Hamburg. Der Bundesligist will sich bis 2017 von Finanzier Andreas Rudolph lösen. Ohne dessen Einlenken droht das Aus.

An den Herbst 2004 denkt Thomas Knorr noch ganz gern zurück. Es war eine wilde Zeit damals beim HSV Hamburg, den Verein drückten Schulden in Millionenhöhe, Gehälter blieben aus, es war unklar, ob es mit dem Profihandball in der Stadt nach zwei Jahren überhaupt weiterginge. Trotzdem warf sich der HSV an die Tabellenspitze der Bundesliga. Oder genau deswegen? „Die Stimmung in der Truppe war riesig“, erinnert sich der damalige Kapitän Knorr, „alle haben mitgezogen, um durch Erfolge ihren Beitrag für die Rettung zu leisten.“

Elf Jahre später ist die Lage ähnlich. Der HSV taumelt am Abgrund, die Verbindlichkeiten liegen in Millionenhöhe – aber die Mannschaft kann an diesem Mittwoch gegen die Füchse Berlin (20.15 Uhr, Barclaycard-Arena/Sport1) den vierten Sieg nacheinander schaffen, den dritten gegen eine Mannschaft aus dem ersten Tabellendrittel. Nur: Was wäre der wert, wenn es für den HSV danach gar nicht weitergeht?

Sicher ist: Trainer Michael Biegler wird an diesem Vormittag seine vorerst letzte Einheit leiten und am Abend ein letztes Mal den HSV coachen, bevor er die polnische Nationalmannschaft auf die EM im Januar im eigenen Land vorbereitet. Wer die Hamburger Profis dann betreut, konnte Geschäftsführer Christian Fitzek am Dienstag nicht beantworten: „Damit beschäftigen wir uns erst, wenn wir eine wirtschaftliche Lösung gefunden haben.“ Vorerst könne er nur vermelden, dass man „an allen Stellen weitergekommen“ sei.

Die entscheidende Stelle ist wieder einmal HSV-Mäzen Andreas Rudolph. Fitzek, Mannschaftskapitän Pascal Hens und Torwart Johannes Bitter hatten den Medizinunternehmer am Montag persönlich aufgesucht, um einen Weg aus der Krise zu finden. Fitzek sprach von einem „guten Gespräch“, einen Durchbruch konnte er nicht vermelden. Am Dienstag soll Rudolph ein konkreter Rettungsplan vorgelegt worden sein. Er dürfte vorsehen, dass der Mäzen auf die Rückzahlung seiner Darlehen verzichtet, den Club mit frischem Geld versorgt und Ende kommender Saison nach dann mehr als zwölf Jahren in die Unabhängigkeit entlässt.

Die Erfolgsaussichten sind vage. Im Frühjahr vergangenen Jahres, als die Lizenz auf dem Spiel stand, hat Rudolph ein ähnliches Sanierungskonzept verworfen. Zudem hat er seine finanzielle Hilfe davon abhängig gemacht, dass auch andere Großgläubiger Forderungen erlassen oder stunden.

Die Frage ist, wie groß der Verhandlungsspielraum ist. Die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft etwa, bei der die Profis unfallversichert sind, kann einem Antrag auf Ratenzahlung oder Stundung nur zustimmen, wenn „eine erhebliche Härte“ vorliegt. Der Beitragszahler muss dabei nachweisen, dass seine „ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse“ nicht von ihm zu verantworten und die Zahlungsschwierigkeiten vorübergehend sind.

Ähnlich streng sind die Anforderungen des Finanzamts. Nach Auskunft der Hamburger Steuerverwaltung ist ein Erlass der Umsatzsteuer möglich, „wenn er zur Sanierung beiträgt“, der Antragsteller „ein tragfähiges Rettungskonzept vorlegt“ und sich „alle übrigen Gläubiger beteiligen“. Aber auch hier müsste der HSV nachweisen, die sogenannte Unbilligkeit nicht selbst verursacht zu haben.

Die Barclaycard-Arena als privatwirtschaftliches Unternehmen dürfte da schon flexibler sein, wenn es darum geht, ihrem säumigen Dauermieter unter die Arme zu greifen. Bei der Sozialversicherung darf der HSV hingegen mit keinem Entgegenkommen rechnen. Kleinere Gläubiger hat der HSV nicht in seine Sanierungspläne einbezogen.

Immerhin: Die erste Ablöserate für Spielmacher Allan Damgaard in Höhe von 25.000 Euro hat der HSV inzwischen an Tvis Holstebro überwiesen. „Wir hatten einen deutschen Anwalt eingeschaltet“, sagt Emil Bjørnø, Manager des dänischen Spitzenclubs. Ob das den HSV zum Einlenken bewogen hat oder eher die drohende Sperre für Damgaard, sei dahingestellt. Fitzek spricht von einem „vergleichsweise geringen Betrag“. Eine Forderung der Füchse Berlin über 17.000 Euro für ­Hospitality-Leistungen bei der EHF-Pokal-Endrunde im Mai ist indes trotz Mahnung noch nicht beglichen.

Die Spieler warten bereits auf zwei Monatsgehälter, sie könnten den Club somit ablösefrei verlassen. Auch Martin Schwalb ist bislang nicht ausbezahlt worden. Mit dem Ex-Trainer hatte der HSV einen Vergleich geschlossen, nachdem das Arbeitsgericht die fristlose Kündigung für unwirksam erklärt hatte. Der Streitwert belief sich auf fast 300.000 Euro.

Selbst die Verbindlichkeiten der Betriebsgesellschaft gegenüber dem e. V. haben sich auf einen sechsstelligen Betrag aufgetürmt. Sie betreffen die Kosten für die Nutzung der HSV-Raute, Lizenzgebühren und den sogenannten Nachwuchscent: eine Spende von zehn Cent pro verkaufter Eintrittskarte für die Stiftung Leistungssport. Diesen Verpflichtungen kann der e. V. schon länger nicht mehr nachkommen.

Weitere kurzfristige Einnahmen sind nicht zu erwarten. Neue Großsponsoren sind nicht in Sicht, die Erlöse des Dauerkartenverkaufs offensichtlich aufgezehrt. Das macht die Krise so bedrohlich: dass sie den HSV zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison erfasst hat. Bundesliga-Geschäftsführer Frank Bohmann zeigte sich im Gespräch mit Sport1 „verwundert“ über die wirtschaftliche Situation. Im Zuge des Lizenzierungsverfahrens habe der HSV „Liquiditätszusagen“ vorgelegt, „die unterzeichnet sind von einem guten Namen. Diese würden im Zweifel helfen, die Misere zu beenden.“

Gemeint ist offenbar eine Patronatserklärung Rudolphs. Sie aber will Fitzek nach eigenem Bekunden nicht einlösen, weil sie „neuen Stress auslösen würde, den wir nicht brauchen“. Als Alternative könnte jedoch nur der Gang zum Insolvenzgericht bleiben.