geballt fallen müssen.
Corona hat viele Branchen stark getroffen. Auch HBL-Chef Frank Bohmann hat kürzlich wieder gewarnt, dass eine weitere Saison im Ausnahmezustand einige Clubs in Gefahr bringen würde. Wie groß ist Ihre Sorge darum?
Mein Eindruck ist, dass der Spitzensport von Bund und Ländern mehr als fair bedacht worden ist und wir als HBL gut durch die Corona-Zeit gekommen sind. Wer sein Partnernetzwerk über die Jahre gut gepflegt hat, wird die Krise gut überstanden haben. Krise macht ehrlich, sie zeigt auf, wer die Rahmenbedingungen für erfolgreiches Wirtschaften geschaffen hat. Dennoch wäre ein weiteres Jahr mit signifikanten Zuschauerausschlüssen gefährlich.
Inwieweit ist es, wie in der Frauen-Bundesliga jetzt ans Licht gekommen, fahrlässig, wenn mehr als die Hälfte der Clubs nicht durchgeimpft sind?
Ich halte das für absolut unprofessionell. Wir haben im Spitzensport auch eine Verantwortung für die gesamte Gesellschaft. Bei den Füchsen sind alle Spieler geimpft, bei den Zuschauern setzen wir auf das 2G-Modell, um die maximale Sicherheit bieten zu können. Wir müssen alles Mögliche tun, damit die Spiele durchgeführt werden können.
Kommen wir zum Sport. Wird der Kampf um den Titel wieder ein Duell?
Leider sehe ich aktuell kein Team in der Lage, den THW Kiel und die SG Flensburg-Handewitt nachhaltig zu gefährden. Die beiden machen einfach den besten Job und stehen zu Recht dort, wo sie stehen. Wir müssen hoffen, dass es immerhin so lange wie möglich ein enger Zweikampf bleibt, in dem ich den THW Kiel weiterhin eine Nasenlänge voraus sehe. Mittelfristig wünsche ich mir, dass aus dem Feld der Verfolger es mal ein Club schafft, aus dem Spitzenduo ein Trio zu machen.
Welchem Club trauen Sie das zu?
Am ehesten im Moment dem SC Magdeburg. Auch wenn uns in der Abschlusstabelle der vergangenen Spielzeit nur ein Punkt getrennt hat, waren die Magdeburger die deutlich bessere Mannschaft. Die MT Melsungen hätte ebenfalls das Potenzial, das Gleiche gilt auch für die Rhein-Neckar Löwen, aber es fehlt beiden, ebenso wie uns, an der nötigen Konstanz. Unser Anspruch bleibt, mittelfristig ein Spitzenteam zu werden, aber das dauert noch.
Welche Rolle trauen Sie den Aufsteigern N-Lübbecke und HSV Hamburg zu?
Lübbecke kennt die Rolle als Pendler zwischen den Ligen, sie werden ums Überleben kämpfen, haben aber mit Emir Kurtagic einen Trainer, der viel Ruhe ins System gebracht hat. Der HSVH ist sicherlich kein normaler Aufsteiger, was schon die Verpflichtungen der dänischen Außenspieler Casper Mortensen und Frederik Bo Andersen sowie von Nationalkeeper Johannes Bitter gezeigt haben. Ich freue mich riesig über die Rückkehr des Vereins, denn wir brauchen Handball in den Großstädten. Wenn Hamburg gut in die Saison kommt, dann werden sie die nötigen Punkte für den Klassenerhalt ohne Probleme einfahren.
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Wer sind für Sie die Kandidaten für den Spieler und Trainer der Saison?
Bei den Trainern sehe ich zwei. Florian Kehrmann, der in Lemgo einen überragenden Job macht. Und Torsten Jansen beim HSVH, der es geschafft hat, den Club mit großer Ruhe aufzubauen und in die Bundesliga zurückzuführen. Bei den Spielern sehe ich keinen Neuzugang, von dem ich Großtaten erwarte. Der Däne Mathias Gidsel, den wir verpflichtet haben, wäre so einer, aber er kommt erst zur Saison 2022/23. Insofern bin ich sehr gespannt auf Juri Knorr bei den Rhein-Neckar Löwen, auf Till Klimpke im Tor der HSG Wetzlar – und darauf, wie Franz Semper nach seinem Kreuzbandriss in Flensburg zurück in die Spur kommt.
Die Bundesliga vermarktet sich als stärkste Liga der Welt. Wo sehen Sie dennoch Optimierungspotenzial?
Ich glaube, dass der Reiz der Bundesliga wirklich darin liegt, dass der sportliche Unterhaltungswert sehr hoch ist. Es gibt ein breites Mittelfeld, die meisten Spiele sind sehr eng. Dennoch finde ich, dass wir als gesamte HBL manchmal noch etwas schwerfällig sind, wenn es um Professionalisierung geht. Nicht nur die Liga, auch jedes einzelne Mitglied muss sich weiterentwickeln. Der Weg ist richtig, aber es gibt noch einiges Potenzial.
Was also wäre Ihr Wunsch an die Liga?
Ganz klar, dass wir wieder dahinkommen, die vielen jungen Talente, die wir haben, individuell sinnvoll aufzubauen, denn darin liegt das größte Potenzial für den deutschen Handball, was der Titelgewinn bei der U-19-EM Ende August unterstrichen hat. Fördern und fordern muss das Motto sein. Bei uns in Berlin ist nicht nur die Platzierung das ausschlaggebende Kriterium für Erfolg, sondern auch die Entwicklung der Jugendspieler. Wenn wir dieses Potenzial nutzen, dann können wir den anstehenden Großevents im eigenen Land – U-23-WM 2023, EM 2024 und WM 2027 – mit großer Freude entgegensehen. Die Grundlage dafür müssen wir gemeinsam in der Bundesliga legen.