Hamburg. Handballtorhüter Johannes Bitter über seine emotionale Rückkehr zum HSV Hamburg und die Erfahrungen des Alters.

Nach fünf Jahren und neun Monaten wird Johannes Bitter (39) am Mittwoch (19.05 Uhr/Barclays Arena) gegen Frisch Auf Göppingen wieder im Tor des HSV Hamburg stehen. „Ich bin nach Hause gekommen“, sagt der 170-malige Nationalspieler, der von 2007 bis 2015 mit dem Club große Erfolge feierte.

Umzug aus Stuttgart nach Hamburg, neues Büro einrichten für Ihr Tangstedter Start-up Drinkbetter, Trainingseinstieg beim HSV Hamburg am 12. August, nur eine Woche nach Ihrer Rückkehr von den Olympischen Spielen in Tokio, Herr Bitter: Sind Sie urlaubsreif?

Johannes Bitter Erstaunlicherweise geht es mir sehr gut, ich fühle mich frisch, auch im Kopf, der große Hammer ist bisher ausgeblieben. „Toto“ (Trainer Torsten Jansen, die Red.) und ich waren uns einig, dass ich so schnell wie möglich zum Team stoße. In der Länderspielpause Anfang November kann ich vielleicht noch mal ein paar Tage abschalten.

Sie hatten Anfang des Jahres ein Angebot des Champions-League-Siegers FC Barcelona, bei dem Sie ein Vielfaches dessen verdienen konnten, was Sie in Hamburg erhalten. Was hat Sie zur Rückkehr bewogen?

Das war eine emotionale Entscheidung, und sie fühlt sich immer noch sehr gut an. Es ist ein bisschen wie nach Hause kommen. In Hamburg wohnen meine drei Söhne, die wöchentlichen Flüge zu meiner Familie fallen jetzt weg, beim HSV Handball hatte ich zudem die bisher schönste und erfolgreichste Zeit in meiner Karriere. Und das neue Projekt hat für mich auch seinen Reiz. Ich habe den Werdegang des Vereins in den vergangenen fünf Jahren immer verfolgt.

Als Sie im Februar Ihren Fünfjahresvertrag beim HSV Hamburg unterschrieben, spielte die Mannschaft noch in der 2. Bundesliga ...

Aber sie stand an erster Stelle. Ich wäre auch gekommen, wenn es mit dem Aufstieg nicht geklappt hätte.

Wie stark wurden Sie in die Kaderplanung einbezogen?

Als erfahrener Spieler war ich hier und da in die Ideenfindung eingebunden, auf welchen Positionen und mit wem wir uns verstärken sollten.

Was haben Sie geraten?

Wir brauchten für unsere junge Mannschaft routinierte Spieler, gerne mit Bundesliga-Erfahrung. Die haben wir geholt, mit der Verpflichtung Casper Mortensens ist uns am Ende noch ein richtiger Coup gelungen, da er unbedingt Teil dieser Mannschaft sein wollte... Der Mix aus Jung und Alt im Kader stimmt. Das Team gefällt mir.

80 Prozent der Bundesliga-Aufsteiger sind in den vergangenen Jahren in der nächsten Saison wieder abgestiegen. Droht dem HSV Hamburg dasselbe Schicksal?

Der Unterschied zwischen Erster und Zweiter Liga ist enorm. Wir haben jedoch einen Kader, in dem viel Potenzial steckt, mit dem wir realistische Chancen auf den Klassenerhalt haben. Dennoch: Das wird eine Herkulesaufgabe, vergleichbar wie in früheren Jahren mit dem Gewinn der deutschen Meisterschaft. Wir müssen zwölf, 13 von 34 Spielen gewinnen, aufpassen, dass wir nicht in einen negativen Strudel geraten. Gerade für die jungen Spieler, die in den vergangenen Jahren fast immer als Sieger vom Feld gingen, könnte das eine brutale Erfahrung werden. Das wird auf jeden Fall der nächste Schritt in ihrer Entwicklung.

Ist der Verein als Organisation bereits gut genug für die Bundesliga aufgestellt?

Als junger Club fehlt uns gegenüber den etablierten Vereinen hier und da sicher etwas Routine, aber gerade das gibt uns die Chance, eigene Wege zu suchen. Wir wollen attraktiver für Familien, für junge Leute werden, wir werden an unserer Kommunikation und Außendarstellung arbeiten, um ein cooles Produkt anbieten zu können. Der wichtigste Faktor bleibt der sportliche Erfolg. Den werden wir nicht aus dem Blickfeld verlieren.

Sie stehen seit 18 Jahren in der Bundesliga im Tor. Wie hat sich die Liga verändert?

Kiel und Flensburg sind weiter zwei absolute Topteams, danach gibt es hinter einer kleineren Gruppe ein breites Mittelfeld. Von Platz sechs bis 15 sind die Mannschaften auf einem gestiegenen Niveau inzwischen annähernd gleichwertig, da kann jeder jeden schlagen. Und die Bundesliga ist weiter attraktiv für Weltklassespieler. Der Norweger Sander Sagosen etwa wollte unbedingt in Deutschland spielen, ist deshalb 2020 aus Paris nach Kiel gewechselt.

Wie lange trauen Sie sich die Bundesliga noch zu?

Ich bin doch gerade erst 39 geworden, da gehen noch ein paar gute Jahre. Spaß beiseite: Ich bin gesund, fit, verspüre große Lust auf die neue Saison, und ich habe auch in der Nationalmannschaft, glaube ich, zuletzt ganz ordentlich gehalten.

Das stimmt. Aber normalerweise beginnen die Reflexe im Alter nachzulassen.

Davon habe ich bisher nichts gemerkt. Reflexe sind aber nicht alles, gute Torhüter profitieren von ihren Erfahrungen. Ich muss wissen, was passiert, bevor es passiert. Dann bin ich die entscheidende Zehntelsekunde eher dort, wo der Ball hinfliegt. Ich habe alle Würfe schon Tausende Male erlebt, das hilft, um sich richtig zu positionieren. Ich wäre im Übrigen der Erste, sollten meine Leistungen nicht mehr stimmen, der dann die Konsequenzen zieht.

Sie leiten mit dem ehemaligen Torhüterkollegen Marcus Rominger die Handball-Spielergewerkschaft Goal Deutschland. In den vergangenen anderthalb Corona-Jahren war Ihre Moderation zwischen Spielern, Vereinen und der Handball-Bundesliga besonders gefragt. Wie ist der deutsche Profihandball bisher durch die Krise gekommen?

Bei allen Beteiligten war die Bereitschaft zu Kompromissen vorhanden, jeder hatte begriffen, dass er auf den anderen angewiesen ist. Das hat geholfen, dazu natürlich die Bundeshilfen für entgangene Zuschauereinnahmen. Dennoch haben viele Spieler deutlich spürbare Gehaltseinbußen hinnehmen müssen. Ich hoffe aber, dass wir das Schlimmste überstanden haben.