Sölden/Mering. Michael Bieglersetzt in der Saisonvorbereitung andere Akzente. Der Mannschaft gefällt das abwechslungsreiche Training.

Teammanager Mirko Großer musste vor dem ersten Testspiel der HSV-Handballer im bayerischen Mering wie ein Wilder Trikotnamen mit Tape abkleben. Die neuen Saisontrikots sind noch nicht da. Des hatten die Hamburger extra ihre restlichen roten Europapokalleibchen aus der Vorsaison mit den Namen der zehn Neuzugänge beflocken lassen. Aber der Bezirksliga-Aufsteiger SV Mering lief selbst in einem neuen roten Dress auf, festlich zur 90-Jahr-Feier des Vereins. So wirbelten dann beim 45:11-Aufgalopp zwischen Autogrammstunde und gemeinsamem Grillen lauter blaue HSVer mit weißen Tape-Balken auf dem Rücken durch die Eduard-Ettensberger-Halle. Nur der neue Keeper Jens Vortmann durfte sein Europapokaltrikot in Zartgrün tragen.

Daran, wie klebrig Großers Hände waren, sah man, mit wie vielen neuen Gesichtern der HSV in die Spielzeit 2015/16 geht. Und dem neuen Trainer Michael Biegler sah man an, wie er da so die Seitenlinie bei den Tests in Mering und am Sonntag beim Drittligisten TuS Fürstenfeldbruck (46:27) Huub-Stevens-artig entlangknurrte, dass die Zeit knapp ist, bis bei einem der 16 regionalen Pokal-Vorrunden-Turniere am 15./16. August im niedersächsischen Lingen die ersten Pflichtspiele für den „neuen HSV“ anstehen. Nur logisch, dass der Verein in seiner zweiten Umbruchsaison in Folge mit dem Trainingslager in Sölden als erster Bundesligaclub die Vorbereitung aufnahm.

In den fünf Tagen in Tirol gewährte Biegler, bekannt für seine Vorträge in der internationalen Handballszene, erste Einblicke in seine Arbeit. Beim Konditionstraining mit seinem cross-methodischen Ansatz bespielte Polens Nationaltrainer in Personalunion Sölden: Hier sprinteten welche den Bach entlang, sprangen dann auf Holzbänke, woanders machte ein Duo Sit-ups und warf sich dabei Kugelgewichte zu, während eine Gruppe im Beachvolleyballsand umherhechtete und wieder andere zur Laufrunde auf die mittlere Liftstation des Gaislachkogl ansetzten.

„,Beagle‘ hat im Ausdauertraining ein paar andere Ansätze reingebracht. Es ist nicht nur ein Wir-treffen-uns-im-Stadion-und-laufen-im-Kreis, sondern da ist viel Abwechslung dabei“, sagt Vortmann, der aus Minden kam. Tom Wetzel, deutsches Toptalent auf halb links von Zweitligist Empor Rostock, gefällt, „dass wir sehr individuell und positionsspezifisch arbeiten, das Krafttraining ist individuell ausgerichtet auf die Rückraumspieler, die Außen auf die Torhüter. Auch in der Halle wird sehr individuell trainiert.“

Biegler arbeitet akribisch

Biegler, 54, hat sein HSV-Engagement akribisch vorbereitet, kommuniziert viel und ist nicht nur der Schleifer. Die Übungen lockert er in rheinischem Dialekt mit Sprüchen auf, Kritik verpackt er positiv. So bellt er Rechtsaußen Stefan Schröder an: „Schrödi, du gehst mir auf den Sack, weil du zu geil aufs Budenmachen bist.“ Manchmal müsse ein Kalauer her, wie auch während seiner Vorträge, sagt der Diplom-Sportwissenschaftler. „Aber ich mache das nur auf Kosten der Starken.“ Ob er also doch kein harter Hund sei? Hans Lindberg erzählt: „Wenn man die Sachen nicht so macht, wie er will, ist er ein harter Kerl. Er hat eine klare Linie.“ Vortmann: „Mit seiner Erfahrung kann er gut einschätzen, wann er Zuckerbrot verteilt, wann er die Peitsche rausholt.“

Biegler setzte auch eine anstrengende, lustige Teambuildingmaßnahme an: Eine Suche nach Schafen in 3000 Metern Höhe mit anschließendem Füttern, Abmarsch 6.15 Uhr. Zum ersten Eindruck des HSV-Aufbauhelfers, aus dem man schwer schlau wird, gehört auch, dass er als Alte-Schule-Kavalier den Frauen auf der Geschäftsstelle Blumensträußchen schenkte und an den Handgelenken wie einst Schlagerstar Wolfgang Petry lauter Lederbänder trägt. Ein neuer Tick, sagt er und zeigt den Anflug eines Lächelns. Zuvor sammelte er Uhren, dann Fingerringe.

So viel zum Coach. Und weil man schnell den Überblick verliert, hier eine Liste der Neuzugänge: Vortmann im Tor, am Kreis der Pole Piotr Grabar­czyk (KS Kielce) und der Kroate Ilija Brozović (RK Zagreb), als Spielmacher der Däne Allan Damgaard (Holstebro), auf halb rechts der Este Dener Jaanimaa (ThSV Eisenach), halb links der Serbe Draško Nenadić (Flensburg) und Wetzel, links außen der Däne Casper Mortensen (Sønderjysk), und dann sind da noch die Außen-Youngster: der 19-jährige Pole Maciej Majdziński (rechts/Gdańsk) und Felix Mehrkens (20/auf links) aus der U23.

Welche Namen muss man sich merken? Den neuen Abwehrchef Gra­barczyk, laut Kapitän Pascal Hens eine „echte Kante“. Sicherlich auch Jaanima, „eine Riesentlastung“ (Hens) für Adrian Pfahl. Nenadic, ein Rückraumstar links. Und unbedingt Mortensen, der mit Lindberg eine dänische Weltklasseflanke bilden könnte. Deutscher Top-Zugang ist Vortmann. Der Berliner feierte in Sölden seinen 28. Geburtstag.

Größter Kader in der HSV-Geschichte

Er ist ein kluger Kopf. Seine Bachelorarbeit schrieb der Wirtschaftsingenieur über „Wertschöpfungspotenziale von automatisierten Fertigungslinien“. Mit Johannes Bitter dürfte er ein Top-Torwartduo bilden. Über seinen neuen Zimmerpartner sagt er: „Jogi ist so jemand, mit dem es sehr schwierig ist, sich nicht gut zu verstehen.“ Und in sportlicher Hinsicht: „Er ist ein Riesentorwart.“ Der explosive Wetzel (1,97 Meter/99 Kilo) ist 23 Jahre alt und 45-facher Juniorennationalspieler. Der BWL-Student freut sich auf die Barclaycard-Arena: „Das ist ein andere Nummer als die Zweite Liga.“

Ist der 21er-Kader zu groß? Wohl nicht, eingerechnet sind der ehemalige Abwehrchef Davor Dominikovic, 37, der wohl nicht mehr zum Einsatz kommen wird, Nachwuchskeeper Justin Rundt und das Supertalent Majdziński, das nur in der U23 eingesetzt werden soll. Abwarten muss man, was mit Mehrkens passiert. Schließlich hatte der HSV Torsten Jansens Abschied auch mit der Chance für den jungen Lüneburger begründet. Hinter Mortensen und Kevin Schmidt dürfte er indes kaum Einsätze erhalten. Aber der Jugendförderer Biegler sagt, dass er ihn haben will. Bisher ist der „neue HSV“ ein großes Versprechen. Und bald sind auch endlich die neuen Trikots da.