Hamburg. Insolvenzverwalter Böhm will die HSV-Handballer am Freitag informieren, wie es weitergeht. Drei Varianten sind vorstellbar.
Am Freitag entscheidet sich die Zukunft des Handball-Sport-Vereins Hamburg. Am Nachmittag des Tages will Gideon Böhm auf der Geschäftsstelle Spieler und Mitarbeiter informieren, wie es in den nächsten Wochen und Monaten bei dem Bundesligaclub weitergehen soll. Was der vorläufige Insolvenzverwalter der HSV Handball Betriebsgesellschaft mbH & Co. KG verkünden wird, ist unklar.
Das ist die Möglichkeit eins
Es gibt drei Szenarien. Das erste: Mangels Masse wird das Insolvenzverfahren nicht eröffnet, weil das Geld nicht ausreicht, um Gebühren und Auslagen des Insolvenzverwalters sowie zumindest einen Teil der Schulden zu bezahlen. Für die Gläubiger – zu ihnen gehören Finanzamt, Krankenkassen, Sozialversicherung, Berufsgenossenschaft, Barclaycard-Arena, Dienstleister und Spielerberater – würde das einen Totalausfall ihrer Forderungen bedeuten, für die Profimannschaft die Einstellung des Spielbetriebes und den Zwangsabstieg in die Zweite Bundesliga. Die Betriebsgesellschaft hat derzeit rund vier Millionen Euro Schulden. Werden die Darlehen des ehemaligen Präsidenten, Sponsors und Mäzens Andreas Rudolph dazugerechnet, dürfte sich die Summe auf 12,5 Millionen Euro addieren.
Das ist die Möglichkeit zwei
Zweite Möglichkeit: Das Insolvenzverfahren wird eröffnet. Böhm muss sich dann mit den Gläubigern auf einen Schuldenschnitt einigen und ausreichend Mittel beschaffen, um den Spielbetrieb weiterführen zu können. Derzeit stehen monatlich 100.000 Euro Einnahmen 340.000 Euro an Ausgaben gegenüber. Auf einem Gläubigertreffen gab der HSV Ende November bekannt, dass bis Saisonende noch 700.000 Euro an Einnahmen zu erwarten seien, die Verbindlichkeiten bis zum 30. Juni aber auf fünf Millionen Euro stiegen.
Das ist die Möglichkeit drei
Dritte Variante: Böhm wickelt den wirtschaftlichen Träger ab, gründet eine Auffanggesellschaft, in die Spieler und Mitarbeiter überführt werden, und handelt mit ihnen neue Verträge aus. Die Betroffenen hätten das Recht zur fristlosen Kündigung. Der Spielbetrieb könnte fortgesetzt werden, die Altschulden verblieben in der insolventen GmbH & Co. KG. Die Gläubiger würden einen Großteil ihres Geldes, wenn nicht alles verlieren. Böhm müsste einen Prozess gegen Rudolph führen, der für diese Saison eine Verpflichtungserklärung gegenüber der Handball-Bundesliga (HBL) zur Sicherung des Spielbetriebes über rund zwei Millionen Euro abgegeben hatte. Rudolph sagt, er sei allen seinen Pflichten nachgekommen.
Mehrere Unternehmen sollen Interesse haben
Mit einer Auffanggesellschaft wäre ein von der Vergangenheit unbelasteter Neustart – theoretisch auch ohne Rudolph – möglich, sollten sich Sponsoren finden, die ihn finanzieren. Wie hoch der Bedarf ist, hängt von den neuen Verträgen ab und davon, ob weitere Profis den Verein verlassen. Mindestens 1,5 Millionen Euro würden bis Saisonende wohl benötigt. Nach Abendblatt-Informationen sollen mehrere Unternehmen Böhm Interesse signalisiert haben, in der neuen Konstellation einzusteigen. Den bei diesem Szenario in den Statuten vorgesehenen Abzug von bis zu zwölf Punkten könnte die Mannschaft, derzeit Tabellenvierter mit 29:11 Punkten, verkraften, ohne sportlich in Abstiegsgefahr zu geraten. Allerdings sieht auch in diesem Fall die HBL-Satzung (Paragraf 8b, Folgen der Insolvenz) den Zwangsabstieg in die Zweite Liga vor. Dennoch scheint diese Variante die größte Chance zu sein, Spitzenhandball für Hamburg zu erhalten.
Kommentar: Notwendiger Ausverkauf
Bei Abwägung der Fortführungsmöglichkeiten muss Böhm auch die Vergangenheit des Vereins analysieren, klären, wie es zu dieser Schieflage kommen konnte und ob überhaupt eine Geschäftsgrundlage besteht, den HSV auf einer soliden finanziellen Grundlage erst- oder zweitklassig spielen zu lassen. Rudolph schloss das zuletzt aus und begründete damit seinen Entschluss, dem Verein kein Geld mehr zukommen zu lassen. In den vergangenen elf Jahren hatte er mehr als 50 Millionen Euro in den Club gesteckt, ihn 2005 in einer ähnlichen Situation gerettet und ihn danach zur deutschen Meisterschaft (2011) und zum Gewinn der Champions League (2013) geführt.
Unter Rudolph über Verhältnissen gelebt
Unter Rudolphs Ägide lebte der HSV jedoch jedes Jahr weit über seine Verhältnisse. Selbst in der Meistersaison 2010/2011 und der darauffolgenden Spielzeit 2011/12 betrug das Delta zwischen den (Rekord-)Einnahmen (rund neun Millionen Euro) und (Rekord-)Ausgaben (etwa elf Millionen) mehr als zwei Millionen Euro. Den Vorschlag des damaligen Sportchefs Christian Fitzek im Jahr 2010, den 16er-Kader neu zu strukturieren, ihn auf zehn Weltklassespieler und vier Talente zu reduzieren, lehnte Rudolph ab. Auch spätere Versuche, die Ausgaben einzudämmen, scheiterten an ihm. Im August 2012 wollte Bruder Matthias Rudolph, in dieser Zeit Präsident des Vereins, den Profis einen Gehaltsverzicht von 20 Prozent abringen. Als eine Einigung möglich schien, intervenierte Andreas Rudolph, bestand darauf, die vereinbarten Summen weiterzuzahlen.
Weiteres Beispiel: Als sich der HSV nach der Saison 2012/2013 von mehreren teuren Leistungsträgern trennte, sie durch preiswertere Profis ersetzte, um die Etatvorgaben zu erfüllen, blähten die Rudolphs den Kader in der Sommerpause auf 17 Weltklassespieler auf. Nach der mit ihm nicht abgestimmten Verpflichtung des Montenegriners Zarko Markovic warf der damalige Geschäftsführer Frank Rost im August 2013 nach nur 47 Tagen im Amt seinen Job hin. Er wollte diese Geschäftspolitik nicht verantworten.
Fitzek ist es nach seiner Rückkehr zum HSV im August 2014 als neuer Geschäftsführer gelungen, die Gehaltsausgaben mit Rudolphs Billigung um 2,4 Millionen auf 3,6 Millionen Euro und den Gesamtetat auf 5,4 Millionen Euro zu senken, ohne die Mannschaft entscheidend zu schwächen. Neben einer umsichtigen Kaderzusammenstellung war sein größter Coup die Verpflichtung Michael Bieglers als Trainer, der es verstand, ein Team zu formen, das um die fünf Europapokalplätze in der Bundesliga konkurrieren kann. Noch ein Jahr zuvor hatte Biegler dem Werben des HSV widerstanden, als er im Juli 2014 Nachfolger des entlassenen Martin Schwalb werden sollte. Fakt bleibt aber, dass selbst die heutige Mannschaft nicht bezahlbar ist, von Anbeginn der Saison rund zwei Millionen Euro in der Kalkulation fehlten.
Stationen der Krise beim HSV Handball
Sponsoren schreckten vor Einstieg zurück
Andreas Rudolph wirft Fitzek nicht ganz zu Unrecht vor – und allen Geschäftsführern vor ihm –, zu wenige Sponsoren akquiriert, sich allein auf ihn verlassen zu haben. In der laufenden Spielzeit verzeichnet der HSV nur noch 2,1 Millionen Euro an Sponsoreneinnahmen, hauptsächlich Gelder aus Rudolphs Firmen. An dieser Entwicklung trägt der Gesundheitsunternehmer allerdings Mitschuld. Als er am 18. Februar 2014 den HSV öffentlich zum Sanierungsfall erklärte und glaubte, Stadt und Wirtschaft damit aufrütteln zu können, erreichte er das Gegenteil. Kein größeres Unternehmen war fortan mehr bereit, Geld in den HSV zu investieren, weil es nun vermuten musste, mit diesen Mitteln würden alte Schulden beglichen. Ein verständlicher Vorbehalt, verfügte in der Betriebsgesellschaft doch Matthias Rudolph – mit den Geschäftspartnern von Andreas Rudolph – über die Mehrheit.
In einer Auffanggesellschaft entfiele diese Gefahr. Auch die Stadt, die keine privatwirtschaftlichen Proficlubs unterstützt, wäre wohl zu Hilfestellungen bereit. Denkbar scheint, dass der HSV zu speziellen Konditionen in der Sporthalle Hamburg spielt, in der ersten (Zweitliga-)Saison sogar mietfrei.